Die kleine Zeitezugin

Ich will ein Geschenk!

d'Lëtzebuerger Land vom 23.12.2022

Schenken Sie Ihren Kindern Zeit! stand auf dem Schild, mit dem ein hehrer Graubart, Typus Mahner im härenen Hemd, einst auf einem Christmarkt herumwandelte. Welch eine noble Idee! dachte ich, und so günstig. Wobei, angesichts der Zeit=Geld-Kategorie, der wir letztlich alle unterworfen sind, die Rechnung gleich anders ausschaut. Und die Revolte, die unter dem Christbaum ausbrechen würde, würde das Christkind mit so einem Zeit-Gutschein wedeln, malte ich mir lieber nicht aus. Unter jenen kleinen Materialist*innen, die gerade die mit fiebrig flackerndem China-Schund gespickten Stände umpirschten. Zeit! Zeit statt Barbiepuppen-Schlösser, Megamonstermänner, statt Legoburgen, Spielkonsolen. Zeit von Mama auch noch! Zeit mit Mama! Ist das nicht eh, ist das nicht sowieso, ist das nicht die die eh und sowieso? Die die immer da ist da da da gaga?

Statt teurer Geschenke Spenden an die Ukraine! wird derzeit gerne als Rundmail verschickt, der Papst ist auch dafür, jeder Mensch, der ein Mensch ist doch bestimmt, wer denn nicht? Ganz sicher die adäquate Aufforderung an all jene, die unter dem Alles-schon-haben-Syndrom leiden, das traditionell um die Weihnachtszeit sich medial großer Aufmerksamkeit erfreut. Was schenken wir jemand, der alles schon hat? Offenbar ein Riesenproblem. Oder an die, die ziemlich viel haben, neben dem eher bescheidenen Wochenende im exklusiven Thermenhotel muss ein Scherflein für die Armen im Osten wohl drin sein. Etwas bitter könnte die Aufforderung allerdings jenen vielen aufstoßen, die lange sparen und jeden Cent umdrehen, um Kinderaugen wie man so weihnachtlich sagt zum Leuchten zu bringen und etwas Fest in ihr Leben zu bringen, einen Glanzabglanz. Der einigermaßen schicke Mantel, gibt es schon ganz günstig im Ausverkauf, und was aufs Konto für die Kids, die nie was erben werden. Um dann ausgeblutet in den Haartmount zu schreiten.

Einst schenkte ich meiner Mutter, die auf der CECA im Büro schaffte zu Muttertag einen Putzlappen. Ich hatte ihn beim Marcel im Buttick gegenüber erstanden, wo es alles Lebenswichtige gab, Hostien, vier zu einem Franken, Lakritzenschlangen, süßen, zartrosa Speck. Und jetzt eben diesen gesegneten Putzlappen. Er erschien mir traditionell Geschenkuninspirierter, die auch noch traditionell dauerpleite war, als rettender Coup. Endlich mal was Anderes als eine schnell hingeschmierte Blume, als ein Gedicht, in denen ich die Schwielen auf Mutterhänden besang, die sie nicht hatte, oder ein nimmermüdes Mütterlein rühmte in einer Schürze, die sie gar nicht besaß! Einen Putzlappen besaß sie bestimmt auch nicht, hatte ich sie doch noch nie putzen gesehen. Er kostete 13 Franken, auch nicht nichts. Etwas Brauchbares also! Ich kam mir bodenlos vernünftig vor, als brauchbares Mitglied der Gesellschaft, das einem brauchbaren Mitglied Brauchbares schenkt. Keinen Blödsinn. Kein peinliches Gedicht. Ungeduldig harrte ich der Reaktion angesichts der Enthüllung der Gabe. Sie war entsetzlich, meine sonst von jedem mickrigen Blümchen, jedem schiefen Strich begeisterte Mutter verwandelte sich in eine Putzlappenfurie.

Schenktraumatisierte und Schenkneurotiker*in-nen, Schenkabstinenzlerinnen und Schenkstreikende, solche die mit Geschenken bombardieren, welche die immer falsch und andere die immer richtig schenken. Manche verschenken sich gar selber, und am liebsten an die Falschen. Die in den Sechzigern einsetzende Nüchternheit, die Durchrationalisierung des Schenkens, die erbärmlichen Hochzeitslisten von Brautpaaren, die sich adäquat aufgerüstet in der neuen Zeit einrichteten. Keine Sentimentalitäten mehr. Kein überlebter Gefühlskitsch. Kein Klimbim. Nur noch zielgerichtet beschenkt werden. Wünsche erfüllen statt sie immer nie zu erraten. Gleich aufs Konto kann man nichts falsch machen. Umtauschen gegen Bargeld. Gegen Gutscheine. Gutscheine immer gut. Amazon kommt. Bester Tausch: Nichts gegen nichts. Nichts für nichts. Wir schenken uns nichts. Die totale Aufgeklärtheit. Die totale Coolheit.

À propos Gutschein: Auf meinem Kühlschrank klebt seit einem Vierteljahrhundert ein Gutschein für 2X Waschmaschine ausräumen. In allmählich verblassender Filzstiftschrift.

Michèle Thoma
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