Die gebietsansässige Bevölkerung steigt immer öfter in den Flieger. Noch dieses Jahr wird der Flughafen Findel seine maximale Kapazität erreichen

Reisefieber

d'Lëtzebuerger Land vom 27.05.2016

In der Business-Lounge stehen die Ledersessel an den Tischen, an der Bar wartet die Kaffeemaschine nur darauf, angeschlossen zu werden. Die Durchsageanlage funktioniert einwandfrei, es sieht alles aus, als ob gestern der letzte Flug rausgegangenen wäre. Es riecht ein wenig fahl, und die Werbetafeln aus dem prädigitalen Zeitalter, beispielsweise für die insolvente Glitnir-Bank, erinnern daran, dass hier seit acht Jahren kein Passagier mehr durchgekommen ist, sondern nur das Personal sporadisch Wartungsarbeiten durchführt und putzt, um alles betriebsbereit zu halten. Vor dem nächsten Sommer soll das 2004 eröffnete und 2008 geschlossene Terminal B am Findel wieder in Betrieb genommen werden.

Viereinhalb Millionen Euro müssen dafür investiert werden, erklärt Johan Vanneste, CEO von Lux-Airport. Die vorhandene Bar verschwindet und wird in einer anderen Ecke untergebracht, einige Büros werden ebenfalls abgerissen, um mehr Raum für Passagiere zu schaffen. Die größeren Arbeiten werden außerhalb des Gebäudes stattfinden. Ein Lager gegenüber wird verkleinert werden, damit größere Flugzeuge als bisher einparken können. Und bevor die Verbindungsbrücke zwischen Terminal A und B ausgebaut werden kann, müssen die Fundamente des alten Flughafens ausgebaggert und neu verfüllt werden. Ab Sommer 2017 können dann Regionalflugzeuge das Terminal B nutzen, die nicht größer als eine Boeing 737-700 (33,6 Meter Länge) sind. „Für uns ist das eine positive Sache“, sagt Luxair-Direktor Adrien Ney. Für die Passagiere auch. Denn weil weniger Flugzeuge auf Außenpositionen parken müssen, fallen die Busfahrten zwischen Terminal und Maschine aus, was das Einsteigeverfahren verkürzt und deutlich angenehmer gestaltet – und es außerdem billiger für die Gesellschaften macht. Die Umbaupläne von Lux-Airport sehen jetzt schon vor, dass auch die Verbindungsbrücke zu weiteren zwei Flugsteigen ausgebaut werden kann, an denen auch Flugzeuge ab der Größe einer Boeing 737-800 (39 Meter) parken könnten.

Der Ausbau am Findel drängt, denn es wird eng. Dass das Terminal A seine Maximalkapazität von drei Millionen Passagieren bald erreicht, könnten Passagiere, die donnerstags- oder freitagsabends reisten, selbst beobachten, meint Adrien Ney. „Da ist es sehr voll.“ Das ist nicht nur ein subjektiver Eindruck oder ein Stoßzeitenproblem. Stagnierten die Passagierzahlen zwischen 2005 und 2010 bei zwischen 1,5 und 1,6 Millionen Passagieren jährlich, hat sich das Wachstum seit 2011 deutlich beschleunigt. Vergangenes Jahr passierten 2,7 Millionen Reisende den Flughafen. „Dieses Jahr werden wir die drei Millionen überschreiten“, so Vanneste. Denn wuchsen die Passagierzahlen am Findel schon in den vergangenen Jahren mit im Schnitt zwölf Prozent jährlich deutlich schneller als an anderen europäischen Flughäfen, beschreibt der Flughafendirektor die Entwicklung der vergangenen Monate als „unglaublich“. Allein im ersten Quartal 2016 wurden 580 000 Passagiere gezählt, 22 Prozent mehr als vergangenes Jahr. Fast im Monatsrhythmus nehmen neue Airlines Kurs auf den Findel, und das obwohl Lux-Airport, in den vergang­enen Monaten mit der Neuausschreibung und dem Umbau der Geschäftsflächen und der Parkmöglichkeiten beschäftigt, keine Marketing-Anstrengungen unternommen hat.  Vergangenen November nahm Chalair den Betrieb nach Lyon auf. Im Februar zog die Billiglinie von Air France, Hop, nach. Seit März verbindet die polnische Lot Luxemburg mit Warschau, seit diesem Monat bietet Aegean eine Verbindung nach Athen, ab September fliegt Flybe nach Manchester und Birmingham und Ryanair nach London und Porto.

Wie sich diese neue Anziehungskraft des Flughafens erklärt und wann die Entwicklung genau begann, darüber gehen die Meinungen ein wenig auseinander. „Zum Teil sind wir selbst dafür verantwortlich“, sagt Luxair-Direktor Adrien Ney über das Interesse der Billig-Airlines. „Luxair hat die Tarifstruktur geändert und die Frequenzen erhöht.“ Und hat damit selbst beachtliches Wachstum bei den Passagierzahlen erreicht: zwischen zwölf und 13 Prozent in den vergangenen drei Jahren – die Passagierzahlen von Luxair und Flughafen sind parallel angestiegen. 2014 beförderte die Luxair erstmals mehr als eine Million Passagiere. Das Budget für 2016 geht von 1,2 bis 1,3 Millionen Passagieren aus – obwohl Lufthansa die verkehrsreiche Frankfurt-Strecke übernommen hat. Durch die steigenden Passagierzahlen sei Luxemburg auch für andere Airlines attraktiv geworden, erklärt Ney, der den entscheidenden Augenblick für den Start der Entwicklung auf 2011 datiert, als sich Darwin Airline auf der Genf-Route ankündigte. Dass Darwin die Luxair gezwungen habe, im Wettbewerb mitzuziehen und deshalb seine Tarifpolitik neu zu gestalten, will Ney aber nicht gelten lassen.

Johan Vanneste hat als Direktor der regionalen Airline VLM den allseits abgestrittenen Protektionismus zugunsten der Luxair selbst erlebt, bevor er Flughafendirektor am Findel wurde. Er datiert den Wendepunkt auf die Zeit kurz vor seinem Wechsel, „2012, als jemand die mutige Entscheidung traf, Easyjet und Vueling zuzulassen.“ Im darauffolgenden Jahr folgte Turkish Airlines.

Auch am Terminal A wurden schon Umbauarbeiten durchgeführt, um die Abflughalle zu vergrößern – der Glaskäfig, der die ankommenden Passagiere von den abfliegenden trennt, wurde abgeschafft. Die Grenze zwischen dem Schengen- und Nicht-Schengen-Raum innerhalb des Terminals ist seit kurzem durch Türen „verschiebbar“, so dass je nach Nachfrage, die Zahl der Flugsteige und der Wartefläche für die Passagieren in dem einen oder anderen Bereich vergrößert werden kann. Mit der Wiedereröffnung des Terminal B mit seinen neun Flugsteigen steigt die Kapazität in Findel auf einen Schlag um 700 000 Passagiere jährlich. Deshalb baut die Betreibergesellschaft auch in anderen Bereichen um. Beispielsweise in der Passkontrolle für die ankommende Fluggäste, die außerhalb der Schengen-Zone an Bord gegangen sind. Eine Million Euro investiert Luxairport in diese Erweiterung, die auch im Hinblick auf die Einrichtung einer transkontinentalen Verbindung wichtig ist. Turkish Airlines, sagt der grüne Infrastrukturminister François Bausch, habe immer noch Interesse vielleicht ab kommendem Jahr eine Verbindung nach New York anzubieten. „Es gibt auch andere Pisten, die sind aber noch sehr unkonkret“, so Bausch. Auch in der Heimatstadt der Cargolux-Aktionäre Zheng­zhou gebe es Überlegungen, eine direkte Verbindung nach Luxemburg aufzubauen – mit der Hochgeschwindigkeitsbahn, die unter dem Flughafen abfährt, ist man von Zhengzhou aus schnell in Peking; die Anbindung an Shanghai soll bald fertiggestellt sein. Doch in der aktuellen Konfiguration könnte der Findel, die Passagierkonzentration nicht bewältigen, die durch ein Großraumflugzeug, wie es auf Interkontinentalstrecken zum Einsatz kommt, entsteht. Es fehlt am Warteraum und eben an Schaltern für die Pass- und Visakontrolle; daher die Umbauarbeiten. Auch bei den Sicherheitskontrollen, und an der Gepäckausgabe, stellt sich die Kapazitätsfrage.

Wie lange die bisher geplanten Erweiterungen ausreichen, um die Nachfrage zu bewältigen? Beziehungsweise, wieviel Wachstumspotenzial gibt es noch, und wo kommt es her? „Die Dynamik ist da“, sagt der Infrastrukturminister. Johan Vanneste stimmt ihm zu. „Die Nachfrage übersteigt weiterhin das Angebot“, beobachtet er am Beispiel der Porto-Route. Dort ist das Angebot um 38 Prozent gestiegen, die Nachfrage um 40 Prozent. Obwohl Luxair und andere Gesellschaften das Streckennetz jährlich ausbauen, gibt es einen Konzentrationseffekt auf gewissen Routen. Die britische Hauptstadt London ist Reiseziel Nummer eins ab Luxemburg. Zu und ab den verschiedenen Londoner Flughäfen – City, Heathrow, Gatwick – flogen vergangenes Jahr 400 000 Fluggäste. London City ist mit 185 000 Reisenden die wichtigste Destina­tion, gefolgt von München (163 000), Porto (162 000), Lissabon (147 000), Amsterdam (146 000), Heathrow (142 000), Zürich und Frankfurt (jeweils 123 000).

Auf den Top-Destinationen steigen Angebot und Wettbewerb durch die Ankunft von Ryanair. Ab September fliegen Easy Jet, Luxair und Tap sieben Mal wöchentlich nach Porto, Ryanair fünf Mal. Nach London-City bietet Luxair sechs Flüge täglich, British Airways zwei Flüge täglich nach Heathrow, Easy Jet vier Flüge wöchentlich nach Gatwick und Ryanair einen täglichen Flug nach Stanstead. „Bisher folgt der Markt“, sagt Johan Vanneste. „Konkurrenz ist positiv, so lange es nicht zu einem großen Überangebot kommt“, meint Adrien Ney, der auf das Wirtschaftswachstum, die immer internationalere Zusammensetzung der stetig wachsenden Bevölkerung, die hohe Kaufkraft und das damit einhergehende Reisefieber verweist, um zu erklären, weshalb die Nachfrage nicht abreißt. Die erfolgreiche Ausschreibung einer zweiten Abfertigungsgesellschaft – ab September fertigt die belgische Firma Aviapartner die Ryanair-Passagiere ab – spielt eine Rolle. „Luxair konnte fast alle Verträge erneuern, weiß der Infrastrukturminister. Wie Adrien Ney einräumt, mussten die Preise gesenkt werden. Aber auch bei Ryanair hat er nachgefragt, wem man ein Angebot für die Passagierabwicklung schicken könne.

Dass dieses Wachstum von der Regierung gewünscht und gefördert ist, bestreitet François Bausch. „Uns ist die Konnektivität, die Anbindung an andere europäische Hauptstädte und große Flughäfen wichtig. Aber wenn Ryanair kommt, können wir sie nicht ablehnen. Die würden sonst tags darauf in Brüssel Beschwerde wegen Protektionismus einlegen.“

Ob sich am großen Interesse etwas ändert, wenn die Flughafengebühren angehoben werden? Denn dass es dazu kommt, gilt als ausgemachte Sache. Lux-Airport hat seine Gebühren mit denen anderer europäischer Flughäfen verglichen. Das Ergebnis: sie sind mit 3,50 Euro pro Passagier mit Abstand die niedrigsten. „Sogar wenn wir sie konsequent anheben würden, wären wir immer noch unter den Günstigsten“, sagt Johan Vanneste. Und Lux-Aiport wird seine Einnahmen in den kommenden Jahren steigern müssen. Denn die Gebühren, die nur von abreisenden Passagieren bezahlt werden, machen lediglich einen kleinen Teil des Umsatzes von 42 Millionen Euro 2014 aus.

Doch, erklärt François Bausch, ab einer Passagierzahl von drei Millionen jährlich ändern sich die europäischen Spielregeln für die Flughafensubven­tionierung. Zurzeit darf der Staat, Infrastrukturarbeiten und Dienstleistungen am Flughafen zu 50 Prozent bezuschussen. Wird die Drei-Millionen-Grenze überschritten, sind es nur noch 25 Prozent. Die Kosten für künftige Arbeiten müssten dann zum Großteil von Lux-Airport selbst finanziert werden – doch angesichts der bescheidenen Einnahmen fragt sich, womit. Deshalb will Bausch noch unbedingt dieses Jahr den Gesetzentwurf zur Erneuerung der Start- und Landebahn im Parlament hinterlegen und am liebsten auch abstimmen lassen, um sicherzugehen, dass der Staat die Kosten bezuschussen darf.

Dass die Billigflieger Luxemburg wieder verlassen würden und die Aktivität zurückgehen würde, wenn die Gebühren angehoben werden, glaubt Luxair-Direktor Adrien Ney indes nicht. „Die Tickets würden teurer. Aber die Beträge sind minimal. In Deutschland haben sich die Gesellschaften im Vorfeld auch alle beschwert. Sie sind dennoch alle weiter geflogen.“

Michèle Sinner
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