Es ist gerade wieder so ein Moment. Wo etwas aufkeimt, aufbricht, ausbricht, etwas das niemand aufhalten kann. Etwas das kommen muss, komme was da wolle. Es gibt so Momente in der Weltgeschichte. Sie sind groß und mächtig, wie ein Tsunami, sie fegen alles hinweg. Was träumt den Fernseher*innen da? Revolution, hauchen sie hoffnungsvoll vor den Bildschirmen, und liken sehr die todesmutigen Menschen, es ist immer erhebend den Kampf der andern zu liken. Die aufstehen, plötzlich, und nicht mehr weggehen. Einfach nicht weggehen. Fallen sie tot um, kommen neue. Sie sind da und unübersehbar. Sie zeigen sich, sie sind Zeichen. Sie sind die Zeichen der Zeit, die gekommen ist, sie ist reif. Es ist etwas, das unaufhaltbar erscheint. Weil es war unhaltbar. Unaushaltbar.
Im Iran. Es fängt an mit einem verrutschten Kopftuch. Es fängt an mit einer toten jungen Frau. Das ist vielleicht nichts Besonderes gewesen, schrecklicherweise nichts Besonderes, aber plötzlich doch. Plötzlich eine tote junge Frau zu viel. Ein Wutfunken entfacht den Großbrand, es ist kein Strohfeuer, es lodert über Land, nicht nur in den Städten. Es sind nicht nur die jungen Urbanen, die Wut geht durch alle gesellschaftlichen Gruppen, Ethnien, Klassen, das macht sie stark. Sie schwelt und lodert, sie bildet Glutnester, züngelt weiter und weiter. Das Feuer wird genährt von heruntergerissenen Kopftüchern, aber nicht nur. Die alten grauen atommächtigen Männer prügeln auf diese feurige Wut ein, es ist ihre Hölle. Natürlich sitzen sie an den Schaltern der Macht und können sie über das Feuer gebieten und es verbieten und alles in Asche verwandeln. Erst einmal. Ein Land aus Asche. Ein Land unter Asche. Bis es wieder aufzuckt. Sie können durch die Asche waten und durch das blutige Schweigen. Die Revolutionswärter können die Revolution, die noch keine ist, aber eine werden könnte, einsperren. Aber es wird sehr stressig werden für sie. Eine Sisyphusarbeit. Eine Arbeit gegen die Jugend, gegen die Frauen, gegen das Leben selbst. Wenn die Menschen nicht mehr mitmachen und es nicht mehr mitmachen.
In China, verzückt schauen wir hin. Und sie leben doch! Und sie sind doch echte Menschen. Solche wie wir. Zeige, dass du ein Mensch bist! Sie verfügen anscheinend über menschliche Regungen und Erregungen. Das gnädige weise Lächeln ihres Ober-Buddhas hat sie nicht vollends narkotisiert. Sie halten auch nicht alles aus und durch. Sie sind vielleicht doch keine Roboter*innen, sondern genauso unzulänglich wie wir. Wie schön ist das! Welcome in unserem Wahnsinn! möchten wir ihnen zujubeln, bei uns gibt es Freiheit gratis, Werte jede Menge, 50 Demonstrationen pro Tag in einer Stadt, wir haben die Wahl, und wir verhungern nicht mal, wir essen chinesisch. Wir müssen nicht immer funktionieren, viele von uns funktionieren gar nicht, selbst dann werden wir nicht umerzogen.
Das ist so ein Moment jetzt. Mitten in dem Trübsal, der Flaute, der großen Fatigue die über allem lastet. Kein Geld, keine Energie, Covid das zu einem Long Covid wurde, ein Krieg der nicht mehr in den Schlagzeilen ist, auch er ist chronisch geworden, er ist im Hinterhof Europas, wo Peer Steinbrück die Ukraine lokalisierte, im Hinterkopf, im Vorfeld wird Fußball gespielt, wird Advent gespielt. Das ist so ein Moment jetzt bei Nacht und Nebel, das ist etwas Großes das aufleuchtet in der künstlichen Beleuchtung, die wir uns vielleicht nicht leisten können. Etwas Leuchtendes, durch all die Tränenschleier hindurch. Hinter all dem vergossenen und geflossenen Blut. Und dann fällt uns der Arabische Frühling ein. Er fing so leicht und luftig an. Er fing so schön an. Und wir Europäer*innen waren ganz aus dem Häuschen und liketen die neuen Freund*innen in der Wertegemeinschaft, kurz machten wir uns keine Gedanken über Werte- Imperialismus. We are all one! Und dann.
Trotzdem.
Und vielleicht vielleicht sagen auch die Russ*innen eines Tages Njet zu ihrem Möchtegern-Zaren, der sie verbannt hat in ein zähes Reich, das nicht sterben darf. Eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages. Imagine! Damit fängt es immer an.