Ich gebs auf. Ich schau jetzt. Ich schau doch. Ich shame mich nicht mal. Ich kann mich einfach nicht mehr shamen. Ich hab mich die letzten Jahre schon so viel geshamt. Nicht nur, dass ich mich sowieso schon meine ganze Kindheit geshamt habe, damals war das sich Sich Shamen bei Kindern eine übliche Beschäftigung, es gab immer etwas Passendes wofür sie sich shamen konnten. Dann, nach einer langen glücklichen schamlosen Zeit gab es wieder mehr und mehr Shame-Angebote, jetzt kann Mensch sich wieder nonstop shamen, er hat die Wahl der Qual.
Ich habe mich natürlich geshamt weil ich aus einer Weltzone komme mit dem ökologischen Abdruck eines Fußes, der alle anderen tottrampelt die nicht auf so großem Fuß leben. Weil ich eine alte gräuliche Frau bin, die nicht mal mit Schimpansen lebt wie Jane Goodall, als sei mit Menschen leben nicht mindestens so herausfordernd. Alte gräuliche Frau ist zwar nicht ganz so schlimm wie alter gräulicher Mann, aber auch nicht viel besser. Kategorie Umweltsau. Allein schon mein Klopapierverbrauch! Millionen von Bäumen werden mich bekümmert anschauen, wenn ich an die Himmelstür klopfe, ich verwandelte ganze Regenwälder in Klopapier. Als zähe alte Humanoide überhaupt noch da zu sein im Dasein, ist sowieso schon sehr fraglich in einer Zeit, in der gegrübelt wird, ob Mensch nicht allein durch seine atmende Existenz dem Planeten noch zumutbar sei. Ob solche Wesen alias Unwesen zu gebären bzw. sie wie auch immer zu produzieren, moralisch noch zu rechtfertigen sei. Und dann eben noch schluck! die, die nicht wissen, wann es Zeit ist. Wann Schluss ist mit der Party. Sie machen unempathisch weiter.
Ein paar Bonuspunkte habe ich ja, der lebenslängliche öffentliche Verkehr, einst pfui! mit dem Loser-Branding „aarm Louder“ versehen trägt einer jetzt doch zumindest ein paar anerkennende Schulterklopfer von SUV-Fahrerinnen ein, die paar mickrigen Flugmeilen ebenfalls, wären sie noch ein Thema, sind sie aber gerade nicht. Eine Spiegel-Kolumnistin beendet gerade feierlich ihre Flugschamphase, Mensch hat eben im Lauf der Zeit viele Phasen und man soll in keiner kleben bleiben. Man könnte als unflexibel gelten, als anno Greta. Und überhaupt, soll Idealistin nur noch dabei zuschauen, wie den Schamlosen der Himmel gehört, und die Welt?
Obschon ich nicht wegen meiner Shame nicht flog, sondern aus handfesten hundsgemeinen und unattraktiven Gründen, die mich an die Erde fesselten, wurde aus dem Nichtfliegen doch etwas Erhebendes, moralisch Wertvolles. Im Staube meines Angesichts über die Erdkruste krabbelnd konnte ich auf die Abhebenden und Abgehobenen herabsehen.
Monate lang habe ich meinen Mitmenschen den Strom abgewürgt, Wassertropfen gezählt, Klopapierblätter, habe rationiert, kalkuliert, jede Geste eine kleinkrämerisch durchexerzierte. Aus einer zunehmend ungemütlichen Wohnung Durchhalteparolen durchgegeben: Ich heize noch nicht, wozu auch?! Im Pliozän hatte man doch auch keine Zentralheizung. Angesichts der Lage in Cherson auch voll unsolidarisch. Sind wir denn wirklich so verweichlicht?
Ja! Jaaa! Haah, tut das gut! Endlich wieder endlos duschen, heiß, brühheiß, es kann nicht heiß genug sein, endlich wieder beprasselt werden, üppig beprasselt, nicht prostatös beträufelt, sich mit viel zu viel Gel beschmieren wie ein Kleinkind, das Gel riecht kitschig, giftig, abgebaut wird es wahrscheinlich nie. Für all das gibt es keine Daseinsberechtigung, kein Recht, es ist sinnlos und unmoralisch, es tut so verdammt gut, das Erbsen- und Wassertropfen- und Lebenszeitzählende ist so tödlich, das plötzliche Loblied auf Geizkragen und pingelige Pedantin wenn man doch dazu neigte, das Geld das man nicht hatte aus allen Fenstern zu werfen. Wie schön es flog!
Shame! Eben klopften sich Klimasünder*innen, die letzten noch registrierten Sünder*innen, reuevoll an die Brust. Dieses oder jene Medium schwor, Entsage dem Teufel!, dem korrupten Katar-Kapital ab und kündigte keusche Enthaltung an. Die Leserschaft klatschte Beifall, aber schon fläzt sie sich in den TV-Sesseln und blättert in der Konkurrenz. Buße und Abstinenz, dann lustvolles Sündigen. Das alte christliche Ding halt.