Österreich

Unruhe am rechten Rand

d'Lëtzebuerger Land vom 25.09.2020

Auch das noch. Der Wiener Opernball 2021 ist abgesagt. Es könnte sein, dass so mancher in Österreich dies Signal stärker wahrnimmt als alle „Corona-Ampeln“, die die Politik installiert hat, um das öffentliche Leben in Zeiten der Pandemie zu regeln. Was nicht nur an der den Österreichern nachgesagten Schlampigkeit liegen mag, sondern mehr noch an der Verwirrung, die Ministerien und Behörden um dieses lange angekündigte Regelungsinstrument gestiftet haben. Gleichzeitig holt Ischgl, das Synonym für Versäumnisse und Fehler im anfänglichen Coronamangement, die österreichische Regierung ein. 

Beim Wiener Landgericht wurden erste Musterklagen von rund 1 000 Skitouristen aus europäischen Ländern eingereicht, die sich im März im Tiroler Skiort Ischgl mit dem Coronavirus angesteckt hatten. Ein denkbar schlechter Zeitpunkt für die in der Koalition dominante türkise Volkspartei um Kanzler Sebastian Kurz, zum Angriffsziel zu werden. Denn im Oktober ist ein Wahlkampf zu schlagen. Zwar steht am 11. Oktober „nur“ die Gemeinderatswahl in Wien an, doch hat ein Urnengang in der österreichischen Hauptstadt stets Symbolwert: Seit Jahrzehnten behauptet sich das „Rote Wien“ als sozialdemokratische Hochburg, bis 2010 mit bequemer Mehrheit, seitdem in einer Koalition mit den Grünen. 

Auch in diesem Wahlherbst muss sich die Partei von Bürgermeister Michael Ludwig nicht wirklich fürchten – das größte Gefährdungspotential für Rot war in Wien nie Schwarz, sondern blau: Die Freiheitlichen übersprangen unter dem damaligen Chef Heinz-Christian Strache die 30-Prozent-Marke und stiegen mit knapp acht Prozent Abstand auf die SPÖ zur starken zweiten Kraft in der Hauptstadt auf. Die Autolyse der Freiheitlichen im Zug der Ibiza-Affäre beschert nun Bürgermeister Ludwig eine relativ bequeme Ausgangssituation, auch wenn die Weiterführung der Koalition mit den Grünen kein komplett geschnürtes Paket ist. 

Ganz ruhig ist es dennoch nicht am rechten Rand. Heinz-Christian Strache will es noch einmal wissen. Mehr als ein Jahr, nachdem ihn die geheimen Aufnahmen aus einer Finca auf der spanischen Ferieninsel aus der damaligen Koalition mit der türkisen Volkspartei unter Sebastian Kurz und aus der FPÖ geschleudert hat, tritt er mit einer eigenen Partei an. „Team Strache“ schart einen Trupp Getreuer um sich, die ihrem Chef offenbar nichts übel nehmen: nicht die Prahlereien vor der vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen über dunkle Wege für Parteispenden an den offiziellen Kanälen vorbei; nicht das Schwadronieren über einen möglichen Kauf der einflussreichen Kronen-Zeitung durch die anwesende Dame, um der FPÖ einen massiven Stimmenzuwachs und der Käuferin in Folge über dann blaue politische Einflussnahme ein erkleckliches Return-on-Investment zu bescheren. 

Auch nicht eine mögliche Spesenaffäre, die derzeit gerichtlich untersucht wird: Strache soll zu seiner Zeit als Parteivorsitzender Privatausgaben an die Partei verrechnet haben – indem er ein Spesenkonto für private Zwecke nutzte, aber auch über Scheinrechnungen. Nach österreichischen Medienberichten geht die Staatsanwaltschaft von einem Schaden in Höhe von mehr als einer halben Million Euro aus. Dafür könnten dem einstigen Vizekanzler bis zu zehn Jahren Haft drohen. 

Auch das fast schon erheiternde Hickhack um seinen Wohnsitz konnte „Hazeh“ nicht schaden: Strache, der sich von seiner damaligen Partei einen großzügigen Mietzuschuss für eine repräsentative Adresse im niederösterreichischen Klosterneuburg nahe Wien zahlen ließ, wo er mit Frau, Hund und Kind residierte, zauberte pünktlich zur Kandidatur einen Wiener Hauptwohnsitz aus der Tasche. Argument war dann ein Privates – um die Ehe zu retten, lebe das Paar seit geraumer Zeit getrennt, und Heinz-Christian eben in der Wohnung seiner Mutter in Wien. All dem zum Trotz tritt der 51-Jährige nun wieder an. Vieles deutet auf einen „Bruderkrieg“ gegen die alte FPÖ, nun geführt vom Freiheitlichen Wiener Mandatar Dominik Nepp, hin. In dieser Schlacht am rechten Rand könnte Strache tatsächlich die fünf Prozent der Stimmen erreichen, die für einen Einzug ins Wiener Stadtparlament nötig sind, sagen Meinungsforscher voraus – schlechte Nachrichten für die FPÖ, die mit einem starken Niedergang rechnen muss.

Während die dezidierte Rechte sich gegenseitig in Schach hält, wildert die konservative Volkspartei nun ganz unverhohlen in deren Revier. Denn auch wenn die ÖVP im roten Wien zuletzt unter zehn Prozent gerutscht ist, könnte eine ungewöhnliche Kombination den Konservativen ein Mitmischen in der Hauptstadt ermöglichen. Im Verbund mit den Grünen und den wirtschaftsliberalen Neos als relativ neue Kraft wäre eine schrill bunte „Dirndl-Koalition“ rechnerisch möglich. Die neue türkise Volkspartei, für die Finanzminister Gernot Blümel als Spitzenkandidat ins Rennen geht, positioniert sich dabei weiter rechts denn je. Blümel schießt von der Regierungsbank aus Pfeile, die im Wiener Wahlkampf treffen sollen: er prangert die „verfehlte Integrationspolitik“ der Wiener Stadtregierung an und schlägt vor, Anwärter auf die begehrten Gemeindewohnungen sollten Deutschkenntnisse belegen müssen. Für Kindergärten bringt er verpflichtende Nikolausfeste ins Spiel, suggerierend, dass die „eigene Kultur“ gegenüber Migranten in die Knie gehe.

Da passt es ins Bild, wenn Kanzler Kurz seinerseits härter denn je gegen „illegale Migra-tion“ ins Feld zielt und eine Aufnahme von Flüchtlingen aus dem abgebrannten Lager Moria vehement ablehnt. Dass Außenminister Alexander Schallenberg flapsig-zynisch vom „Geschrei“ der NGOs spricht, das „jedesmal losgeht, wenn etwas passiert“. Dass aber die Corona-Infektionszahlen nach einem weitgehend ruhigen Sommer nun wieder besorgniserregend ansteigen, kommt der türkisen Regierungsmannschaft gar nicht zupass. Die Selbstdarstellung als harte, aber effiziente Krisenbewältiger gerät heftig ins Wanken. Das Sieger-Image, das die türkise Truppe seit Amtsantritt zu zeichnen vermag, bekommt Risse.

Irmgard Rieger
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