Streit um Corona-Bonds

Am Rande der Solidarität

d'Lëtzebuerger Land vom 03.04.2020

Das könne nur schiefgehen, bewertete Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die Eurobonds. Sie würden „einen europäischen Einheitsstaat vortäuschen“ und einen „vollständigen fiskalischen Haftungsverbund“. Zudem würde diese Anleihe einen „negativen Anreizeffekt“ schaffen. Denn wenn die solide wirtschaftenden Ländern im Norden Europas für die „Hallodris im Süden“ mithafteten, belohne dies deren laxe Ausgabenpolitik. Das war 2011 – als aus der Bankenkrise eine Eurokrise geworden war und die Diskussion um Eurobonds oder die Vergemeinschaftung der Schulden erstmals aufkochte.

Nun – neun Jahre später – sieht sich die Welt mit einer gänzlich anderen Herausforderung konfrontiert: „In diesem Moment schlagen wir eine Schlacht gegen einen gemeinsamen, unsichtbaren Feind. Alle Länder sind betroffen, alle stehen an der Frontlinie. Wenn ein Vorposten zurückweicht, dann könnte sich der unsichtbare Feind im Inneren ausbreiten und alle Bemühungen, auch die von anderen wären vergeblich“, beschreibt Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte die Auswirkungen des Coronavirus – wie bereits zuvor Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – in ungewohnt militärischer Ausdrucksweise.

Conte weiter: „Wir müssen vom Modell Europa sprechen.“ Es komme nun darauf an, wie Europa handle. Ohne eine gemeinsame, starke und koordinierte Reaktion werde Europa immer weniger wettbewerbsfähig sein: „Wir müssen unseren Bürgern erklären, dass wir nicht Finanzprobleme von einzelnen Ländern haben. Das ist ein Notfall, der alle betrifft, einer, für den kein einzelnes Land verantwortlich ist.“ Deshalb plädiert Conte für die Ausgabe von Corona- oder Euro-Bonds.

Ein Thema, über das sich in Europa vortrefflich zanken lässt. Etwa mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch Conte hält dagegen und warb Anfang der Woche im deutschen Fernsehen für seine Idee. Die Anleihen haben für ihn nichts mit gemeinschaftlichen Schulden zu tun, sagte er in einem Interview mit der ARD: „Ich möchte auch daran erinnern, dass dieser Mechanismus, die Euro-Bonds, nicht bedeutet, dass die deutschen Bürger beim Wiederaufbau auch nur einen Euro der italienischen Schulden bezahlen müssen. Es heißt nur, dass wir gemeinsam reagieren, um bessere wirtschaftliche Bedingungen zu bekommen – von denen alle profitieren.“

Zunächst jedoch hoch verschuldete Euro-Staaten wie Griechenland oder eben Italien. Denn diese Bonds sind europäische Staatsanleihen, die die Staaten der Eurozone gemeinsam ausgeben, um Geld an den internationalen Finanzmärkten aufzunehmen. Für diese Schulden würde sie dann gemeinschaftlich haften. Athen und Rom könnten so Geld am Finanzmarkt zu erheblich günstigeren Konditionen erhalten als durch die Ausgabe eigener Bonds, für das sie – aufgrund ihrer Bonität – wesentlich höhere Zinsen zahlen müssten. Umgekehrt müssen relativ stabile Euroländer wie Deutschland oder Luxemburg höhere Zinsen zahlen als bei der Ausgabe eigener, deutscher oder luxemburgischer Staatsanleihen.

Conte ficht das nicht an. Italien habe noch immer seine eigenen Schulden bezahlt und werde das auch weiter tun. Aber, so der italienische Ministerpräsident: „Europa muss zeigen, dass es eine angemessene Antwort finden kann, und zwar in der Weise, wie es Europa einst zugedacht war – von Robert Schuman, Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer.“ Conte beschwört immer wieder die europäische Solidarität und macht klar, dass es nicht auf einzelne Länder ankomme. Doch warum sollte sich Berlin darauf einlassen, mehr Zinsen für Staatsanleihen zahlen zu müssen?

„Ohne eine gemeinschaftliche Krisen-Anleihe sehe ich schwarz für die Europäische Union“, sagt Michael Hüther. Heute. Der Ökonom hat seine Meinung geändert, weil sich die Umstände geändert haben und vor allen Dingen weil die Corona-Bonds anders ausgelegt wären als die seinerzeit diskutierten Euro-Bonds: „Die Situation von heute ist nicht vergleichbar mit 2011. Damals ging es um die Frage, ob man dauerhaft für die fiskalische Architektur der EU gemeinschaftliche Bonds zulassen will“, so Hüther in einem Gespräch mit dem Berliner Tagesspiegel. Heute gehe es um eine befristete finanzpolitische Antwort auf die Corona-Krise. „Es geht um Solidarität, das war damals nicht der Fall.“ Doch der deutsche Finanzminister Olaf Scholz lehnt eine gemeinschaftliche Haftung und mithin einen Transfer in die ärmeren Länder, die besonders vom Virus betroffen sind, ab. So wie 2011 sein Vorgänger im Amt Wolfgang Schäuble die Eurobonds verteufelte. Damals pochte Berlin auf die Nichtbeistands-Klausel (No Bailout), wonach kein Euro-Land für die Schulden eines anderen Euro-Staates haften sollte.

Doch die Zeiten sind andere. Deutlich andere. „Auch Ordnungspolitik muss bestimmte Dinge in Raum und Zeit würdigen“, so Hüther. Zusammen mit anderen deutschen Ökonomen hat er eine Euro-Krisenanleihe mit einem Volumen von 1 000 Milliarden Euro vorgeschlagen. So soll vermieden werden, dass sich die Corona-Krise zu einer neuen Staatsschuldenkrise entwickelt. Dazu bedürfe es „eines gemeinsamen starken Signals an die Finanzmärkte, dass Wetten gegen die Eurozone und einzelne Mitgliedsstaaten keinen Sinn machen“.

Schließlich hat eine solche Krisenanleihe bereits historische Vorbilder, etwa die Öl-Anleihe, die Mitte der 1970-er-Jahre platziert wurde. Wegen ihr sei die Welt auch nicht untergegangen, so Hüther. Und wird – für einen Ökonomen – ungewöhnlich moralisch: „Die EU sollte helfen, Menschenleben in Italien und Spanien zu retten. Es geht um Leben und Tod und nicht um die Finanzierung von Staudämmen in Mittelitalien.“Das Argument, dass die Länder in der Vergangenheit Fehler in ihrer Finanzpolitik gemacht haben und deswegen ihre Bürger nun sterben müssen und ihre Wirtschaft wegen des Corona-Virus zusammenbrechen muss, sei nicht nur unmoralisch, sondern auch ökonomisch sinnlos. Denn der Zusammenbruch einiger Volkswirtschaften in der Eurozone wird auch sehr schlechte Auswirkungen auf die anderen haben. Und es wäre zudem das Ende des europäischen Projekts.

Italien schaltete derweil eine Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und warb eindringlich für die Corona-Bonds: Nach dem Krieg sei den Deutschen von den Nachbarländern Solidarität entgegengebracht worden. Und weiter: „Die Erinnerung hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen.“

Martin Theobald
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