Alma Zadic ist jetzt gefordert. Die grüne Justizministerin in Wien, bei Amtsantritt mit großem Respekt begleitet, muss nun Zähne zeigen. Das von der Kanzlerpartei ÖVP geführte Innenministerium schickte als Detail in einem größeren Reformpaket eine Novelle zur Strafprozessordnung in die Begutachtung, die es in sich hat. Die geplante Änderung sieht vor, dass die Beschlagnahmung von Unterlagen und Datenträgern von Behörden durch die Justiz künftig nur noch im Ausnahmefall möglich sein soll. Ermittler/innen sollen künftig Akten von Behörden fast ausschließlich im Weg der Amtshilfe anfordern müssen, anstatt sie selbst sicherzustellen.
Kritische Juristen und Verfassungsrechtler sind irritiert. Der Verfassungsjurist Heinz Mayer etwa nennt die geplante Reform der Strafprozessordnung unverhohlen einen „gezielten Kopfschuss gegen den Rechtsstaat“. Denn von der Reform im Wesentlichen betroffen wäre die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Dass der türkise Koalitionspartner massiv gegen diese Institution ausholt, hat seine Gründe. Denn im Zuge der Recherchen und der Aussagen im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur „Ibiza-Affäre“, die zum Sturz des freiheitlichen Parteichefs Heinz-Christian Strache und zur Auflösung der ersten Koalitionsregierung unter dem türkisen Kanzler Sebastian Kurz geführt hatte, ist nach der FPÖ nun die Kurz-ÖVP selbst ins Visier geraten.
Die Antikorruptions-Behörde ermittelt gegen Kurz-Intimus und Finanzminister Gernot Blümel, dem unter anderem Bestechlichkeit vorgeworfen wird. Gegen die nervösen Ansätze der Türkisen, die Korruptionsstaatsanwaltschaft zu splitten und den Medien das Zitieren aus Ermittlungsakten zu verbieten, wehrte sich Zadic im März noch vehement. Im Fall der versteckt eingereichten Novelle aus dem Innenressort ließ die Justizministerin nun eine Schrecksekunde verstreichen, bevor sie Anfang dieser Woche eine Expertenrunde einberief, um die Vorlage zu diskutieren.
Indessen werden innerhalb des von Zadic geführten Ministeriums weitere Minenfelder erkennbar. Auf dem Handy des einflussreichen Sektionschefs Christian Pilnacek, der der ÖVP nahesteht, fanden die Korruptionsermittler alarmierende Chatverläufe und Dokumente. Sowohl Pilnacek als auch ein weiterer ranghoher Jurist in der Behörde sollen im Zusammenhang mit den Untersuchungen zur Ibiza-Affäre Amtsgeheimnisse verraten haben. Pilnacek war offenbar auch über die anstehende Hausdurchsuchung bei Blümel informiert, sorgte sich darum, wer den Minister vorbereite und beriet dessen Kabinettschef. Zudem lassen die Unterlagen den Schluss zu, dass der Jurist dem ÖVP-Parlamentsclub (Fraktion) die Vorlage für einer parlamentarische Anfrage gegen sein eigenes, das Justizministerium lieferte.
Auch an anderer Stelle sind es im Verlauf von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sichergestellte Chatverläufe, die irritierende Einblicke in den inneren Zirkel der Macht ermöglichen. Rund um den Aufstieg des Kurz-Freundes Thomas Schmid zum Alleinvorstand der staatlichen Beteiligungsholding ÖBAG, die das Familiensilber der Republik verwaltet, wird ein dichtes Netzwerk zwischen Spitzenpolitikern der türkisen Kurz-ÖVP sowie deren Vertrauten und Konzernen erkennbar. Da zeigt sich, wie Schmid sich selbst den angestrebten Posten via Ausschreibung auf das eigene Profil maßschneidern kann, wie unverfroren Einfluss auf Medien genommen und wie boshaft über Kritiker gelästert wird.
Alles in juvenil-amikalem Ton, garniert mit Emojis, die Bussis fliegen nur so hin und her. „Ich liebe meinen Kanzler“, schreibt Schmid, der Kanzler busselt: „Kriegst eh alles, was Du willst“, Blümel umarmt virtuell: „Du bist Familie“. Die smarte türkise Truppe, die mit der Anspruch eines „Neuen Stils“ die konservative Volkspartei übernommen und auf rechtslastig-wirtschaftsliberalen Kurs gebracht hat, sieht plötzlich uralt aus: Postenschacher und Korruption, Intrigen und Freunderlwirtschaft trüben den Glanz des türkisen Anstrichs.
Kanzler Kurz irrlichtert derweil zwischen Brüskierung der Europäischen Partner in der Frage der Corona-Impfstoffverteilung nach außen und Selbststilisierung zum Heilsbringer nach innen, der Lockerungen im Mai verspricht und als Macher auf eigene Faust den russischen Impfstoff bestellen will. Und ergreift die Flucht nach vorne: Vollmundig wird ein „Comeback-Plan“ vorgestellt, mittels dem Österreich nach der Überwindung der Corona-Pandemie aus der wirtschaftlichen Talfahrt wiederauferstehen soll. Der grüne Regierungspartner macht diszipliniert gute Miene zum türkisen Spiel, wohl in der Überzeugung, dass ein Koalitionsbruch in der angespannten Situation nicht zur Debatte stehen kann.
In einer solchen Lage ist mitunter das Nichtgesagte die schärfste Kritik. Jedenfalls kann die Abschiedsrede des scheidenden Gesundheitsministers Rudolf Anschober so verstanden werden. Der 60-Jährige Sozialpolitiker war mit großen Plänen unter anderem für eine umfassende Pflegereform, als Sympathieträger und Integrationsfigur in die grüne Regierungsriege eingezogen. Nur einen Monat nach seinem Amtsantritt kam die Pandemie, Anschobers Ressort rückte ins Zentrum. 15 Monate später gab der ruhige, stets auf Konsens ausgerichtete Minister nun seinen Rücktritt bekannt. In einer 25-minütigen „persönlichen Erklärung“ nannte er gesundheitliche Gründe für seine Entscheidung, dankte seinem Team und seinen Parteikolleg/innen. Über den Koalitionspartner, gar über den Kanzler, kein Wort.