Die kleine Zeitzeugin

Ein schönes neues Jahr!

d'Lëtzebuerger Land vom 06.01.2023

Die Frohe Botschaft: Weihnachten ist vorbei. Und das Neue Jahr auch, und wir sind wieder die Alten, endlich. Wir müssen nicht mehr in uns gehen oder außer uns sein, nur weil das Jahr seine Tage hat und seine Nächte. So schlimm war es schließlich auch wieder nicht, so schön war es schließlich wieder, wie immer so schrecklich schön. Wir haben Welt- und Rosenkriege überlebt, da schafft man Weihnachten doch locker.

Es ist vollbracht, wir haben es hinter uns gebracht. Wir müssen nicht mehr wünschen und wünschen und wünschen, wie so Verwunschene. Wie in einer Zwischenzeit Verbannte. Der Zauber ist aufgehoben. Keine schlaflose Neujahrsnacht verbringen mehr mit all dem Zurückhappy und Ebenfalls. Uns nicht mehr den Kopf zermartern, wie wir richtig wünschen. Nicht einfach nur zerstreut durchscrollen, gähn liken, ein Emoji ankleben, ein Herz. Ernsthaft und trotzdem humorvoll, individuell verträglich, nicht übergriffig oder traumatisierend. Aus tiefstem Herzen. Oder einfach manierlich, ist das nicht besser als nichts?

Vielleicht kriegt ja jemand eine Panikattacke, wenn ihm eine poetische Gesegnete Weihenacht auf die Wall schneit? Oder Schüttelfrost, wenn ein Merry Xmas aus dem Neunzigerjahre-Discounter, cool nannte man so was damals, bei ihr aufpoppt? Am besten sowieso Schöne Feiertage auftischen, geschmacksneutral, anti- allergen, ohne Weihrauch, Gänseleber und Lametta, da kann man nichts falsch machen. So was mögen alle, die Frommen und die Freien und die Hochsensiblen.

Oder soll man einfach aufgeben? 7 000 unbekannte Freund*innen sind einem doch schnurz, und wir ihnen auch, was soll die Heuchelei? Und die, die eine kennen, kennen eine ja sowieso. Dass man ja sowieso. Schon ist man da, wo man mit 13 war und nie wieder eine Karte mit Kind und Krippe an die Patentante schickte, mit schön geschriebenem Joyeux Noel auf mit Lineal gezogenen und später ausradierten Bleistiftzeilen.

Aber … irgendwie, irgendwie … es ist doch auch schön, diese fröhlichen Weihnachten, diese vielen guten neuen Jahre, was soll daran schlecht sein? Was soll schlecht daran sein Gutes zu wünschen? Das macht Menschheit doch seit eh und o jé, das röchelte Urmensch Urmensch schon zu, wenn er sich aufbäumte hin zum Licht. Das kann nur gut sein. Dir und dir und ihr und euch allen. Euch allen incl. all meinen Freunden alles Gute, das kann nicht schaden. Letztendlich. Balsam auf die Seele. Heilt Herzen. Das ist kein Kitsch. Das ist sogar das einzig Wahre. Das einzig Wahre kommt in diesem Mikro-Moment zum Vorschein, die Ewigkeit bricht durch und wir sind alle schön. Wir sind alle erlöst, vielleicht von uns selber. Wir sind wahrhaftig. So ein Trotzdem. So ein tapferes Trotzdem. Kann ruhig altmodisch klingen, ist es aber nicht.

Mir kommt gerade vor, als sei es sehr zeitgemäß. Jetzt wo Klima ist und Krieg, noch sitzen wir im Januar lustig auf Terrassen und schalten über die Feiertage den Krieg aus, weil wir keine Lust auf ihn haben, aber wir wissen es. Wir können es nicht mehr wegkriegen. Es ist Energiekrise, die haben viele von uns auch. Diese seltsame Erschöpfung. Diese leere Zukunft, unter der sich kaum jemand noch was vorstellen kann. Vielleicht sind die Gebärmütter künstlich, die Intelligenz auch, nur die Atomkraft ist grün. Und des Lebens goldener Baum?

Samhain, Wintersonnenwende, Chanukka, Weihnachten, Silvester. Alle ergreift eine Sehnsucht, echt wie jede Sehnsucht, sie kommt pünktlich, der Heilige Geist kommt über FB, Engelszungen sprechen aus bitteren Mündern, plötzlich wirkt all das nicht mehr abgeschmackt, pseudo, fake, banal oder esoterisch. Funkelndes Neues Jahr. Das Licht steigt.

Viele wünschen vielen alles Gute, und es klingt so wahr. Sie meinen es ernst. Ohne Ironie, nicht einfach nur mechanische Routine.

Vielleicht ist die Zeit, wo das Wünschen geholfen hat, jetzt. Dass wir uns allen das Beste wünschen, dass wir uns empowern, wie das früher hieß. Es muss kein wunschloses Unglück sein, murmeln alte Rebellinnen und Renegatinnen in ihren Bart, Zyniker werden weihnachtsmild wie Mürbteigkekse.

Michèle Thoma
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