Unzählige Male war Venedig bereits Schauplatz für Filme, man denke an Don’t Look Now (1973) von Nicolas Roeg und natürlich Luchino Viscontis Adaption der Novelle von Thomas Mann Muerte a Venezia (1971). Die Faszination, die von dieser Stadt ausgeht, liegt besonders in ihrer betörenden Romantik, aber auch in der zwielichtigen Morbidität, eine Stadt, die buchstäblich dem Untergang geweiht ist, die vielen engen Gassen ein Labyrinth. In seinem neuesten Filmabenteuer A Haunting in Venice hat es nun auch den Meisterdetektiv Hercule Poirot nach Venedig verschlagen; es ist ein Exil, das ihn vor den neugierigen Blicken seiner Bewunderer und den aufdringlichen Anfragen neuer Klienten abschirmen soll. Doch der Detektiv findet keine Ruhe: Die ehemalige Weggefährtin Ariadne Oliver (Tina Fey) sucht ihn auf, um ihn zu einer Séance einzuladen. Es soll spuken in dem Anwesen der Hausherrin Rowena Drake (Kelly Reilly). Der Geist ihrer verstorbenen Tochter Alicia sei noch immer in dem Palazzo eingeschlossen. Die obskure Mittlerin zwischen den Welten, Mrs. Reynolds (Michelle Yeoh), soll in der Lage sein, mit der Untoten Kontakt aufzunehmen. Ariadne packt Poirot bewusst an seinem wohl schwächsten Punkt, seiner Hybris. Poirot ist ein Mann, der seinen Lebensunterhalt, mehr noch seinen legendären Ruf, über den Weg der durch und durch rationalen Deduktion errungen hat. Übernatürliches auch nur einen Moment lang als wahr zu erachten, ließe sein gesamtes lebensweltliches Fundament einstürzen. Er ist entschlossen, das Medium als Hochstaplerin zu entlarven. Doch wenn Poirot auf fremde Gesellschaft trifft, lässt ein Mord nicht lange auf sich warten…
Nach Murder on the Orient Express (2017) und Death on the Nile (2022) ist dies nun der dritte Eintrag in der Reihe um den Meisterdetektiv, und es dürfte mit Blick auf den Handlungsabriss augenfällig sein, dass Branagh nun versucht, die Krimierzählung zu öffnen, um verstärkt Elemente des Geisterhorrorfilms einfließen zu lassen.
A Haunting in Venice basiert wohl noch auf der Vorlage der Krimiautorin Agatha Christie, Hallowe’en Party, ein Spätwerk der berühmten Autorin, die nun mit der Figur der Ariadne als Alter Ego gleichsam in der Filmerzählung präsent ist. Neben der drastischen Kürzung des Figurenensembles ist aber der Wechsel des Schauplatzes für diese Verfilmung bedeutsam. Die Südküste Englands in Christies Roman wurde hier für das ewig im Wasser versinkende Venedig der Nachkriegszeit aufgegeben. Diese Eingriffe in den Originaltext erweisen sich in Branaghs Aneignung als notwendige Erweiterungen, vergegenwärtigt man sich das Problem, vor dem Branagh gestanden haben muss: Wie kann man dem Meisterdetektiv nochmal eine neue Facette abgewinnen? Wie kann man die Spannungskurve erneut anlegen, wo doch ohnehin klar ist, dass für diesen Ermittler kein Fall unlösbar ist?
Mit der Verlagerung ins Jahr 1947 findet sich Poirot in einer Zeit der weltpolitischen Instabilität wieder, die auch ihn nicht unberührt lässt. Vernunft und Verstand müssen auch bei Poirot gelegentlichen Anflügen von Zweifel und Unbehagen weichen. In A Haunting in Venice beobachten wir nicht nur den Detektiv bei der Lösung des Falles, die die Befragung der Verdächtigen einschließt, auch scheint der Fall auf eine Befragung des Helden zu drängen. Die Filmmusik von Hildur Guðnadóttir begnügt sich mit den Klängen einer Soloklarinette, während die Kamera von Haris Zambarloukos immer wieder bizarre und verkantete Positionen einnimmt – die fundamentale Instabilität der Welt hat auch den Detektiv fest im Griff, die auch ansatzweise seine Legitimation fragwürdig macht. A Haunting in Venice verweist stärker als seine beiden Vorgängerfilme auf die Fallhöhe seines Helden; es scheint die einzige Entwicklungsmöglichkeit für die Figur zu sein, um sie vor der eigenen Langeweile und Überdrüssigkeit weiterer, anspruchsloserer Fälle zu bewahren.