Thematisch hat die Alternative für Deutschland (AfD) dieser Tage nicht viel zu bieten. Somit gibt es keine Medienpräsenz, was jedoch wichtig für die Partei ist, um in Krisenzeiten überhaupt wahrgenommen zu werden. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie hat die AfD schlichtweg verschlafen. Wie eine Komparsin, die den Trends hinterherläuft, versucht sie nun die sogenannten „Hygiene-Spaziergänge“ zu unterwandern und damit den Gegnern der Corona-Maßnahmen wie auch Verschwörungstheoretikern und Kapitalismuskritikern ein politisches Sammelbecken zu bieten. Doch auch dies mag nicht so recht gelingen, da die inhaltliche Gemengelage der „Corona-Zweifler“ selbst für die AfD zu groß ist. So trifft es sich gut, wenn man wenigstens mit innerparteilichen Zerwürfnissen Sendezeit bekommt.
Am vergangenen Freitag hat der Bundesvorstand der Partei den Brandenburger Landes- und Fraktionschef Andreas Kalbitz aus der Partei geworfen. Grund für den Rauswurf war die Mitgliedschaft von Kalbitz sowohl in der rechtsextremistischen Vereinigung „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) als auch in der Partei „Die Republikaner“. Diese stehen auf einer Unvereinbarkeitsliste der Partei. Wer in einer dort aufgeführten Organisation Mitglied war, darf nicht in die AfD aufgenommen werden. Um den Rauswurf des Brandenburgers zu rechtfertigen, verweist AfD-Chef Jörg Meuthen auf einen Bericht des Bundesverfassungsschutz. Der hatte in einem Gutachten vom März erklärt, Kalbitz habe nicht nur – wie bereits bekannt – HDJ-Lager besucht, sondern stehe auch auf einer Mitgliederliste.
Die Sache hat nur einen Haken: Der Aufnahmeantrag von Andreas Kalbitz in die AfD lässt sich nicht finden. Ohne diesen lässt sich nicht überprüfen, welche Mitgliedschaften Kalbitz bei seinem Parteieintritt angegeben hat – und welche nicht. Damit entwickelt sich nun ein Ränkespiel um den Brandenburger Landespolitiker, das für die Partei zu einer Zerreißprobe werden kann. So hat Meuthen angegeben, der Bundesvorstand habe seine Entscheidung für den Rauswurf aufgrund der Aktenlage gefällt. Es sei eine rechtliche Diskussion geführt worden über die Frage, „ob die Mitgliedschaft nichtig gestellt werden muss, weil bei der Parteiaufnahme wichtige Tatsachen verheimlicht wurden“, so der Parteichef gegenüber Radio Berlin Brandenburg. Die Berliner Zeitung Der Tagesspiegel hat recherchiert, dass es gar keinen von Kalbitz auf Papier ausgefüllten Antrag gibt. Vielmehr soll er im März 2013, wenige Wochen nach Gründung der AfD, seine Mitgliedschaft online beantragt haben.
Auch diese Daten sind verschollen. So schickt Meuthen zwei Zeugen ins Feld, um fehlende Unterlagen zu kaschieren. Beide sollen bekunden – wenn nötig an Eides statt –, dass sie den Aufnahmeantrag von Kalbitz gesehen und was sie darin gelesen haben. Eine eidesstattliche Erklärung ist justiziabel, eine falsche Erklärung eine Straftat. Zumindest bei einem Zeugen gibt es Zweifel, ob er damals bereits in Brandenburg war und den Antrag überhaupt gesehen haben kann. Zudem soll es damals keine Aufnahmegespräche mitsamt Protokoll gegeben haben. Darüber hinaus argumentiert Kalbitz, dass es die Unvereinbarkeitsliste der Partei bei seinem Eintritt noch gar nicht gab.
Die Ereignisse rufen den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke auf den Plan, der umgehend den offenen Machtkampf mit Meuthen provozierte: Wer sich in einem parteiinternen Konflikt auf Argumente von „Parteigegnern“ berufe, der begehe „Verrat an der Partei“. Höcke zielt darauf ab, dass die Mitgliederliste der HDJ dem Bundesverfassungsschutz vorliege, der seinerseits die AfD ob deren Rechtsextremismus beobachtet. Meuthens Konter auf Höcke kam per Deutsche Presseagentur: „Ein Landesvorsitzender, der erst vor wenigen Wochen wörtlich ankündigte, ihm missliebige Mitglieder aus der Partei „ausschwitzen“ zu wollen und der freiheitlich-marktwirtschaftlich und bürgerlich-konservativ gesonnene Mitglieder wiederholt den Wechsel zu anderen Parteien anrät, sollte vielleicht sein eigenes Verhalten hinterfragen, als der Mehrheit des Bundesvortands „Verrat an der Partei“ und Spaltung vorzuwerfen, wenn sie einen satzungsgemäßen Beschluss fassen, eine Parteimitgliedschaft wegen des Verschweigens einer Vollmitgliedschaft in einer rechtsextremen Organisation zu annullieren.“
Was wiederum Höcke nicht unbeantwortet ließ: Meuthen und Parteivize Beatrix von Storch „wollen eine andere Partei“. Und: „Die Spaltung und Zerstörung unserer Partei werde ich nicht zulassen.“ Wer die AfD zur Mehrheitsbeschafferin für die CDU machen wolle, habe „nicht begriffen, was die Alternative zu den etablierten Parteien bedeute. Deutschland brauche keine zweite Werte-Union, das Land brauche eine geschlossene AfD.“
Vollumfängliche Unterstützung bekommen Kalbitz und Höcke von den Landesverbänden aus Thüringen, Sachsen und eben Brandenburg. In diesen drei Bundesländern erzielte die AfD bei den letzten Landtagswahlen bundesweit ihre besten Ergebnisse mit einem Stimmenanteil von deutlich mehr als zwanzig Prozent – in Brandenburg mit Kalbitz waren es 23,5 Prozent, was die AfD zur zweitstärksten Partei nach der SPD machte. Die Fraktion der AfD im Potsdamer Landtag änderte flugs ihre Geschäftsordnung, sodass der ehemalige Fraktionsvorsitzende weiterhin Mitglied bleiben kann.
So wie es auch in anderen Parteien Flügelkämpfe gibt, steht die AfD nun (erneut) am Scheideweg. Jörg Meuthen will der Partei unbedingt ein bürgerliches Profil geben, um sie auch in den westlichen Bundesländern stärker zu verankern. Doch Meuthen unterschätzt die Graswurzel-Ebene der Partei, die ihr die Macht und damit auch Gelder sichert, und die Dominanz des rechtsextremistischen Flügels in der Partei. An der Verbürgerlichung der AfD sind bereits Meuthens, Vorgänger Bernd Lucke und Frauke Petry, gescheitert.