Der Streit um die Kontrolle des Luxemburger Luftraums dürfte bald beendet sein

Kreuzgattung

d'Lëtzebuerger Land vom 16.09.2016

Die CSV-Abgeordneten und David Wagner von Déi Lénk hatten abgesagt und waren aus Protest gegen die Pläne von Infrastrukturminister François Bausch (Déi Gréng) nicht zur Visite der Zentrale der Deutschen Flugsicherung (DFS) am Mittwoch mitgefahren. Wären die Oppositionsabgeordneten der Nachhaltigkeitskommission dabei gewesen – sie hätten festgestellt, dass François Bausch seine Pläne verändert hat und sie nicht mehr viel Anlass zu Protest haben. Denn zu einer Auslagerung der An- und Abflugkontrolle (Approach) für Starts und Landungen am Flughafen Findel wird es höchstwahrscheinlich nicht kommen.

Seit bald zwei Jahren gibt es deswegen Streit. Die Fluglotsen, in der Luxembourg Approach Controllers Association (Laca) vereinigt, wehrten sich mit Mitteilungen und Interviews, der Pilotenverband und andere Flughafenakteure ebenfalls. Sie warnten vor einem Souveränitätsverlust, sollte die An- und Abflugkontrolle ins Ausland ausgelagert werden, wichtige Kompetenzen würden unwiderruflich verloren gehen. Sollten die Lotsen dieses ausländischen Anbieters streiken oder würde es in ihren Systemen Pannen geben, wäre davon auch der Luxemburger Luftraum betroffen. Wem danach nicht Angst und Bange um die Sicherheit und den reibungslosen Betrieb am Findel war, erzählte die Laca noch, die Auslagerung könnte dazu führen, dass der Polizei-, beziehungsweise der Rettungshubschrauber der Air Rescue nicht so schnell und ungehindert starten könne wie jetzt. Damit machten sie die von François Bausch geplante Auslagerung zu einer Frage über Leben und Tod für jedermann. Dennoch blieben die Lotsen aus dem Tower, die Flugzeuge beim Start und bei der Landung leiten, verdächtig still.

Um zu verstehen, worum François Bausch und der Direktor der Administration de la navigation aérienne (ANA, John Santurbano, auf der einen Seite und die Laca und die Piloten auf der anderen Seite bisher gerungen haben, muss man wissen, dass der Luftraum vertikal in verschiedene Schichten eingeteilt ist, und je nach Schicht jemand anderes dafür zuständig ist, die Flugzeuge zu leiten.

Beim Start und bei der Landung wird der Pilot von Lotsen der Flughafenkontrollzone angeleitet, den Lotsen im Tower. Nach dem Start, beziehungswiese vor dem direkten Landeflug, sind bis zu einer Höhe von 4 500 Meter die An- und Abflugkontrolleure zuständig. Beide Ebenen werden derzeit von Ana-Mitarbeitern kontrolliert, wobei Tower-Lotsen und Approach-Kontrolleure – die Mitglieder der Laca – unterschiedliche Jobs ausführen und dafür nach der Grundausbildung unterschiedliche Qualifikationen erwerben. Darüber, also in einer Höhe zwischen 4 500 und 7 000 Metern, übernimmt auch im Luxemburger Luftraum Belgocontrol die Flugzeuge. Über 7 000 Meter ist das Maastricht Upper Area Control Centre (Muac) von Eurocontrol für die Kontrolle von Flugzeugen zuständig, die den Luxemburger Luftraum überfliegen, die hier aber nicht landen und starten. Ganz unten, auf dem Vorfeld, im englischen Fliegerei-Jargon „Apron“ genannt, also da, wo die Flugzeuge nach der Landung einparken beziehungsweise vor dem Start meist rückwärts aus der Parkposition geschoben werden, sind derzeit in Findel überhaupt keine Lotsen zuständig. Das, so ein Teil des Plans, soll sich nach der Inbetriebnahme des Bodenradars, der ab Ende des Jahres als Informationsquelle für bestehende Dienste in Betrieb genommen werden soll, ändern. Doch dafür bräuchte es, neben den Tower-Lotsen, den An- und Abflugkontrolleuren, eine dritte, bisher in Luxemburg unbekannte Gattung Lotsen: die Vorfeldkontrolllotsen.

Weil die EU den freien Wettbewerb fördert und gegen all zu viele staatliche Subventionen ist, stehen Flughafenakteure wie die Ana, aber auch die Flughafenbetreibergesellschaft Lux-Airport vor dem gleichen Problem: Sie müssen nachweisen, dass sie Einnahmen haben, mit denen sie ihre mitunter sehr hohen Ausgaben finanzieren, beispielsweise, wenn sie in ihre Infrastruktur investieren. Solche Investitionen in ihre technische Infrastruktur wird die Ana in den kommenden Jahren durchführen müssen. Und deshalb hatte ihr Direktor, John Santurbano, wie er sagt, versucht, einen Plan für einen möglichst sicheren und reibungslosen Betriebsablauf aufzustellen und dabei auch einen möglichst starken „Business-Case“ zu präsentieren. Er hatte ein Gesamtpaket geschnürt, das vorsah, eine Kooperation mit einem großen Anbieter zu suchen, um die Erwerbskosten für die Technologie zu senken und die An- und Abflugkontrolle auszulagern, um dadurch Personal freizustellen, das anderenorts eingesetzt werden könne. Beispielsweise bei der Zertifizierungsprozedur für das Flugfeld, die bis Ende 2017 abgeschlossen sein muss. Und in der Vorfeldkontrolle, die der neue Bodenradar möglich machen wird. Denn neues Personal mit den notwendigen Qualifikationen zu finden, ist schwierig. Zukünftige Lotsen brauchen Abitur, müssen ähnlich wie Piloten Eignungs- und Belastungstests bestehen, danach eine jahrelange Ausbildung absolvieren, an deren Ende Prüfungen zu bestehen sind, die nicht jeder schafft. Das Problem dabei ist: Wer die Voraussetzungen dafür mitbringt, wird wahrscheinlich studieren, statt die Lotsenausbildung zu machen. Wer nach dem Abi nicht studieren geht, erfüllt wahrscheinlich auch die Anforderungen für den Lotsenberuf nicht. Es sei schwierig, überhaupt Kandidaten zu finden, erklärt John Santurbano. Ob sie dann den Eignungstest bestehen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Klaus-Dieter Scheurle, Geschäftsführer der Deutschen Flugsicherung, eine „verwaltungsprivatisierte“ Firma, die nach dem Ausschluss von Belgocontrol als einziger möglicher Anbieter für die Dienstleistungsverträge mit der Ana verbleibt und die auch jetzt schon Luxemburger Lotsen ausbildet, erklärte am Mittwoch, dass nur fünf Prozent der Bewerber für die Fluglotsenakademie den Eignungstest bestehen. Dabei dürfte es Scheurle nicht an Kandidaten fehlen, die Lotsen der DFS verdienen beim Einstieg in den Beruf 8 000 Euro Bruttogehalt, ohne Schichtzulagen, wesentlich mehr als die Kollegen in Luxemburg, von denen die meisten verbeamtet sind und deshalb nicht nur psychologisch robust und kompetent sein müssen, sondern auch noch die vielfältigen Sprach­anforderungen erfüllen müssen.

Darüber hinaus braucht die Ana, die derzeit 20 An- und Abflugkontrolleure und 25 Tower-Lotsen beschäftigt, doppelt so viel Personal, um den Betrieb zu gewährleisten wie die DFS das bräuchte. Die würde zur Approach-Kontrolle nur zehn Mann Personal brauchen, weil sie zu den Uhrzeiten, in denen nichts los ist, die Mitarbeiter, die auch andere Gebiete kontrollieren poolen kann, während sich das Geschäft der Ana auf den kleinen Luxemburger Luftraum und den Findel konzentriert, sie dort aber auch nachts die Stellung halten muss.

Dass Infrastrukturminister François Bausch mittlerweile dennoch sehr deutlich dazu tendiert, die An- und Abflugkontrolle nicht auszulagern, konnte man am Mittwoch daran erkennen, dass Klaus-Dieter Scheurle verschiedene Service-Pakete anbot.

Das Servicepaket 1 beinhaltet die Flugsicherungstechnik, also die Lieferung technischer Anlagen, der dazugehörigen Software und die Wartung, sowie die An- und Abflugkontrolle. Beim Servicepaket 2 ist letzterer Teil gestrichen. Dafür gibt es die „Zusatzpakete“ 3 und 4. Das Zusatzpaket 3 sieht eine Kreuzausbildung der Tower- und der Approach-Lotsen vor. Soll heißen, die bisher strikt getrennten Lotsen-Gruppen würden so weitergebildet, dass sie sowohl im Tower, als auch in der An- und Abflugkontrolle, also flexibler einsetzbar wären. Gegen eine solche Aufgabenvermischung hatten sich die Lotsen, die sich untereinander nicht grün sind, bisher auch gewehrt. Doch vor die Wahl gestellt, wollen sie diesen Kompromiss eingehen: „Sie wären bereit, mit auf diesem Weg zu gehen“, so Bausch. Weil es dann noch immer an Lotsen für die Vorfeldkontrolle fehlen würde, beinhaltet Zusatzpaket 4 die Ausbildung der Vorfeldkontrolllotsen. Die DFS würde auch bei der Auswahl passender Bewerber helfen.

Bleibt die Approach-Kontrolle in Luxemburg, würde die Einsparungen, die sich beim Rundum-Sorglospaket auf 40 Millionen Euro über zehn Jahre belaufen würden, nicht ganz so hoch ausfallen. Doch teurer als das Personal sind die technischen Anlagen, erklärt Santurbano, weshalb immer noch viel Geld gespart werden könnte, wenn sich der Minister gegen das Servicepaket 1 und für das Paket 2 mit den Zusatzpaketen 3 und 4 entscheidet. Entscheiden will Bausch, nachdem er Ende September noch einmal die Gewerkschaften trifft. Dann will er auch definitiv festlegen, welcher der Flughafen-Akteure die Führungsrolle in Sachen Flugfeldzertifizierung übernehmen soll. „Ich habe vor, Lux-Aiport, die Führung zu übertragen“, so Bausch. Denn für den Zertifizierungsprozess sei viel Expertise von außen notwendig, die eine privatrechtliche Firma wie Lux-Airport einfacher zukaufen könne als Verwaltungen wie die Ana oder die Directionde l’aviation civile (Dac).

Michèle Sinner
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