In den vergangenen Wochen haben die Plattformgiganten Wolt, Uber, Bolt und Uber Eats Luxemburg entdeckt. Obwohl Scheinselbständigkeit künftig gesetzlich unterbunden werden soll

Flott Aarbechtsplazen

Wolt ist seit Ende Februar in Luxemburg aktiv
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 05.07.2024

Ob es an der neuen businessfreundlichen CSV-DP-Regierung und dem von ihr angekündigten Bürokratieabbau oder dem Versprechen von CSV-Premierminister Luc Frieden, „flott Aarbechtsplazen“ zu schaffen liegt, ist schwer zu sagen, doch seit einigen Wochen drängen die multinationalen Plattformgiganten nach Luxemburg. Sowohl im Bereich des Personentransports als auch in dem der Essenslieferung. Die App des kalifornischen Vermittlungsdiensts Uber wurde am 18. Juni von DP-Mobilitätsministerin Yuriko Backes höchstpersönlich gelaunched, vergangene Woche hat sich mit der estnischen Plattform Bolt ein weiterer Global Player angekündigt. Der finnische Lieferdienst Wolt ging Ende Februar an den Start und beschäftigt eigenen Angaben zufolge inzwischen 17 Mitarbeiter/innen in seiner Verwaltungszentrale am Boulevard Prince Henri in der Oberstadt, Uber Eats hat Anfang Mai eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Sàrl.) in Luxemburg registriert und könnte ebenfalls bald mit Essenslieferungen beginnen.

Bis vergangenes Jahr hatten die multinationalen Plattformkonzerne Luxemburg gemieden. „[Car] le principe même de l’entreprise ne correspond pas aux normes sociales et aux taxes appliquées au Grand-Duché“, hatte 2019 eine Öffentlichkeitsbeauftragte von Uber gegenüber Paperjam ihre Vorbehalte begründet. Durch die Zusammenarbeit mit Webtaxi des Traditionsbetriebs Emile Weber hat Uber sich nun vorerst in diese sozialen Normen eingefügt, ohne aber über eine eigene Niederlassung in Luxemburg zu verfügen. Das Bekenntnis von Bolt, „in Kontakt mit mehreren Dutzend luxemburgischen Taxifahrern“ zu stehen, die der Plattform beitreten wollten, rief vergangene Woche die Gewerkschaften auf den Plan. Der LCGB befürchtete in einer Stellungnahme die Schaffung von Scheinselbstständigen im Taxiwesen, der OGBL forderte die Einhaltung des Arbeitsrechts und des Branchenkollektivvertrags. Gegenüber dem Land beteuert Bolt-Sprecher Marc Naether, seine Plattform wolle ebenfalls nur mit professionellen Fahrern zusammenarbeiten und stehe sowohl mit Taxiunternehmen als auch lizenzierten freiberuflichen Taxifahrer/innen in Verbindung. Ob beziehungsweise wann Bolt sich in Luxemburg niederlassen werde, sei indes noch unklar.

Unwahrscheinlich ist aber, dass die Plattformunternehmen nur das Geschäft der etablierten Taxiunternehmen in Luxemburg beleben wollen. Dass eine Reform des Taxigesetzes in Arbeit ist, hat sich herumgesprochen. Das Taxigeschäft wurde zwar in den vergangenen Jahrzehnten schrittweise dereguliert (d’Land, 22.1.2021), doch die Zahl der Lizenzen blieb auch nach der letzten Reform von 2017 (auf 550) begrenzt. Die Pläne des vorigen Mobilitätsministers François Bausch (Grüne), diese Begrenzung aufzuheben und Lizenzen auch an sogenannte voitures de location avec chauffeurs (VLC) zu vergeben, scheiterten: Sein vor drei Jahren im Parlament hinterlegter Gesetzentwurf schaffte es in der letzten Legislaturperiode nicht zur Abstimmung.

CSV und DP wollen die „Reform der Reform“ von 2017 nun auf der Grundlage von Bauschs Entwurf umsetzen, den Text jedoch anpassen, um den „aktuellen Entwécklungen am Secteur“ Rechnung zu tragen, teilte das Mobilitätsministerium dem Land diese Woche mit. Bis September möchte Yuriko Backes ihre Abänderungen vorlegen. Die Einteilung in regionale Zonen und die Begrenzung der Lizenzen sollen aufgehoben werden, gleichzeitig soll diese Marktöffnung von strengeren Zulassungskriterien und Weiterbildungsmaßnahmen für Fahrer/innen und Betreiber/innen begleitet werden. Was das genau heißt, ist noch unklar. Firmen mit Beschäftigten, aber auch (selbstständige) Einzelunternehmer sollen laut Mobilitätsministerium künftig VLC-Fahrten anbieten können, vorausgesetzt, sie verfügen über eine Niederlassungsgenehmigung und eine Lizenz.

Taxifahrer/innen behalten das exklusive Vorrecht, Fahrgäste an der Straße „aufzulesen“ und sich auf die für Taxis vorgesehenen Stellplätze etwa am Flughafen und am Bahnhof zu stellen. Auch dürfen sie weiterhin Fahrten nach einem Kilometerpreis berechnen. Die Bestimmungen für die VLC werden den Anforderungen der Plattformbetreiber angepasst: Fahrten müssen vorab (per App) reserviert und der Preis den Kund/innen mitgeteilt werden. Bauschs Gesetzentwurf sah vor, dass VLC mindestens eine Stunde im Voraus gebucht werden müssen. Ob diese Frist, die in vielen anderen Ländern wesentlich kürzer ist, beibehalten wird, sei noch nicht bekannt, antwortet das Mobilitätsministerium auf Land-Nachfrage, die genauen Modalitäten würden zurzeit noch „mam Secteur analyséiert“: „Wichteg ass, eng gréisstméiglech transparent Offer fir de Client ze schafen an dat zu abordabele Präisser.“

Die vor zwei Jahren von François Bausch in Aussicht gestellte staatliche Plattform zur Buchung von Taxis und VLC, die der grüne Mobilitätsminister als öffentliche Alternative zu Uber und ähnlichen Diensten entwickeln wollte, ist inzwischen vom Tisch. „Duerch déi nei Entwécklungen um Marché ass esou eng Plattform momentan ëmmer manner néideg“, bestätigte das Mobilitätsministerium diese Woche.

Plattformen zur Essenslieferung gibt es inzwischen zuhauf. Vor allem während der Corona-Pandemie mit ihren Ausgangssperren und sanitären Einschränkungen hatte die Branche geboomt. Wedely und später auch Goosty hatten das Geschäftsmodell der multinationalen Plattformanbieter in Luxemburg kopiert und sich auf die Auslieferung von Mahlzeiten spezialisiert, die die Restaurants bis dahin größtenteils selber ausgeführt hatten. Wedely konnte sich seitdem als Platzhirsch etablieren, hat die Konkurrenzplattform Foostix übernommen, schloss Exklusivverträge mit Fastfood-Ketten wie Mc Donald’s und Pizza Hut ab.

Seit der Boom nach dem Ende der Corona-Restriktionen abgeklungen ist, dehnen die Multis sich auf der Suche nach neuen Absatzmärkten von den europäischen Metropolen in die Provinz aus. Gegenüber Wolt und Uber Eats dürfte es für Wedely schwierig werden, seine Vormachtstellung in Luxemburg zu behaupten. Wolt, das als finnische Startup begann, wurde 2022 vom US-amerikanischen Marktführer Door-Dash übernommen und verfügt über wesentlich mehr Ressourcen, Erfahrung und Know-how als der Lokalmatador. Schon wenige Wochen nach dem Start in Luxemburg hat die Plattform ihren Aktionsradius von der Hauptstadt und ihrer Umgebung in die Südregion erweitert. Wolt liefert nicht nur Pizzas, Burger und Sandwiches, sondern auch andere Waren, bietet inzwischen sogar eine monatliche Flatrate an. Teil der globalen Strategie der Plattform sei es, mit Essen zu beginnen, um ihr Angebot nach und nach um andere Bedarfsgegenstände auszuweiten, erklärt der Geschäftsleiter von Wolt Luxemburg, Ludvig Helmertz, im Gespräch mit dem Land. In rund 20 Ländern betreibe die Plattform bereits sogenannte Dark Stores, supermarktähnliche Hallen, in denen Waren zur Auslieferung gelagert werden. Persönlich einkaufen dürfen Kund/innen dort nicht, die Artikel können nur online bestellt werden. Ob Wolt auch in Luxemburg einen Dark Store eröffnen wird, will Helmertz noch nicht verraten.

Um der Konkurrenz durch Wolt und bald wohl auch Uber Eats standzuhalten, will Wedely sein Angebot ebenfalls erweitern. Gegenüber dem Wirtschaftsmagazin Forbes Luxembourg kündigte Geschäftsführer Filippo Biasotto im April an, die Plattform wolle ihre Kund/innen künftig mit Schuhgeschäften und anderen Betrieben aus dem Einzelhandel „in Verbindung setzen“. Mit Wepharma hat Wedely zudem das Medikamentengeschäft im Blick, funktionsfähig ist die Plattform aber bislang nicht.

Die Gig-Economy könnte demnach nicht nur die Gastronomie, sondern auch den Einzelhandel grundlegend verändern. Seit Jahren stehen die Plattformen jedoch wegen ihres Geschäftsmodells in der Kritik. Die Beanstandungen betreffen vor allem die Zusammenarbeit mit den Fahrer/innen. Zwar kooperieren sowohl Wedely als auch Wolt mit sogenannten fleet management companies – lizenzierte Betriebe, die über eine Flotte an Kleinwagen, Motorrädern und (häufig zum Mindestlohn) beschäftigten Fahrer/innen verfügen. Die meisten Plattform-Auslieferer sind jedoch keine Angestellten, sondern Einzelunternehmer – häufig junge Migranten –, die Dienstleistungen im Auftrag der Kund/innen durchführen und von der Plattform wöchentlich dafür bezahlt werden. Wie viele es in Luxemburg genau sind, wollte bislang kein Unternehmen offenlegen, Wolt spricht lediglich von einer dreistelligen Zahl. Einen Hinweis könnten die von den freiberuflichen Fahrern benötigten Niederlassungsgenehmigungen geben: 2023 hat das Wirtschaftsministerium durchschnittlich 14 Genehmigungen pro Monat ausgestellt (seit Juli 2022 sind es insgesamt 350), nach dem Start von Wolt Anfang März hat die Zahl sich fast verdoppelt. Allerdings ist davon auszugehen, dass längst nicht alle in der Branche tätigen Fahrer über eine Genehmigung verfügen.

Ihr Fahrrad, Moped oder ihren Wagen müssen die Fahrer/innen selber mitbringen, manche von ihnen nutzen die Vel’oh-Leihräder der Stadt Luxemburg als Arbeitsgerät, andere sind zu Fuß unterwegs. Als Freiberufler müssen sie auch ihre Sozialversicherungsbeiträge selber zahlen, haben kein Anrecht auf Lohnfortzahlung im Urlaub oder Krankheitsfall. Die Plattformen, die dadurch kaum Ausgaben haben, argumentieren, im Gegenzug könnten die Fahrer/innen ihre Arbeitszeiten frei gestalten; so viel oder wenig arbeiten, wie sie wollten; hätten kaum Verpflichtungen gegenüber der Plattform – außer dass sie die vorgegebenen Lieferzeiten und bestimmte Hygienesvorschriften einhalten müssten. Ganz stimmt das nicht, denn wie die Plattformen selbst betonen, wird vor allem zwischen 11 und 14 Uhr sowie zwischen 18 und 22 Uhr Essen bestellt, dazwischen fällt kaum Arbeit an.

Wolt wirbt gar damit, dass ihre „courier partners“ wesentlich mehr verdienen als den Mindestlohn; für Nordeuropa und Deutschland seien das 2 605 Euro bei 160 bis 180 Arbeitsstunden im Monat – 140 Prozent mehr als das durchschnittliche Mindesteinkommen in dieser Region. Zieht man davon Steuern sowie Versicherung (Haftpflicht, Kfz, Unfall) und Sozialbeiträge ab, sieht die Rechnung jedoch etwas anders aus. Gleichzeitig gibt Wolt an, dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit ihrer Fahrer in dieser Region bei 7,85 Stunden liege, was bei einem ebenfalls von Wolt berechneten durchschnittlichen Stundenlohn von 25 Euro ein monatliches Bruttoeinkommen von rund 800 Euro ergebe.

Weil Gewerkschaften und linke Parteien dieses Geschäftsmodell mit Ausbeutung und Sozialdumping gleichsetzen, kam es schon weltweit zu Protesten und Prozessen gegen Unternehmen aus dem Bereich der Plattformwirtschaft. Häufig wird dabei bemängelt, dass die Fahrer/innen eben keine Freiberufler seien, sondern von der Plattform gelenkt und gesteuert würden, sodass ein Unterordnungsverhältnis (lien de subordination) bestehe und de facto ein Beschäftigungsverhältnis vorliege. Damit fielen die Plattform und die Fahrer/innen unter das Arbeitsrecht und müssten die darin vorgesehenen Bestimmungen und Regeln einhalten.

Manche europäische Länder wie Spanien oder Portugal haben ihre Gesetzgebung bereits an diese relativ neue Form der Arbeit angepasst. In den meisten Staaten fehlt es aber noch an eindeutigen Kriterien, mit denen sich ein Unterordnungsverhältnis und Scheinselbständigkeit nachweisen lassen. Um Plattformarbeit europaweit zu regeln, hatte die EU-Kommission auf Initiative des luxemburgischen Kommissars für Beschäftigung und Soziales Nicolas Schmit (LSAP) 2021 eine Richtlinie angekündigt, die Kriterien zur Ermittlung einer gesetzlichen Beschäftigungsvermutung (présomption légale de salariat) festlegen und zugleich mehr Transparenz schaffen sollte hinsichtlich der Algorithmen, mit denen Plattformarbeit organisiert wird. Die Verantwortung für den Nachweis, dass kein Beschäftigungsverhältnis besteht, soll künftig bei den Plattformen liegen. Nachdem die Plattformgiganten vehement gegen die Vorgaben lobbyiert hatten, weil sie die Rentabilität ihres Geschäftsmodells gefährden könnten, lehnten Frankreich, Italien, Tschechien, Ungarn, Litauen, Estland, Lettland, Bulgarien, Finnland, Griechenland, Irland und Schweden im Dezember 2023 das zwischen der spanischen EU-Ratspräsidentschaft und den Verhandlungsführern des Europäischen Parlaments ausgehandelte Abkommen ab. Unter dem Ratsvorsitz Belgiens wurde anschließend eine abgeschwächte Version ausgearbeitet, die im Frühjahr vom Parlament angenommen wurde. Der Rat muss noch seine förmliche Zustimmung geben.

Die Endfassung der Richtlinie wurde noch nicht veröffentlicht, doch David Angel, Zentralsekretär beim OGBL, geht davon aus, dass die gesetzliche Beschäftigungsvermutung dabei helfen wird, die Branche zu regulieren. Auch die Gewerbeinspektion würde es begrüßen, wenn es eindeutige Kriterien gebe, sagt ITM-Direktor Marco Boly im Gespräch mit dem Land. Boly hofft, dass die Regierung die Richtlinie zügig in nationales Recht umsetzt und sie keine „Notausgänge“ enthält, die es den Plattformen erlauben würden, die Regeln zu umgehen.

Déi Lénk hatten bereits vor zwei Jahren einen von der Salariatskammer ausgearbeiteten Gesetzesvorschlag mit strengeren Vorgaben eingereicht, und auch der vorige LSAP-Arbeitsminister Georges Engel hatte vergangenes Jahr offenbar einen Vorentwurf ausgearbeitet, der aber im Regierungsrat von der DP mit dem Verweis auf die EU-Richtlinie abgelehnt worden sei, sagt Engel. CSV-Arbeitsminister Georges Mischo teilte Mitte März mit, dass es der Regierung darum gehe, ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem Schutz von Plattformarbeiter/innen und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Gegenüber RTL bezeichnete Mischo die Richtlinie vor zwei Wochen als Kompromisstext, „mat dem mer – jo – nëmmen hallef zefridde waren“, meinte jedoch zugleich, „méi ambitiéis“ als die EU-Bestimmungen „könne“ die Regierung nicht sein.

Bislang sind die Möglichkeiten der ITM begrenzt, um gegen Scheinselbstständigkeit vorzugehen. Lediglich 2021 kam es zu einem Prozess, nachdem ein Konkurrent Wedely denunziert hatte. Daraufhin führte die ITM Ermittlungen durch und fand heraus, dass fast keiner der 198 überprüften „freiberuflichen“ Fahrer/innen über eine Niederlassungsgenehmigung verfügte. Wedely machte die Fahrer/innen für diese „Versäumnisse“ verantwortlich, wurde aber schließlich (in zwei Instanzen) wegen Schwarzarbeit zu einer Geldstrafe von 5 000 Euro verurteilt. Die Plattform kündigte daraufhin an, ihr Geschäftsmodell anzupassen und strenger zu kontrollieren. Ob sie das tatsächlich getan hat, ist jedoch unklar. Die gesamte Branche ist sehr undurchsichtig, der Geschäftsführer von Wedely ließ zwei Gesprächsanfragen in den vergangenen beiden Wochen unbeantwortet. Die Justiz bestätigte auf Nachfrage, dass inzwischen zwei weitere Verfahren gegen Wedely laufen: Ein Konkurrent, der mit festangestellten Fahrer/innen arbeitet, hat die Plattform wegen unlauterer Konkurrenz zivilrechtlich verklagt; der Prozess soll voraussichtlich im Dezember stattfinden. Darüber hinaus ermittelt, nach einer weiteren Denunziation der ITM, die Staatsanwaltschaft.

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Luc Laboulle
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