Das Ergebnis 2016 ist äußerst bescheiden. Doch weil Cargolux nicht mit einem Gewinn gerechnet hatte, ist die Freude darüber umso größer

Fengshui in Findel

Richard Forson
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 28.04.2017

In den vergangenen zehn Jahren war die Frachtfluggesellschaft Cargolux immer für eine Aufregung gut. Mal war sie in den Schlagzeilen, weil sie und andere Fluggesellschaften von Wettbewerbsbehörden rund um den Erdball wegen Preisabsprachen verfolgt wurden und ihre Vorstandsmitglieder deshalb Haftstrafen absaßen. Mal, weil sie wieder haarscharf an der Insolvenz vorbeischrammte, und die Aktionäre Kapitalerhöhungen vornehmen mussten. Oft waren es auch Personalien, die intern und außer Haus Wellen schlugen. Vom autoritären Aktionär und Verwaltungsratschef Akbar Al Baker von Qatar Airways, der Flugzeuge und Pink Floyd abbestellte, über den untergetauchten CEO Frank Reimen, der fischen ging, über den Interims-CEO Richard Forson, der das Luxemburger Sozialmodell zerschlagen wollte, über den CEO Dirk Reich, der ohne Verständnis für die Verhältnisse auf dem Luxemburger Arbeitsmarkt seine Piloten als Söldner verunglimpfte hin zu Gewerkschaften, die erst den katarischen Aktionär vor die Tür setzten und sich dann mit aller Kraft gegen den Einstieg chinesischer Aktionäre stemmten, streikenden Piloten und sehr gewagten Flugmanövern. Ganz zu schweigen vom Exodus an Führungspersonal, das zur Konkurrenz wechselte und unter Beobachtern Sorgen auslöste, das Fachwissen gehe verloren. So hat sich das einst stolze Schmuckstück der Luxemburger Industrie selbst zerfleischt und heruntergewirtschaftet.

Vielleicht sind nach Jahren der fieberhaften Autodestruktion die Beteiligten ein wenig müde geworden? Am Mittwoch bemühte sich Verwaltungsratspräsident Paul Helminger merklich, das Fengshui im Hause Cargolux wiederherzustellen und Harmonie zu verbreiten. Helminger betonte, man habe keine Probleme gehabt, den Vorstand nach dem Abschied von Dirk Reich mit eigenem Personal zu besetzen. Und CEO Richard Forson, ursprünglich von Qatar Airways als Finanzchef eingesetzt, der sich früher als Vorkämpfer für schlechtere Tarifbedingungen in der Flugbranche und der Luxemburger Wirtschaft insgesamt sah, ließ den Cargolux-Unternehmensgeist hochleben. Er hob hervor, der Erfolg des Unternehmens hänge nicht von Einzelpersonen ab und versprach, sich strikt ans Tarifabkommen zu halten. Sogar seine neue Strategie, mit der das Überleben der Firma über die kommenden Jahre gesichert werden soll, wollte er erst einmal mit den Mitarbeitern und den Gewerkschaften diskutieren, bevor er weitere Details an die Öffentlichkeit gibt. So viel Eintracht, beziehungsweise so wenig Beschimpfungen, hat es bei Cargolux seit Wochen, vielleicht sogar Monaten nicht gegeben.

Vielleicht hat sich letzten Endes auch das Bewusstsein durchgesetzt, dass die Situation brenzlig bleibt. Vergangenes Jahr blieben der Cargolux bei einem Umsatz von 1,7 Milliarden Dollar fünfeinhalb Millionen Dollar Reingewinn übrig. Doch weil die ersten neun Monate dermaßen schlecht liefen, dass wohl niemand mehr mit einem ausgeglichenen Ergebnis gerechnet hatte, freuten sich die Verantwortlichen am Mittwoch über eine hervorragende Leistung, besonders da die Wettbewerber Verluste verbuchten. Weil die koreanische Reederei Hanjin 2016 insolvent wurde und ihre Schiffe auf dem Meer kehrt machen mussten und darüber hinaus die Verbraucher in den USA und der EU vor Weihnachten in Kaufrausch gerieten, musste Cargolux im letzten Quartal eine außergewöhnlich hohe Anzahl an Charterflügen aus China in Richtung westliche Verbrauchermärkte durchführen. Insgesamt transportierte die Cargolux-Flotte von 26 Flugzeugen 2016 rund 964 000 Tonnen Fracht und wies im Schnitt einen Ladefaktor von 66,76 Prozent aus. Mit diesem Frachtvolumen konnte Cargolux seinen Anteil am weltweiten Frachtflugmarkt steigern und belegt nun Platz sechs in der Rangliste der weltweit größten Frachtfluggesellschaften, hinter Emirates, Cathay Pacific, Qatar Airways, Lufthansa und Air France.

Der kleine Gewinn ändert aber nichts an der grundsätzlichen Problemlage der Cargolux: Ihr Geschäftsmodell ist zunehmend überholt. Im Jahr 2006 verbuchte Cargolux einen Gewinn von 82,6 Millionen Dollar. Dafür war ein Umsatz von 1,5 Milliarden Dollar notwendig, den die Gesellschaft mit einer Flotte von 14 Jumbos erzielte, die bei einem Ladefaktor von im Schnitt 72,4 Prozent rund 651 0000 Tonnen Fracht transportierten. Vor zehn Jahren konnte die Gesellschaft also mit der Hälfte der Flugzeuge fünfzehn Mal so viel Gewinn machen. Dass sich die Ergebnisse so schlecht entwickelt haben – über zehn Jahre gesehen, hat Cargolux Verluste von 107 Millionen Dollar eingefahren – liegt sicherlich daran, dass die Preise nicht mehr sind, was sie früher waren. In der Chefetage der Cargolux erklärt man das mit den Überkapazitäten, die durch die Lieferung immer größerer Passagierflugzeuge entstehen. Da die darin transportierten Fluggäste keineswegs mehr Gepäck mitnehmen dürfen, bleibt in den Bäuchen der Boeing 747 und 777 sowie der A-380 und A-340 viel Platz für billige Fracht auf gängigen Routen. Ex-Cargolux-Aktionär Qatar Airways steigerte beispielsweise seinen Marktanteil vergangenes Jahr unter anderem über Bauchkapazitäten um 21 Prozent.

Die Schwierigkeiten der Cargolux sind aber keineswegs nur auf externe Faktoren wie aggressive Konkurrenten aus dem Mittleren Osten und Naturkatastrophen wie Vulkanaschewolken zurückzuführen. Sie sind auch hausgemacht. Denn 2005 bestellte Cargolux unter Führung des dynamischen Führungsduos Pierre Gramegna, Verwaltungsratspräsident, und Ulrich Ogiermann, Vorstandsvorsitzender, eine völlig neue Flugzeugflotte bei Boeing, mit dem Ziel, alte gegen neue Flugzeuge zu tauschen. Doch aufgrund der Wirtschaftskrise, die 2007 einsetzte und mit einem anhaltenden Preisverfall einher ging, und der steigenden Kapazitäten in den Bauchhöhlen der Passagierflugzeuge ging diese Rechnung nicht mehr auf. Die „alten“ Flugzeuge verloren dermaßen an Wert, dass sie nicht ohne größere Verluste verkauft werden können. Auch deshalb ist die Flotte der Cargolux auf heute 26 Flugzeuge angestiegen, von denen bereits in der Krise zwei theoretisch eingemottet wurden. Dass 2016 von einem Betriebsergebnis von 49 Millionen Dollar nur 5,5 Millionen Gewinn übrigblieben, erklärte Finanzchef Maxim Straus auch mit einer erneuerten Wertberichtigung der Flotte um fast 40 Millionen Dollar. In den zwei Jahren davor hatte die Gesellschaft bereits ähnlich hohe Wertberichtigungen vorgenommen. Die Schuldenlast der Cargolux betrug Ende 2016 1,8 Milliarden Dollar, allein an Zinsen zahlte das Unternehmen vergangenes Jahr 70 Millionen Dollar. Nach Finanzierungskosten und vor Steuern steht daher 2016 ein Verlust von 8,5 Mil­lionen Dollar unter dem Strich – wie im Jahr davor konnte Cargolux von Investitionssteuerkrediten profitieren, 2016 waren es 14 Millionen Dollar. Der Schuldenhöchststand sei nun überschritten, erklärte Richard Forson, da keine weiteren Flugzeuglieferungen erwartet werden. Von den 26 Flugzeugen gehören der Cargolux nur noch 19 – die anderen sieben mietet sie und zahlt für fünf davon nur, wenn sie tatsächlich abheben. Diese Überkapazitäten im eigenen Unternehmen versucht Forson positiv zu sehen. Ohne diese flexibel einsetzbaren Maschinen hätte Cargolux die plötzliche Nachfrage zum vergangenen Jahresende nicht bedienen können, so der CEO.

Dass im Hauptquartier in Findel ein gewisser Optimismus herrscht, liegt auch daran, dass die ersten Monate 2017 besser liefen als im Budget geplant, wo ein leicht höherer Gewinn als 2016 vorgesehen ist. Der Ladefaktor, so Forson, sei Anfang 2017 auf über 70 Prozent gestiegen und auch die Preise seien besser als vergangenes Jahr. Das Geschäft in Asien, genauer in China, läuft gut. Und so tragen auch die chinesischen Aktionäre von HNCA zum besseren Fengshui bei. Der Flughafen in Shanghai sei dermaßen überlastet, dass in Spitzenzeiten dort keine zusätzlichen Flüge durchgeführt werden könnten, erklärte Richard Forson am Mittwoch, weshalb die Zentralregierung in Peking die Entwicklung des Logistikzentrums Zhengzhou immer noch als Priorität betrachte. Während die Cargolux-internen Gegner von HNCA Zhengzhou vor zwei Jahren abfällig als Loch im Niemandsland bezeichneten, sind nun auch andere Fluggesellschaften gezwungen, nach Zhengzhou zu fliegen, um chinesische Fracht aufzuladen. Im Verwaltungsrat treten die Chinesen eher diskret auf, eine Dividende für ihre Investition haben sie keine erhalten. In Zhengzhou wird derweil der Flughafen ausgebaut, bei der Cargolux berichtete ein Flughafenvertreter von einem umgeschlagenen Frachtvolumen von 450 000 Tonnen im vergangenen Jahr und 500 000 Tonnen, die dieses Jahr geplant sind. Zum Vergleich: In Findel wurden vergangenes Jahr 821 0000 Tonnen umgeschlagen. Doch in Zhengzhou verzeichnetet man 2010 erst 85 000 Tonnen Fracht. Cargolux allein transportierte vergangenes Jahr 107 000 Tonnen nach und ab Zhengzhou und war damit für ein Viertel des Umsatzes am zentralchinesischen Flughafen verantwortlich.

Damit gewinnt die Verbindung nach Zhengzhou auch für die Cargolux an Bedeutung. Ihr Anteil am Frachtvolumen ist binnen zwei Jahren auf über zehn Prozent gestiegen, ohne dass Cargolux, wie CEO Richard Forson betont, von besseren Bedingungen profitieren würde als die Wettbewerber. Alle Gesellschaften erhielten Zuschüsse, um Zhengzhou anzufliegen. Doch durch die engen Beziehungen mit HNCA haben Luxemburg und China in den vergangenen Jahren die Flugrechte neu verhandelt, was Cargolux überhaupt erst erlaubt, zusätzliche Flüge durchzuführen. Die geplante Joint Venture Firma Cargolux China, an der Cargolux eine 25-prozentige Beteiligung nehmen wird, soll Ende 2018 erste Flüge durchführen. Für die Joint Venture würden drei bis fünf zusätzliche Flugzeuge gebraucht, erklärte Richard Forson am Mittwoch, es müssten nicht unbedingt werksneue Maschinen sein.

Michèle Sinner
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