Durch die Verlagerung von Flugzeugen nach Mailand will das Cargolux-Management kurzfristig sparen. Internen Dokumenten zufolge ist eher das Gegenteil der Fall

Feedback

d'Lëtzebuerger Land vom 20.11.2015

Bringt die Flugzeuge zurück, stellt die Leute hier ein und spart Geld – so in etwa könnte man den Inhalt des Feedback-Formulars zusammenfassen, das ein Mitarbeiter der Crew-Planung von Cargolux Mitte Oktober ins interne System stellte. Darin erklärt der Mitarbeiter, warum seiner Ansicht nach die Verlagerung von Flugzeugen zur Tochterfirma Cargolux Italia in Mailand dem Unternehmen Zusatzkosten verursacht. Kein uninteressantes Detail aus zweierlei Gründen: Weil die Tarifvertragsverhandlungen mit den Piloten kommende Woche in die letzte Runde gehen und diese vorsorglich eine Urabstimmung über Arbeitskampfmaßnahmen abgehalten haben. Und weil die Firmenleitung unter CEO Dirk Reich erst im August 2014, Wochen vor dem Auftakt der Tarifvertragsverhandlungen, entschied, ein zweites Flugzeug nach Italien zu verlagern. Im Februar folgte dann die Ankündigung, man wolle die „ICV“-Flotte auf fünf Maschinen ausbauen. Dieser Ausbau von Cargolux Italia, betonten Dirk Reich und Finanzchef Richard Forson, sei die „einzige Lösung“, um die Verluststrecken nach Afrika und Lateinamerika weiterbedienen zu können und so auch Arbeitsplätze in Luxemburg zu sichern. Denn die Piloten der Cargolux Italia kosteten die Firma weniger Geld und arbeiteten darüber hinaus mehr als ihre Luxemburger Kollegen. Die Verlagerung von Flugzeugen nach Milano Malpensa, das hatte Reich schon vor über einem Jahr so beschrieben, sei eine kurzfristige Sparmaßnahme. Als „low cost specialist to Latin America & Africa“ wurde die Tochtergesellschaft in einer Pressepräsentation im September 2014 bezeichnet.

Dass die Kosten wirklich „low“ sind, bezweifelt ein Mitarbeiter, der es wissen muss, da die Erstellung der Flugpläne zu seinen Aufgaben gehört. Im Feedback-Formular beschreibt er, dass durch das Unterhalten paralleler Flugoperationen zweimal so viel Arbeit entstehe, und die Mitarbeiter frustriert seien. „Double work in regards to crews based in MXP and Lux – high amount of cost involved in double set up – admin/resources/training organisation. Unhappy and frustrated staff – and crew members having to work with unclear, dubious and ever changing rules and regulations imposed by someone at their liking. No clear guidelines despite having documentation in place, agreed procedures – but depending on the time of day it is either a misunderstanding on either part or things have suddenly changed.“

Während die Firmenleitung im Rahmen der Tarifverhandlungen hervorhebt, die „Italiener“ verdienten nicht nur weniger als die „Luxemburger“, sondern seien auch produktiver, weil sie über weniger freie Tage verfügten und mehr Flugstunden absolvierten, beschreibt der Crew-Planer, dass die Realität anders aussieht, und sich die Situation durch die neuen euro­päischen Flugzeitbestimmungen umkehren wird. Sein Vorschlag, um zu sparen, lautet: „Return all four aircraft to Lux-base AND offer all Cargolux Italia crew members a contract in LUX and transfer all four aircraft back to Luxembourg as this will create a huge cost advantage for the crew resources in Lux. Coming February 2016 everyone will have to follow EASA FTL anyway, so the ‚apparent advantage’ of less restrictive days-off will go away anyway. (...) There is no more advantage of having ICV crew members based in MXP as they basically are able to work less than CLX crews ex Lux in terms of work und duty limitations. With the EASA FTL coming in the advantage of off-days will now also disappear, so this is the perfect opportunity for synergies and cost-saving and bring all together in LUX – all training done here, everyone under the same rules and regulations – lots of cost savings to be made.“

Eine Aussage, die den Standpunkt der Piloten in den Tarifverhandlungen stützt. Sie hatten bereits Ende vergangenen Jahres angeboten, sofort nach den besagten EASA-FTL-Regeln zu arbeiten, unter Berücksichtigung kleiner Zeitpuffer, damit nicht bei jeder kleinen Flugzeitüberschreitung ein Bericht an die Flugsicherheitsbehörde DAC fällig werde. Dadurch hätte das Unternehmen bei einer schnellen Umsetzung noch für 2015 laut Berechnung der Pilotenvereinigung ALPL schon vier Millionen Dollar sparen können. Doch darauf ließ sich das Management nicht ein, weil man den Piloten lieber Zugeständnisse bei ihren freien Tagen abringen möchte, von denen die Italiener derzeit weniger haben als die Luxemburger.

Das ist ein Vorteil, der, glaubt man der Notiz von Crew Control, nur bedingt greift. Das liegt auch daran, dass von den vier Cargolux Italia Flugzeugen tatsächlich nur eines ab Malpensa fliegt. Das bedient Asienstrecken nach Japan und nach Zhengzhou in China, der Heimat der Cargolux-Aktionäre von HNCA, die eigentlich mit dem Versprechen der Dual Hub Strategie eingestiegen waren, nach der Zhengzhou die chinesische Drehscheibe und Findel die europäische Drehscheibe der Cargolux-Geschäfte sein soll. Die anderen drei absolvieren Routen ab und nach Luxemburg („ex Lux“, wie es in der Notiz heißt). Allerdings bislang vor allem nach Afrika, nicht nach Lateinamerika, wie vom Management angekündigt.

Das alles führt auch dazu, dass die Piloten, deren Basis theoretisch in Mailand ist, viel Zeit damit verbringen, nach Luxemburg zu pendeln, um ihren Dienst anzutreten. Und auch dazu, dass das Cargolux-Netzwerk insgesamt an Flexibilität verliert. Ein Beispiel: An einem Flughafen landet eine „italienische“ Cargolux-Maschine. Die Piloten haben ihre maximale Flugzeit absolviert und müssen erst einmal Pause einlegen. Gut möglich, dass dort „Luxemburger“ Piloten sind, die bereits ausgeruht sind. Dennoch können sie das Flugzeug nicht übernehmen, das darf nur eine neue „italienische“ Crew, die dann extra dorthin kommen muss. Oder das Flugzeug kann am Boden bleiben, bis die Italiener wieder weiterfliegen können. Die „Luxemburger“ ihrerseits warten, bis die nächste Luxemburger Maschine kommt, die sie dann übernehmen können. Oder sie fliegen auf Passagierflügen anderswohin, um den Dienst wieder anzutreten.

Auf die Frage, welche Einsparungen der Vorschlag bringt, alle Italien-Flugzeuge und Crews nach Luxemburg zu bringen, antwortet der Crew-Planer im Feedback-Formular: „Don’t know, as I am not a financial expert, but looking at all theses crew tickets to/from Lux plus hotel, the amount must be rather high. A rather high amount of money is being spent on „double-set-up“ in terms of ATO (training organisation in LUX and MXP – manpower, difference in training, manuals and approval process). End of frustration amongst staff and crew members. End of double/triple work for no added values or benefit. Happy crew members with a planable future and the possibility to keep staying on as crew members (we have just lost four pilots within the last seven days with ICV) Regain flexibility with aircraft fleet being sent places where ALL crew members can operate the next flight! No more mess with Africa operations and crews not being (able) to operate the next available flight passing through a station (ticket savings rather high!).“

Vier Kündigungen binnen einer Woche – die italienischen Crews sind definitiv nicht „happy“, und es hat in den vergangenen Monaten weitere Kündigungen gegeben. Ein Cargolux-Italia Pilot war so sauer, dass er gleich zweimal kündigte. Nachdem er ohnehin im „Préavis“ war, schmiss er seinen Job nach einem besonders kafkaesken Einsatz mit sofortiger Wirkung hin. Seine Uniform und seinen Firmenausweis legte er im Firmensitz von Cargolux in Findel auf die Theke am Empfang. Sein freier Tag war erst in Standby umgewandelt worden, dann sollte er zwei Afrika-Rotationen ab Luxemburg fliegen, dann wurde das Programm wieder kurzfristig geändert und er musste ab Mailand über Almaty nach Hongkong. Also versuchte der Pilot herauszufinden, ob er an Bord einer Cargolux-Maschine nach Mailand pendeln dürfe, um seinen Dienst anzutreten, da er so kurzfristig kein Flugticket nach Malpensa kaufen konnte – die Regeln darüber, ob die Crews an Bord von Cargolux-Maschinen pendeln dürften oder nicht, hatten sich binnen eines Monats geändert. „Since it was a weekend I knew that a request with ICV makes no sense and also an e-mail to the DOF (Director of flight operations, Anmerkung der Redaktion) would be a WASTE OF TIME“, schreibt der Pilot in einer saueren Abschiedsmail an die Firma. Er erhielt nie eine Antwort. Nach dem Ende seiner Rotation in Mailand stand er vor dem gleichen Problem: Er musste zurück nach Luxemburg und fragte deshalb, ob er einfach an Bord der Maschine bleiben dürfe, die nach Luxemburg flog. Er durfte nicht. „The answer was already known in advance because we pilots with Cargolux Italia have no value.“ So musste er nach einem siebenstündigen Flugeinsatz achteinhalb Stunden in Mailand warten, um einen Luxair-Flug nach Luxemburg zu bekommen. Aus Müdigkeit vergaß er seinen Laptop und sein Telefon an der Sicherheitskontrolle, musste einen Sprint einlegen und war schließlich so am Ende, dass er während der Fahrt nach Hause einnickte.

„I HAVE NEVER EXPERIENCED SUCH ARROGANT AND UNPROFESSIONAL TREATEMENT IN MY LIFE BEFORE AND REST ASSURED I FLEW FOR SOME REAL GOOD AND SOME REAL BAD OUTFITS: I THOUGHT I SAW IT ALL AND IT WON’T GET ANY WORSE : BUT HECK WAS I WRONG“, so der Pilot, der für Cargolux Italia über den Flugdienst hinaus neue Rekruten ausbildete. Sich ein Hotelzimmer in Luxemburg zu nehmen, bevor er nach Hause fahren würde, schloss der Kapitän ausdrücklich aus: „WELL IF YOU PAY PEANUTS YOU SHOULD HIRE MONKEYS.“ Sein Monatsgehalt hatte in den vergangenen Monaten 6 000 Euro oder weniger betragen, davon gab er zwischen 1 200 und 1 300 Euro aus, um zum Dienst oder wieder nach Hause zu kommen.

Wütende Piloten, hohe Reisekosten, Trainings- und Organisationskosten für die Firma, weniger Flexibilität im Netzwerk – das alles spricht nicht dafür, dass die Sparpläne aufgehen, die es von Anfang an ein wenig an Glaubwürdigkeit fehlen ließen. Die Kosten für die Zulassung als Fluggesellschaft in Italien, so hatte man dem Verwaltungsrat auf Nachfrage mitgeteilt, betrügen 3,5 Millionen Dollar im Jahr. Der Kostenvorteil eines „italienischen“ im Vergleich zu einem „Luxemburger“ Flugzeug aufgrund der niedrigen Besatzungsgehälter liegt bei 1,5 Millionen Dollar. Also mussten überhaupt erst drei Flugzeuge nach Mailand geschafft werden, damit sich die Italien-Operation rechnen könne, die ursprünglich gegründet wurde, um sich Flugrechte nach Japan zu sichern.

Dass man die Zahl der Flugzeuge in Mailand überhaupt erst erhöhen musste, um die Fixkosten von in diesem Jahr voraussichtlich 2,2 Mil­lionen Dollar zu decken, sieht auch Dirk Reich so. Die Kosteneinsparungen durch den Einsatz der italienischen Crews auf den Afrika-Strecken ab Luxemburg würden ein Vielfaches der Fixkosten betragen, unterstreicht er. Und dadurch würde der Einsatz der Cargolux-Italia-Piloten auch dazu beitragen, Arbeitsplätze in Luxemburg zu sichern, in der Maintenance beispielsweise oder im Frachtzentrum. Darüber hinaus verfüge die italienische Gesellschaft immer noch über Flugrechte, die der Luxemburger Gesellschaft nicht zur Verfügung stünden. Das Feedback aus der Crew-Planung hatte Dirk Reich nicht gesehen, als er vom Land darauf angesprochen wurde.

Michèle Sinner
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