Vor einem Jahr, am Ostersonntag, dem heiligsten Fest der Christenheit, gründete Erzbischof Jean-Claude Hollerich zusammen mit einer Freifrau aus Wahl, einem Facharzt der konfessionellen Zithaklinik, einem Abteilungsleiter der Europäischen Investitionsbank, einem Geschäftsanwalt einer internationalen Kanzlei und einem Rechtsberater der Post einen Verein ohne Gewinnzwecke. Der Verein trägt den knappen luxemburgischen Namen „Europa Scouten vu Lëtzebuerg“ und den ausführlicheren französischen „Guides et scouts d’Europe du grand-duché de Luxembourg ad experimentum“. Als Zeichen dafür, wie nah ihm der Verein steht, bot der Erzbischof ihm laut Artikel drei der Statuten an, den Gesellschaftssitz in „la Rédidence de l’Archevêque, au 3 avenue Marie-Thérèse, L-2123 Luxembourg“ anzusiedeln. Der Verein zählt sich zur Pfarrei Saint-Joseph, der hauptstädtischen Pfarrkirche auf dem Limpertsberg, wo die Pfadfinder Gottesdiensten und anderen Zeremonien beiwohnen.
Spätestens seit das Syndicat des fabriques d’église (Syfel) den Erzbischof am Heiligabend vergangenen Jahres wegen der Unterzeichnung der Konvention über die Pfarrergehälter und Kirchenfabriken vor Gericht zitierte, gilt Jean-Claude Hollerich als aufgeschlossener und fortschrittlicher Kirchenfürst. Aber das Syfel ist kein Orden von Glaubenseiferern, sondern eine Lobby von Immobilienverwaltern, und der Erzbischof unterschrieb die Konvention aus Angst, beim Referendum vor zwei Jahren desavouiert zu werden. Vielmehr hatte der damals in Japan tätige Jesuit 2011 ausdrücklich den Auftrag bekommen, das vom Glauben abgefallene Großherzogtum zu remissionieren.
Der neue, dritte Pfadfinderverein in Luxemburg, den der Erzbischof zusammen mit seinen vorwiegend französischen Gleichgesinnten gründete und beherbergt, definiert sich als „mouvement scout d’éducation catholique“ und beruft sich in seiner Satzung auf „Baden-Powell, le Père Jacques Sevin et le Professeur Corbisier“. Der britische Kolonial-Offizier Robert Baden-Powell (1857-1941) gilt als Begründer der Pfadfinderbewegung und verlieh ihr ihren militärischen Habitus. Der bald selig gesprochene Jesuit Jacques Sevin (1882-1951) führte das Pfadfindertum gegen anfängliche Bedenken des Klerus in Frankreich ein, indem er eine katholische Sturmtruppe daraus machte, und der Lehrer am Brüsseler Jesuiten-Kollegium Saint-Michel, Jean Corbisier (1869-1928), setzte in Belgien kurz vor dem Ersten Weltkrieg die militaristischen Belgien catholic scouts gegen die nicht-konfessionellen Boy-scouts de Belgique durch.
Die Europa Scouten vu Lëtzebuerg nehmen sich in Artikel 4 ihrer Statuten vor, die Grundprinzipien der Union internationale des guides et scouts d’Europe – Fédération du scoutisme européen (UIGSE-FSE) umzusetzen. Die Fédération du scoutisme européen war nach einem ersten Verein in Österreich am Allerheiligentag 1956 in Köln gegründet worden, um im Kalten Krieg die europäische Vereinigung auf christlicher Grundlage zu fördern. Unter dem Einfluss des Reformkonzils von Papst Johannes XXII. sowie der gesellschaftlichen Liberalisierung und Säkularisierung in den Sechzigerjahren wurde sie rasch zu einer Gegenreformationsbewegung von traditionalistischen Katholiken, für die im Mai 1968 der Teufel aus der Hölle entlaufen ist, um jede Autorität zu zerstören und der Fleischeslust zu huldigen.
Ein Grundsatzpapier der Fédération du scoutisme européen, La loi scoute, für ein Seelsorgertreffen in Rom klagt: „Peut-être la critique de l’autorité est-elle née comme une critique de l’autoritarisme, mais elle est allée bien au delà, jusqu’à renverser, en 68, tout ce qui avait un goût d’autorité. L’autorité a été remplacée par un vague concept de partage des devoirs, des pouvoirs, des responsabilités, qui sont devenus eux-mêmes, pour cette raison, plus diffus et moins distincts.“
Die Fédération du scoutisme européen hat sich zum Ziel gesetzt, das christliche Abendland zu retten, das seit Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes 1918 bedroht scheint. „L’unité de l’Europe s’est réalisée dans la chrétienté“, heißt es im Directoire religieux der Fédération du scoutisme européen. „Le christianisme a constitué l’élément animateur d’une civilisation européenne commune, différenciée dans ses moyens d’expression, mais solidaire dans son esprit, ses conceptions sociales, ses institutions et son patrimoine de valeurs culturelles. La F.S.E. pense que l’Europe peut connaître un renouveau de civilisation chrétienne grâce à des hommes qui sauront que leur destin surnaturel dépasse les structures temporelles et réaliseront les exigences de l’Évangile dans leur vie de tous les jours. La F.S.E. désire contribuer à l’unité d’une Europe ouverte à tous les pays du monde en travaillant à faire naître une nouvelle fraternité des peuples dans le Christ.“
Seit 1976 bilden die Fédération du scoutisme européen und die Europa Scouts die Interföderation europäischer Pfadfinder zur Erneuerung des christlichen Abendlandes (IEPECA). Die österreichischen Europa Scouts, die am Ursprung der Bewegung stehen, zählen als „ordensähnliche Gemeinschaft“ zur Internationalen Ordensunion und tragen deshalb deren „Fahne der abendländischen Erneuerung“ auf „allen Fahnenmasten an oberster Stelle“. Zur Internationalen Ordensunion gehören teilweise sehr rechte Vereinigungen, wie die Abendländische Legion, der Internationale Orden vom Stern des Occident, der Abendländische Templerherrenorden, der Schwertorden Sankt Michael, der Orden der Rechtgläubigen Ritter vom Heiligen Grab, der Orden vom Goldenen Einhorn oder der Ungarische Ritterorden 1956.
Die Verteidigung des Abendlands versteht sich seit einigen Jahren vor allem als Anti-Islamismus. Grundlage der Europa Scouten Lëtzebuerg ist die Lehre der katholischen Kirche, laut Statuten kann der Verein aber auch und eher ausnahmsweise „des groupes homogènes appartenant à d’autres confessions chrétiennes“ aufnehmen, das heißt Kinder aus evangelischem oder orthodoxem Haus. Juden und Mohammedaner sind demnach ausgeschlossen.
Im Directoire religieux der Fédération du scoutisme européen (UIGSE-FSE) heißt es: „À l’âge de l’éducation, qui est celui de l’enfance et de l’adolescence, on ne peut, certes, mettre en contact habituel, sans nécessité, des jeunes de confessions différentes au risque de les mettre sur la voie du relativisme et du scepticisme. Aucun mélange intempestif ne doit donc se produire sous prétexte d’unité: il est indispensable, à cet âge, que chacun demeure, pleinement et totalement, dans la fidélité à son Église, rendant ainsi un témoignage véritable et sincère de la foi dont il est justement fier.“
Dass er Kinder aus jüdischen oder islamischen Familien ausschließt, unterscheidet den neuen Verein von den beiden etablierten Luxemburger Pfadfinderverbänden. Die Fédération nationale des éclaireurs et éclaireuses du Luxembourg (Fnel) ist seit ihrer Gründung 1916 nicht-konfessionell. Die Lëtzebuerger Guiden a Scouten sind eine Jugendbewegung der katholischen Kirche und zu ihrem Verbandskomitee gehört ein vom Erzbistum entsandter Aumônier général, aber sie nehmen neuerdings auch Kinder und Jugendliche anderer Religionen auf.
Denn im September 2015 hatte ein außerordentlicher Kongress der katholischen Pfadfinderchefs mit 84 Prozent der Stimmen ein seit Jahren vorbereitetes Papier über „Spiritualität bei den LGS“ verabschiedet, das in einer säkularisierten Gesellschaft den streng katholischen Charakter der Lëtzebuerger Guiden a Scouten in Frage stellt und erlauben soll, auch islamische Kinder aufzunehmen. Dies ist eine der Ursachen für die Gründung des Konkurrenzvereins im März 2016 durch den Erzbischof und Gleichgesinnte. Denn „die Entscheidung des LGS-Kongresses stieß laut unseren Informationen besonders im Erzbistum auf Kritik“, meldete das dem Erzbistum gehörende Luxemburger Wort am 31. März. Dies ist um so erstaunlicher, als der Erzbischof noch im November 2014 im hauptstädtischen Casino forum d’art contemporain feierlich ein Mémorandum commun unterzeichnete, um sich im Kampf gegen die Abschaffung des Religionsunterrichts in den öffentlichen Schulen die Unterstützung auch der Vertreter des jüdische Konsistoriums und der islamischen Schura zu sichern.
Neben der Öffnung der katholischen Pfadfinder für Kinder anderer Konfessionen ist die 1994 erfolgte Aufhebung der Geschlechtertrennung zwischen Guiden und Scouten bei den katholischen Pfadfindern und die Fusion zu einem einzigen Verband eine weitere Ursache für die Gründung des neuen Pfadfindervereins, der die Vermischung der Religionen und der Geschlechter fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Denn „[l]es années 70 introduisent dans le domaine de l’éducation une certaine tendance à implanter le système de la coéducation dans les institutions scolaires. Le mouvement est en relation, d’une part, avec une certaine idée de progressisme et, d’autre part, avec les mouvements appelés ‚de libération’, parmi lesquels celui de la libération sexuelle est l’un des plus bruyants“, so das Grundsatzpapier Coéductaion et scoutisme der Fédération du scoutisme européen. Die Trennung von Jungen und Mädchen sei aber notwendig wegen „les facteurs d’origine génétique et physiologique qui engendrent les différences des sexes“.
Im Directoire religieux der Fédération du scoutisme européen heißt es: „Plus particulièrement, la F.S.E. considère que l’éducation différenciée des filles et des garçons au sein d’unités de vie distinctes constitue un point essentiel de sa pédagogie. Le parallélisme et l’enrichissement mutuel des deux sections, masculine et féminine, permettent le plein épanouissement des aptitudes et des inclinations imparties dans le plan providentiel à chacun des deux sexes.“
Nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der Erzbischof von Luxemburg zu den Gründungsmitgliedern gehöre, distanzierten sich vergangene Woche die katholischen Guiden a Scouten in einer Presseerklärung gemeinsam mit der nicht-konfessionellen Fnel vom dem sehr rechten Verein. Denn er stelle weder die Pfadfinderwerte, wie Respekt, Toleranz, Anpassungsfähigkeit und kritischen Geist dar, noch die Prinzipien der international anerkannten Pfadfinderbewegung.