In der Endphase des Wahlkampfs war er dann noch in Uniform der MA48 zu sehen: In der orangen Arbeitskluft der Wiener Straßenreinigung grüßte der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig vom Müllfahrzeug. Ein Appell der Sozialdemokraten (SPÖ) an die Wiener Arbeiterschaft, bei der Gemeinderatswahl doch „einen der ihren“ zu wählen. Seit Sonntag ist Michael Ludwig, Arbeiterkind mit Bilderbuch-Parteibiografie, nun wieder der rote König von Wien. Seine Partei hat den erwarteten Sieg eingefahren, mit großem Vorsprung ist das Wiener Rathaus wieder rot eingefärbt.
Das vorläufige Endergebnis lag ob der ungewöhnlich hohen, vorrangig der Corona-Pandemie geschuldeten Zahl an Briefwählern erst Mitte der Woche vor. Demnach verteidigte die SPÖ unangefochten Platz eins, steigerte sich um 2,03 Prozentpunkte auf 41,62 Prozent, und wird damit 46 von 100 Mandaten im Wiener Gemeinderat besetzen. Auf Platz zwei folgt die konservative Volkspartei (ÖVP), die immerhin knapp die 20-Prozent-Marke übersprang. Die Grünen, seit 2010 Juniorpartner der rotgrünen Wiener Stadtkoalition, erreichten mit knapp 15 Prozent ihr bestes Ergebnis. Dahinter gelang den wirtschaftsliberalen Neos mit 7,47 Prozent der beste Wert in ihrer noch jungen Geschichte, noch vor der FPÖ.
Die Freiheitlichen, die nicht nur die Ibiza-Affäre mit dem Rücktritt und Absturz des rechten Populisten Heinz-Christian Strache, sondern in der Folge auch einen Spesenskandal um den gestürzten Obmann verkraften mussten, erreichten nicht einmal mehr ein Drittel ihres Spitzenergebnisses von 2015 und brachen von über 30 auf 7,11 Prozent ein. Strache selbst war seiner Ankündigung von vor einem Jahr zum Trotz, sich aus der Politik zurückzuziehen, mit einer neuen Liste angetreten – und verpasste mit 3,27 Prozent den Einzug in den Landtag. Dass vor allem die Stimmungslage an der rechten Seite des Spektrums und in der Arbeiterschaft schwer einzuschätzen war, erklärt das Rittern der Sozialdemokraten um ihre Stammwählerschaft.
Denn die größte Gefahr für die rote Mehrheit droht in Wien traditionell nicht von konservativer Seite, sondern in der freiheitlichen Sphäre. Insofern ist der Triumph der Roten im Gemeindebau, dem Kern des roten Milieus, wo die SPÖ die absolute Mehrheit erreichte, zwar ein hübsches Atout, aber doch nur Dekor. Denn FPÖ-Wähler (zurück) zur SPÖ zu locken, ist den Sozialdemokraten ganz offensichtlich nicht gelungen: Viele frühere FPÖ-Wähler blieben schlichtweg zuhause. Der Wahlverlierer FPÖ konnte nur 20 Prozent seiner Wählerschaft von 2015 erneut mobilisieren. Insofern wirft die historisch niedrige Wahlbeteiligung von 61 Prozent gewaltige Schatten auf die Wahl und die politische Stimmung in der österreichischen Hauptstadt. Dazu kommt, dass rund 30 Prozent der in Wien lebenden Erwachsenen nicht wahlberechtigt sind. 1,8 Millionen Einwohner zählt Wien, 480 000 von ihnen haben keine österreichische Staatsbürgerschaft und damit selbst im Wahlalter keine politische Stimme.
Das Thema Migration flammte dennoch nur kurz auf im Wahlkampf und wurde von der Bundespolitik dominiert: Die türkise Regierungsmannschaft, die in Wien mit Finanzminister Gernot Blümel den ÖVP Spitzenkandidaten stellte, präsentierte sich als Hardliner in der Auseinandersetzung über die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria und brachte die mitregierenden Grünen ins Schwitzen. Einzig die Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein sprach sich deutlich für eine Aufnahme aus. Die klassischen Handlungsfelder der aktuellen Stadtregierungsparteien – Arbeit, Wohnen und Bildung bei der SPÖ, Verkehr und Klimaschutz bei den Grünen –, blieben beunruhigend wenig diskutiert. Corona rückte das Thema Gesundheit in den Mittelpunkt.
Den gemütlichen roten Sieg kostet Bürgermeister Ludwig nun auch aus, indem er alle sich bietenden Optionen für eine Koalitionsregierung offenlässt. Das erste Gespräch will er Ende der Woche mit der ÖVP führen. Eine solche Variante aber ist unter Ludwig schwer vorstellbar: Zwar gilt Ludwig als einer, der die schwarze Hemisphäre durchaus wertschätzt und der einen gesellschaftlichen Ausgleich sucht, doch gilt sein Respekt den „klassischen“ Konservativen – also jenem schwarzen Kern, den die türkise Jungschar aus der ÖVP-Führung geputscht hat.
Zumindest nach außen liebäugelt die Wiener SPÖ auch mit Neos, die sich bemühen, sich als die besseren Grünen zu positionieren. Tatsächlich hätte eine solche rot-pinke Paarung gewissen Charme: Neos warten mit starken Ideen im Bildungsbereich auf, zudem vereint die Partei junge, unverbrauchte politische Talente. Doch ihr markant wirtschaftsliberales Profil passt schlecht zu Ludwig, der sich selbst als „eher links in Fragen der Daseinsvorsorge und Gemeinwesen“ beschreibt.
Tatsächlich wirkt eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition als logischste Variante. Ludwigs Kokettieren mit Pink könnte aber den Grünen eine Mahnung sein, sich nicht zu sehr auf das Kuscheln mit der angestammten Klientel in den „grünen“ Bezirken zu beschränken. Jenseits der Wohlfühlzone Bobostan ist es ihnen offenbar noch nicht gelungen, die komplexen grünen Themen wie Energiewende oder Verkehrspolitik zu erklären und zu verankern.