Enttäuscht ist er von Johann Gudenus, seinem langjährigen Vertrauten und Mitstreiter. Dass er ihn belogen und gegen alle Beteuerungen offenbar doch Kokain konsumiert hat, während seiner Zeit als Wiener Vorsitzender der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs FPÖ. Heinz-Christian Strache bleibt seiner Rolle treu, die er „nach Ibiza“ eingenommen hat – der Verfolgte, von allen Hereingelegte, dem aus einem Moment der Schwäche („a b’soffene G’schicht“) ein Strick gedreht wurde.
Seit einem Jahr bedient der einstige FPÖ-Vorsitzende und gestürzte Vizekanzler Österreichs dieses Klavier – seitdem das berühmt-berüchtigte „Ibiza-Video“ durch Spiegel und Süddeutsche Zeitung unter wesentlicher Beteiligung des Wiener Falter öffentlich wurde. Und öffentlich machte, wofür sich die führenden Protagonisten der „Partei des kleinen Mannes“ in Hinterzimmern oder auch Fincas offenbar wirklich stark machten, wenn sie die Macht in greifbarer Nähe wähnten: Korruption, Diffamierung des politischen Gegners, Verächtlichmachung der Medien.
Dass nun im Zuge des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses so nebenbei bekannt wird, wie es Gudenus, der in seiner aktiven Zeit keine Gelegenheit ausließ, gegen „afrikanische Drogendealer“ zu hetzen, selbst mit Drogen hielt, ist eigentlich ein Nebenschauplatz. Dass er dennoch ausgeleuchtet wird, ist so manchem Beobachter in Österreich Genugtuung, anderen ein bloßes Ablenkungsmanöver: Im Ausschuss, der seit Juni tagt, gerate die konservative ÖVP, zu Ibiza-Zeiten führender Partner in der Koalition mit der FPÖ, allmählich in die Enge, so die Vermutung, daher diese Nebelgranate.
Glänzten die „Hauptdarsteller“ des Videos, Strache und Gudenus, bei den Befragungen bislang vor allem durch Wortkargheit, so begleiten von Beginn an Nebengeräusche den Untersuchungsausschuss. Der nahm nun ziemlich genau ein Jahr nach der spektakulären Veröffentlichung, die eine Regierungskrise, die Installation einer Übergangs-Expertenregierung und schließlich Neuwahlen mit dem Ergebnis einer türkis-grünen Koalition zur Folge hatte, seine Arbeit auf. Zum Auftakt irritierte die Veröffentlichung eines Fahndungsfotos der ermittelnden „SoKo Tape“: Es zeigt die junge Frau, die die freiheitlichen Politiker als angebliche Nichte eines russischen Oligarchen in die Falle auf Ibiza locken sollte, wo tatsächlich jene Aussagen zu Parteispenden, Käuflichkeit und Einflussnahme fielen, die nun Gegenstand der parlamentarischen Untersuchung in Wien sind.
Das Fahndungsfoto der Frau, der lediglich Bagatelldelikte vorgeworfen werden können, erschien auch in seriösen österreichischen Medien; gleichzeitig hofierte die Kronenzeitung (deren Kauf Heinz Christian Strache auf Ibiza noch der schönen vermeintlich Reichen als Patentrezept empfahl, um sich selbst Einfluss zu sichern, für den er sich mit Staatsaufträgen erkenntlich zu zeigen gedachte) den gestürzten Vizekanzler, der sich inzwischen mit einer neuen Partei auf die Wiener Gemeinderatswahl im Herbst vorbereitet, mit einer freundlichen Story über das Ehepaar Strache: klassische Täter-Opfer-Umkehr, die nicht nur die zumindest moralisch-politisch verwerfliche Großmannssucht der FPÖ-Granden, sondern auch vermutete Machenschaften auf schwarz-türkiser Seite zumindest relativieren sollte.
Schon die ersten wenigen Tage brachten Erhellendes ans Licht – direkt und indirekt. Über die Bande zeigt sich im holpernden Zusammenspiel von Innen- und Justizministerium unterschiedlicher Aufklärungswille. Dem Innenministerium, geführt vom Kurz-Gefolgsmann Karl Nehammer, untersteht die Polizei, aus der die „SoKo Tape“ rekrutiert wurde. Die Sonderkommission, der auch ein Polizist angehörte, der Strache nach dessen Rücktritt eine aufmunternde SMS geschickt hatte, rühmte sich, im Besitz des inkriminierten Videos zu sein. Justizministerin Alma Zadic, der die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft unterstellt ist, erfuhr davon aus den Medien, was das Vertrauen in die polizeilichen Ermittlungen nicht gerade gestärkt haben dürfte.
Zwar brachte das Video offenbar über die bekannten Passagen hinaus wenig Neues. Doch hatte die Veröffentlichung der skandalösen Aufnahmen diverse Whistleblower animiert, korruptionsverdächtige Vorgänge anzuzeigen. So kam die Affäre um den weltweit agierenden niederösterreichischen Glücksspielkonzern Novomatic ans Licht. Strache schwadronierte auf Ibiza, „die Novomatic zahlt alle“ und legte damit Zahlungen des milliardenschweren Unternehmens an alle Parteien nahe. Über die wohlgestimmte FPÖ sicherte sich die Novomatic, wie zu vermuten ist, eine für sie günstige Gesetzesregelung und gewährte der Partei im Gegenzug die Besetzung eines Vorstandspostens bei der Tochter Casinos Austria. In diesem Zusammenhang ermittelt die Staatsanwaltschaft unter anderem gegen den früheren türkisen Finanzminister Hartwig Löger.
Weitere Ermittlungsstränge beschäftigen sich mit Parteispenden nicht nur an die FPÖ, sondern auch an die ÖVP und könnten damit möglicherweise Kanzler Sebastian Kurz in Bedrängnis bringen. Strache hatte auf Ibiza unter anderem Kaufhaus-Erbin Heidi Horten als Großspenderin ins Spiel gebracht. Tatsächlich überwies die betagte Multimillionärin in den Jahren 2018 und 2019 fast eine Million Euro. Die Überweisungen waren dabei so gestaltet, dass sie das Limit zur Meldepflicht beim Rechnungshof nie ganz erreichten. Das Geld ging allerdings nicht an die FPÖ, sondern an die Türkisen. Entsprechend ist der genaue Titel des parlamentarischen Kontrollinstruments nun auch „Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“ und entsprechend wird auch Kanzler Kurz Rede und Antwort stehen müssen. 26 Termine sind für den Ausschuss noch angesetzt bis Dezember.