Die kurze, aber äußerst fruchtbare Erneuerungsbewegung des amerikanischen Kinos Ende der Sechziger- bis Mitte der Siebzigerjahre brachte eine Reihe ästhetisch innovative, radikale Filme hervor, sowie namhafte Regisseure wie Francis Ford Coppola, Martin Scorsese, Alan J. Pakula – und natürlich William Friedkin. Der amerikanische Drehbuchautor und Regisseur verstarb vergangene Woche im Alter von 87 Jahren, er hinterlässt ein äußerst eindringliches Werk, dessen künstlerischer Rang und Kultstatus heute nicht mehr bestritten wird. Das war nicht immer so: William Friedkin, geboren 1935 in Chicago, arbeitete zunächst als Dokumentarfilmemacher für das Fernsehen, bevor ihm die Tür zur Kinoproduktion offenstand. Es ist seine unerschrockene Eigenwilligkeit bei der kontroversen Themenwahl seiner Filme, die ungemein radikale und auch mitunter anstößige Inszenierungsweise, seine unerbittliche Härte in der Darstellung, die ihn nicht nur in Hollywood sondern auch in der Filmgeschichtsschreibung – als einen routinierten, aber kontroversen Handwerker von Genrefilmen – eher ins Abseits drängte, ja in manchen frühen Darstellungen sogar gänzlich vergessen ließ.
Seine Erfahrungen beim Fernsehen, besonders die Effizienz der Kameraarbeit, machte Friedkin sich zu Nutzen und übertrug sie auf den Kinofilm – und es gelang ihm der Durchbruch: The French Connection (1971) zeigt die brutalen und anrüchigen Ermittlungsmethoden der Polizei bei der Zerschlagung eines französischen Drogenrings in New York. In einem semidokumentarischen Stil gedreht, möchte man meinen, der Film habe seine ästhetischen Wurzeln eher beim italienischen Neorealismus der Nachkriegszeit als bei den ebenfalls in den Vierzigerjahren aufblühenden US-amerikanischen Großstadtkrimis des Film noir. Die Studioaufnahmen gab Friedkin zugunsten des Originalschauplatzes der Straße auf. Große Bekanntheit genießt auch heute noch die überaus spektakulär inszenierte Verfolgungsjagd, in der Gene Hackman in seinem Wagen versucht, mit einer Bahn aufzuschließen – eine Sequenz, die in Filmen unterschiedlichster Genres unzählige Anverwandlungen erfahren hat. Bei aller Rasanz und dem Adrenalin, das Friedkins – im wahrsten Sinne – bewegte Bilder auslösen, die Obsession mit der sein Ermittlerpaar Jimmy Doyle (Hackman) und Buddy Russo (Roy Scheider) agieren, lassen ihr desolates und tristes Dasein ansichtig werden. Es sind Getriebene, ja Besessene, deren Jagd auf Verbrecher manische Züge hat. Pakulas Filme Klute (1971) oder The Parallax View (1974) oder noch Coppolas The Conversation (1974) sind freilich ohne den Hintergrund des Kennedy-Attentats und der Watergate-Affäre nicht zu begreifen, sie bilden eine bemerkenswerte Dimension der Paranoia aus, die bis heute unübertroffen scheint, aber: Alle diese Thriller, so desillusioniert und hart sie sich geben mögen, sie erscheinen beinahe wie gepflegte bürgerliche Unterhaltung gegen die Kälte, mit der William Friedkin operiert. Seine Filme stehen für die ungemein rohen und drastischen Ausläufe des New Hollywood.
William Peter Blattys Roman lieferte die Vorlage für The Exorcist (1973) – Friedkins möglicherweise bekanntestes Werk, das zum Prototypen des okkulten Horrorfilms wurde. Es ist nichts weniger als das „absolute Böse“, das die gutbürgerliche Fassade der amerikanischen Mittelschicht einreißen wird. Ein unsichtbarer Dämon, den man nur Pazuzu nennt, findet seinen Weg in die Welt und ergreift von dem pubertierenden Mädchen Regan (Linda Blair) Besitz. Regan erleidet körperliche Anfälle und gibt allerlei Obszönitäten von sich; sie ist besessen und verweigert sich jedweder Form von Autorität, besonders der Kirche. Diese Abneigung gipfelt in der umstrittensten und anstößigsten Szene des Films, der Blasphemie durch eine Kruzifix-Masturbation. In allen Fällen ist The Exorcist auch ein Film über weibliche Sexualität, über ein Mädchen, das zur Frau wird – ihr sexuelles Erwachen wird da mit der Idee des „absoluten Bösen“ gleichgesetzt, latent steht in diesem Zusammenhang auch der Generationenkonflikt, da ist eine Mutter, die ihre Tochter nicht mehr versteht. Nur noch ein exorzierender Priester kann angesichts der possessiven Übermacht die Rettung bringen. Mit einer okkulten Praktik will er den bösen Geist austreiben. Der Zerfall familiärer Ordnung und Geborgenheit vollzieht sich im Angesicht der kirchlichen Autorität, zu der Friedkin seiner überaus rational-atheistischen Haltung entsprechend auf Distanz geht: So ernst wie er den manischen Sinneswandel seiner jungen Protagonistin auch nimmt, so ungemein kirchenfeindlich und mitunter verhöhnend betrachtet er den Priester, dessen Vorgehensweisen er zu keinem Moment wahrlich affirmiert. Der eigentliche Horror in The Exorcist ist denn auch ein psychologischer, er ergibt sich weniger aus der Angst vor dem unerklärlichen Übernatürlichen, als vielmehr aus dem Übel, das aus der Erkenntnis erwächst, dass der Kampf Gut gegen Böse im menschlichen Wesen selbst beständig ausgetragen wird. Möglicherweise deshalb sorgte The Exorcist bei seinem Erscheinen für Furore, der Film würde Übelkeit, Schwindelanfälle oder auch Ohnmacht auslösen. Die Mund-zu-Mund-Propaganda machte den Film ungemein erfolgreich, dergestalt, dass er das Konzept des Blockbusters vorwegnahm.
Als eine Neuverfilmung von Henri-Georges Clouzots Le salaire de la peur (1953) angelegt, verlagert Friedkin in Sorcerer (1977) das Geschehen in eine nicht weiter definierte lateinamerikanische Dschungellandschaft – überwiegend an seiner Qualität als Remake gemessen, wurden jene Aspekte übersehen, die Friedkin in seinem Werk besonders interessierten: Die Gewichtung der Systemkritik an den lateinamerikanischen Militärdiktaturen, das Hineinwachsen in eine kriminelle Karriere, das die Hauptfiguren maßgeblich bestimmt. Friedkin erwies sich besonders in der Musikgestaltung des Films als visionär, engagierte er für den Soundtrack doch die deutsche Elektroformation Tangerine Dream, deren Klänge dem Film seine besondere atypische auditive Qualität verleihen. In Hollywood indes schien seine Karriere nach dem kommerziellen Misserfolg von Sorcerer – möglicherweise war das thematische Dilemma der friedkinischen Antihelden, das Treten auf der Schwelle zwischen Gut und Böse, dem damaligen Publikum fremd – entschieden.
Mit The Brink’s Job (1978), einer leichter zugänglichen Gangsterkomödie, versucht Friedkin sich wieder aufzurichten, bevor er sich mit Cruising (1980) einer ambitionierteren Herausforderung stellt und seinen Anspruch nach Verismus einmal mehr geltend macht: Wir folgen dem Undercover-Polizisten Steve Burns (Al Pacino), der die schwule Sadomaso-Szene in New York infiltriert, um einen Serienmörder ausfindig zu machen. Basierend auf einer wahren Mordserie rund um den Central Park, die Friedkin minutiös recherchierte, verzichtet er auf Laiendarsteller und setzt hauptsächlich auf Originalschauplätze, so die Schwulenbars mitsamt ihren Stammgästen. In Cruising, der bereits im Vorfeld und nach seinem Erscheinen heftige Kontroversen auslöste, beobachten wir neben der kriminalistischen Handlung, die Spurensuche, Beobachtung, Überwachung und Verfolgung beinhaltet, den Identitätsverlust unseres Helden. Dieser Burns, so unerschrocken und voller Tatendrang er auch ist, begleitet ein tiefes Gefühl der Ambiguität. Er ist jemand, der zwei Leben in einem Körper führt, wie Friedkin es selbst bezeichnete, eine zunehmend ambivalente Figur, die die große schauspielerische Qualität Al Pacinos einmal mehr unter Beweis stellte. Diese Ambiguität ist es, die weit über die Polizeigeschichte hinausgeht; ein Umstand, der den Zuschauern wahrscheinlich Probleme bereitet hat, so sehr bewegt sich diese skandalträchtige Kriminalgeschichte abseits der Standards des damaligen Polizeifilms. Cruising erzählt in äußerst düsteren Nachtbildern von Grenzerfahrungen und -überschreitungen, es sind die Begegnungen mit dem Abgründigen im menschlichen Verhalten, die tiefe Spuren hinterlassen und selbst die Linie, wo man noch die Fassade aufrecht hätte halten können, ist überschritten.
Der pessimistischen, zynischen Ader seiner Arbeiten folgend, knüpft Friedkin mit To Live and Die in L.A. (1985) geradezu nahtlos an The French Connection an. Mit einem ähnlich desillusionierten und distanzierten Blick beobachtet der Film die rücksichtslosen Praktiken eines Polizeiteams, das den Geldfälscher Eric Masters (Willem Dafoe) dingfest zu machen versucht. Richard Chance (William Petersen), der Ermittlungsleiter, geht rachsüchtig und egoistisch vor, die raue Polizeigewalt steht neben der Bereitschaft zur Illegalität dermaßen an der Tagesordnung, dass sie beinahe nebensächlich scheint – ein starkes Kontrastbild zum Polizeifilm der aufrichtigen, komödiantischen Färbung der Achtziger, vergegenwärtigt man sich, dass Beverly Hills Cop im gleichen Jahr auf der Leinwand zu sehen war. Immer auch formt sich bei Friedkin ein kriminelles Großstadtbild, in der identitäre und emotionale Erfahrungen nicht mehr richtig abgeschätzt werden können. Oft übersehen sind bei aller groben und wilden Bewegtheit seiner urbanen Filme die homoerotischen Dimensionen seines Werkes: Tauchte Friedkin mit Cruising augenfällig und ostentativ in die homosexuelle Lederszene ein, so lässt auch ein thematisch weit entfernter Film wie To Live and Die in L.A. bewusst Ambivalenzen in die szenische Gestaltung einfließen. Ob der von Willem Dafoe interpretierte Kriminelle eine Frau oder einen Mann küsst, lässt sich aus der Rückenansicht vorerst nicht eindeutig bestimmen, ein von Friedkin bewusst gesetzter Akzent. Ferner steht da die Bühnenadaptation The Boys in the Band (1970), ein Porträt der US-amerikanischen Schwulenszene, in der Friedkin eine Geburtstagsfeier homosexueller Freunde schildert, für die er einen sehr „unfilmischen“ Stil wählt. The Boys in the Band wurde zu einem Kultfilm, möglicherweise gerade weil die Darstellung von Homosexualität im amerikanischen Kino Anfang der 1970er-Jahre keine Selbstverständlichkeit war.
Da wo die Transparenz erwartet wird, steht bei Friedkin der Zweifel. Seine Filme gehen über ihr jeweiliges Thema hinaus: Die Geisteraustreibung in The Exorcist, der Drogenhandel in The French Connection, der Transport der hochexplosiven Sprengladung in Sorcerer, es sind zuvorderst die Veränderungen der Figuren, die den Zuschauer involvieren, auf tieferer Ebene berühren. Es sind die Ambiguitäten, die sich hinter dem oberflächlichen Schockeffekt ins Bewusstsein graben – denn letztlich sprechen seine Filme von der tiefen Verunsicherung in einer Gesellschaft, die sich ihre eigenen Widersprüche vorhält und Abgründe aufreißt. Deren Anomalien, Perversionen, Korruptionen und Verirrungen bringt Friedkin mit einer unerbittlichen Klarsicht an die Oberfläche. Es ist diese eigenwillige und unnachgiebige Haltung, die die Wesenszüge seiner Filme maßgeblich bestimmt und ihn freilich auch zum Wegbereiter für die kommende Generation macht – Nicolas Winding Refn oder Gaspar Noé etwa gelten als äußerst kontroverse, transgressive Filmemacher, besonders die Rohheit in der Gewaltdarstellung wird zwar mitunter kritisiert, aber überwiegend als künstlerisch anspruchsvoll anerkannt, ein Umstand, den man zuvorderst den abgründigen, grenzüberschreitenden Filmvisionen Friedkins zuschreiben mag. Entgegen diesem werkimmanenten düsteren Image war Friedkin zeitlebens ein offenherziger, bereitwilliger Geschichtenerzähler, einer, der es liebte, in Interviews ausschweifend von seinen Filmerfahrungen zu plaudern. Selbstironisch, selbstkritisch, sich nicht verstellend, bekundete er in zahlreichen Gesprächen – so auch im Rahmen des Luxembourg City Filmfestivals von 2021, wo er als Ehrengast geladen war – gegenüber Filmkritikern und Filmemachern seine Bedenken an der Entwicklung der heutigen Filmindustrie – ungeniert sich selbst vermarktend, als einer, der sich, den Kritikern und dem Publikum nichts mehr zu beweisen hat.
Sein letzter Film, The Caine Mutiny Court-Martial, eine Geschichte um einen Marineoffizier, der sich wegen Meuterei vor Gericht verantworten muss, eine Adaption des gleichnamigen Stücks von Herman Wouk, wird bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig seine Uraufführung feiern.