Österreich

Türkise Nervosität

d'Lëtzebuerger Land vom 26.02.2021

Es sind keine guten Zeiten für die türkise Regierungsriege in Wien. Arbeitsministerin Christine Aschbacher muss nach dem Verdacht, ihre Diplom- sowie ihre Doktorarbeit weitgehend abgeschrieben zu haben, ihren Sessel räumen. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck versenkt Hunderttausende in einem Projekt mit dem schönen Namen „Kaufhaus Österreich“ – zur rotweißroten Alternative zu Amazon & Co. stilisiert und krachend gescheitert. Der Innenminister versagt in der Terrorismusbekämpfung – ihm untergebene Behörden verschlampten Hinweise auf den Täter des Terroranschlags in Wien vom 3. November und wurden nicht aktiv. Bei Finanzminister Gernot Blümel findet eine Hausdurchsuchung statt: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft WKStA möchte Unterlagen und Chatverläufe genauer anschauen, die eine irritierende Nähe des Politikers zur Geschäftsführung eines Glücksspielkonzerns nahelegen.

Es läuft nicht ganz rund für die Kanzlerpartei nach gut einem Jahr ÖVP-Grüne-Regierung. Dabei gibt sich Kanzler-Intimus Blümel ostentativ gelassen: Er sei „froh“ über die baldige Einvernahme durch die WKStA, erklärte er Mitte der Woche, schließlich gebe sie ihm Gelegenheit, alle Vorwürfe aufzuklären. Die Behörde ermittelt gegen den Minister wegen Bestechlichkeit: Es wird illegale Parteienfinanzierung durch den Glücksspielkonzern Novomatic vermutet. Das legen Chatverläufe zwischen Blümel und dem damaligen Leiter des Konzerns nahe, die auf dem Handy des Ministers gefunden wurden: Der Geschäftsführer schreibt eine Nachricht an den damals in der Wiener ÖVP tätigen Blümel, in der eine mögliche Spende und die Bitte um einen Termin beim damaligen Außenminister Sebastian Kurz wegen eines Finanzproblems in einem Atemzug genannt werden.

Das Interesse der WKStA an Blümels Handy ist dabei im Zuge der Ermittlungen in der „Ibiza-Affäre“ um Heinz-Christian Strache entstanden, die 2019 zum Bruch der schwarzblauen Koalition und zum Absturz des einstigen Freiheitlichen-Chefs geführt hatten. Denn im Untersuchungsausschuss zur Affäre hatte Blümel im vergangenen Juni noch erklärt, sich an keine Zusammenhänge zwischen Spendenangeboten und anderweitigen Bitten von Unternehmen erinnern zu können. In der gleichen Befragung gab Blümel auch auf die Frage nach einem Laptop als Arbeitsgerät zu Protokoll: „Ich glaube, ich habe gar keinen gehabt.“ Hier wittert die Opposition nun eine Falschaussage – denn es sind Bilder aufgetaucht, die in der dem „Ibiza-Skandal“ nachgereihten Schredder-Affäre eine Wende bringen könnten. Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Videos, das rasch einen möglichen Koalitionsbruch und daher eine Auflösung der damaligen Regierung nahelegte, ließ ein Mitarbeiter persönlich Festplatten aus dem Kanzleramt schreddern – der ungewöhnliche Vorgang flog nur auf, weil der Mitarbeiter die Rechnung nicht bezahlte. Zunächst war von Druckerfestplatten die Rede – jetzt aber legen Fotos nahe, dass unter den fünf zu Staub zermahlenen Stücken auch zwei Festplatten aus bestimmten Notebooks stammten; ein baugleiches Gerät nutzte wohl Blümel, auch wenn er sich nicht erinnern wollte.

Sehr klare Erinnerungen hatte jedoch Christina Jilek. Die Staatsanwältin leitete die Untersuchungen der WKStA in der „Ibiza-Affäre“. Über Monate durchforstete sie dazu die Mobiltelefone von Strache und von ÖVP-Spitzenpolitikern, von Novomatic-Managern und anderen sowie deren Mit- und Zuarbeitern. Im Untersuchungsausschuss sagte sie nun, sie sei bei ihrer Tätigkeit permanent diszipliniert worden, ungewöhnliche und ständige Berichtspflichten hätten es ihr unmöglich gemacht, ihre eigentliche Arbeit fortzuführen. Entnervt warf sie im Herbst hin und ließ sich von ihrer Aufgabe in der Korruptionsbekämpfung entbinden. Die verwirrenden Vorkommnisse um Akten- und Datenvernichtung, Interventionen und Anschuldigungen bringen nun offenbar Nervosität in des Kanzlers Entourage.

Gute Gründe für die Grünen als Juniorpartner in der Koalition, Flagge zu zeigen. Erstmals in Regierungsverantwortung, konnte die Partei, die Menschenrechte, Umweltschutz und Anti-Korruption als Schwerpunkte in der politischen Agenda führt, ihre Pflöcke bislang nicht einschlagen und wirkt mitunter wie ihre eigene Gefangene: Um mitten in der Corona-Krise keinen Bruch der Koalition zu riskieren, haben Vizekanzler Werner Kogler und seine Mitstreiter bisher schier Undenkbares geschluckt. Vor allem in der Haltung des Regierungspartners gegen Flüchtlinge setzten sie sich damit heftigen Vorwürfen innerhalb der eigenen Anhängerschaft aus. Ihr Aufruf, wenigstens Kinder und Familien aus den humanitär katastrophalen griechischen Lagern aufzunehmen, scheiterte am kategorischen „Njet“ der Kanzlerpartei. Die Grünen riskierten auch keinen Koalitionsbruch, als Innenminister Nehammer, offensichtlich willens, einen weiteren Schaukampf zur „Abschreckung“ von Asylwerbern auszufechten, frühmorgens mit großem Polizeiaufgebot Familien mit Kindern vor laufenden Kameras zur Abschiebung abholen ließ. Immerhin provozierte die Partei den großen Partner mit der Aufforderung, eine Härtefall-Kommission einzusetzen, um Kinderrechte zu prüfen.

Die Vorgänge um die WKStA – gegen die Kanzler Kurz seit Monaten in Hintergrundgesprächen und Nebensätzen eine Diffamierungskampagne reitet – und die damit verbundenen Untersuchungen spielen sich nun auf ureigenem grünen Terrain ab. Das Justiziministerium liegt in grünen Händen, während der Babypause von Ministerin Alma Zadic ist Vizekanzler Kogler selbst für das Ressort zuständig. Mit der Ankündigung, schnellstmöglich eine weisungsfreie oberste Staatsanwaltschaft einzusetzen, hat Kogler einen ersten Schritt getan, den Kampf des Kanzlers gegen die Judikative als solchen zumindest offenzulegen.

Irmgard Rieger
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