Der elektronische Pilotenkoffer der Luxair steigert die Sicherheit und spart Kosten

Neues Handgepäck

d'Lëtzebuerger Land vom 07.04.2017

Wie so oft hängt vieles von einer einzigen Person ab, sogar wenn es um den technischen Fortschritt und die Digitalisierung geht. Im Fall des Electronic Flight Bag, der elektronischen Flugtasche von Luxair, heißt diese Person Christophe Destombes. Er ist eigentlich Ingenieur, fliegt aber seit seinen Teenagerjahren. Die Ausbildung zum Berufspiloten absolvierte er als Nebenbeschäftigung, als er bereits berufstätig war. Das Fliegen sei seine Leidenschaft, sagt Detombes, der 2000 als Kopilot bei Luxair anfing, doch irgendwie müsse er neben der Fliegerei seine Neuronen in Schwung halten. Also hat er für seinen Arbeitgeber eine Software geschrieben, ein System entwickelt, das fortschrittlicher sei als diejenigen, die bei Luftfahrtgrößen wie Air France oder Lufthansa im Einsatz sind.

„Die Idee ist, alles Papier zu ersetzen, das an Bord ist“, sagt Destombes. Im 21. Jahrhundert klingt das nach einem bescheidenen Ziel, dennoch war es eine schwierige Aufgabe. Denn erstens ist die Menge an Unterlagen, die Piloten mit ins Cockpit nehmen, beträchtlich. Und zweitens machen die vielen Prozeduren in der Luftfahrt jede Veränderung an Unterlagen, Systemen und Abläufen zur Herausforderung, weil die Flugsicherheitsbehörden ihre Zustimmung und Genehmigung geben müssen.

Der Flugplan, die Wettervorhersagen, die Sicherheitsnotifizierungen für die Flughäfen, das Briefing über den technischen Zustand des Flugzeugs, alles in allem machte das einen Ordner mit bis zu 40 Seiten voll, den die Piloten für jeden einzelnen der rund 30 000 Luxair-Flüge jährlich mit an Bord nahmen. Dazu kamen die Flugkarten mit den Vorgaben für den Anflug der jeweiligen Flughäfen, alles in allem, sagt der Pilot Destombes, ein Koffer von rund 15 Kilogramm Papier, wobei die Karten alle zwei Wochen aktualisiert werden. Den Inhalt dieses Pilotenkoffers hat Destombes auf einen Tablet-Computer reduziert.

Auf diesem Tablet können die Piloten mit der Software, die ihr Kollege geschrieben hat, die Flugvorbereitung durchführen, die Wetterentwicklung am Flughafen und auf der Route in Echtzeit laden, den Treibstoff bestellen, Treppen sowie gegebenenfalls ein Stromaggregat am Zielflughafen oder die Heizung und die Enteisung anfordern. Alles Arbeitsschritte, die vorher manuell, via Telefon oder auf Papier durchgeführt wurden. Die Ausführung aller Flugvorbereitungsprozeduren von einem einzigen Gerät aus soll nicht nur den Piloten das Leben vereinfachen, das Unternehmen spart dadurch Papier und Arbeitskräfte. Denn das System steht per 4G-Mobilfunkverbindung mit den Servern der Gesellschaft in Verbindung, solange und sobald das Flugzeug den Boden berührt. Es übermittelt automatisch die Daten, die vorher von Hand vom Papier in den Computer eingegeben werden mussten.

Die neue Software hilft den Piloten bei der Berechnung der Start- und Landegeschwindigkeit, die je nach Gewicht und den Bedingungen auf der Bahn – trocken, nass, kalt – eine andere ist. Dazu wälzten die Piloten bisher Seiten über Seiten mit Tabellen, um zu ermitteln, wie viele Meter sie für Start und Landung brauchen. Der elektronische Koffer ermittelt einen genaueren Wert als dies den Piloten bisher möglich war. So wird die Motorenleistung beim Start auf das notwendige Minimum beschränkt, was die teuren Triebwerke schont und ihre Lebensdauer verlängert. „Allein dadurch können der Treibstoffverbrauch im Vergleich zum Papiersystem um drei bis vier Prozent und die Wartungskosten um zwischen fünf und sechs Prozent gesenkt werden“, so Destombes. Eine halbe Million Euro habe Luxair investiert, um die Flotte aufzurüsten. Diese Investition, sagt der Erfinder des Systems, habe sich innerhalb von einem Jahr rentiert.

Der neue Pilotenkoffer bietet darüber hinaus zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen, um Fehler und Fehlfunktionen zu vermeiden und anzuzeigen. Während des Flugs kontrolliert das System erstens, wo sich das Flugzeug befindet, und kalkuliert außerdem automatisch, ob der Treibstoffverbrauch angesichts der zurückgelegten Distanz im Einklang mit der geplanten Route steht. Berechnungen, die die Piloten bisher gegebenenfalls selbst durchführen mussten. Das System speichert zudem einen Teil der Daten, die auf den Flugschreibern festgehalten werden, und ermittelt so, ob die Flüge unter sicheren Bedingungen durchgeführt wurden. Destombes nennt eine paar Beispiele: Geschwindigkeitsüberschreitungen während des Flugs, die Geschwindigkeit, mit der die Landeklappen ausgefahren werden, oder harte Landungen. Hatte ein Pilot Zweifel, ob die Kräfte, die bei der Landung auf das Flugzeug wirkten, zu groß waren, konnte er darauf auch bisher von sich aus aufmerksam machen. Bemerkte das Flugpersonal nichts, wurde eine zu harte Landung auch bisher entdeckt, nämlich beim wöchentlichen Wechsel der Disketten in den Flugschreibern. Der elektronische Pilotenkoffer, erklärt Destombes, prüfe diese Parameter und sende sie automatisch an die Server der Gesellschaft, so dass die Prüfung auf mögliche Schäden schnellstmöglich durchgeführt werden könne.

Die Entscheidung, eine eigene Software zu schreiben, statt sie bei einem externen Dienstleister einzukaufen, sei 2007 gefallen, weil kein vergleichbares Produkt verfügbar gewesen sei. Wohl habe es Programme zur Berechnung des Treibstoffs gegeben, solche zur Leistungskalkulation oder zur Berichterstattung. Aber keines habe all diese Funktionen vereint. Vor zehn Jahren aber begann Luxair den Flughafen London-City mit seiner kurzen Start- und Landebahn anzufliegen, und umso dringender wurde die kilogenaue Leistungsberechnung. Denn die Tabellen, welche die Piloten vorher zur Hand nahmen, machen konservative Vorgaben und sehen Sicherheitsmargen vor. Das neue, präzisere System erlaubte 300 bis 400 Kilo dieser Marge „einzusparen“, wodurch vier bis fünf weitere Passagiere beim Start in London an Bord der kleinen Luxair-Jets genommen werden konnten. Danach baute Destombes das System immer weiter aus, erst um die Flugberichte zu digitalisieren, danach um die Flugpläne einzubauen.

2014 schließlich wurde das System mit seinen heutigen Funktionen operationell. Während eines Jahres wurde es parallel zum Papierbetrieb getestet, bis die Direction de l’aviation civile es als gleichwertig anerkannte. Seither wurde es auf die Flugbegleiter ausgeweitet. Statt einer Passagierliste auf Papier, die nach dem abgeschlossenen Boarding zum Flugzeug gebracht wurde, können die Flugbegleiter auf ihrem Tablet-PC nun die digitale Passanger Information List einsehen, die über Namen und Sitzverteilung hinaus mehr Informationen bietet als früher – beispielsweise über die Ernährungseinschränkungen der Passagiere, aber auch über ihre Flugverbindungen und verspätungsbedingte Änderungen.

Abgeschlossen ist das Projekt damit für Destombes noch nicht. Derzeit arbeiten er und der Kollege, der ihn bei der Software-Konzeption unterstützt, daran, ihr digitales Tech-Log, das Dokument, das Auskunft über den Wartungszustand eines Flugzeuges gibt, homologieren zu lassen. An andere Firmen verkauft habe Luxair ihren elektronischen Pilotenkoffer bisher nicht. Zwar würden andere Gesellschaften anerkennen, dass der Koffer ihren Systemen weit voraus sei, doch der Markt sei klein, und um das Programm zu verkaufen, brauche man ein richtiges Verkaufsteam. Ein solches gebe es bisher nicht.

Michèle Sinner
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