Deutschland und Covid-19

Eine Frage der Zahlen

d'Lëtzebuerger Land vom 13.03.2020

Es ist schon etwas merkwürdig: Italien zählte bis zum vergangenen Wochenende 7375 Corona-Virus-Infizierte, von denen 366 starben. Das entspricht einer Sterblichkeitsrate von knapp fünf Prozent in dem südeuropäischen Land. Deutschland hingegen kam bis Montagnachmittag auf 1139 Fälle. Mit bis dahin nur zwei Toten. Dies ergibt eine Letalität von knapp 0,17 Prozent. Damit liegt die Sterblichkeit bei Corona-Infektionen in Deutschland um etwa das 30-fache unter derjenigen Rate Italiens. Dieser Unterschied ergibt sich kaum aus dem allgemeinen Gesundheitszustand von Italienern und Deutschen, denn nach dem Bloomberg Global Health Index leben die Menschen in Italien deutlich gesünder als Deutsche.

Ein Zahlenspiel, das Anfang der Woche die neofaschistische Partei Fratelli d’Italia auf den Plan rief. Die Vertreter der Partei reichten im Europa-Parlament eine sogenannte Interpellation ein und wollen nun von der EU-Kommission wissen: „Wie ist es möglich, dass ausgerechnet in dem Land, in dem erstmals in Europa das Corona-Virus festgestellt wurde, die Menschen quasi immun sind gegen die Folgen des Virus?“ Die Antwort reichten sie gleich nach: „Es besteht der Verdacht, dass man in Deutschland zwar durchaus an Covid-19 erkrankt und stirbt, aber dass dies die deutschen Behörden nicht wissen – oder dass sie es nicht sagen.“

Zur Untermauerung ihrer These ziehen die Italiener Vergleichszahlen aus Frankreich und Spanien heran, wo die Letalität bisher bei etwa zwei Prozent liegt – und somit um mehr als das Zehnfache höher als in Deutschland. Um die Zweifel auszuräumen und um europaweit vergleichbare Zahlen zu bekommen, fordern die Europaabgeordneten der Fratelli nun die Einführung einheitlicher Standards und Protokolle für die Virustests bei Verdachts- und bei Todesfällen in allen 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. So habe sich beispielsweise in Spanien bei nachträglichen Tests bei Verstorbenen herausgestellt, dass die Todesursache nicht – wie zunächst angegeben, eine normale Influenza-Erkrankung war, sondern das Covid-19-Virus, so die italienischen Politiker.

Italien ist derzeit das Land mit den meisten Corona-Erkrankungen in der EU, aber auch das Land, in dem europaweit bislang die meisten Menschen auf den Virus getestet wurden. Seit der ersten bekannten Covid-19-Erkrankung in Italien am 20. Februar werden dort auch Post-mortem-Tests durchgeführt. Eine Analyse der ersten 104 Todesfälle ergab dabei, dass mehr als zwei Drittel der untersuchten Verstorbenen an mindestens zwei mehr oder weniger lebensbedrohlichen Vorerkrankungen gelitten haben. Viele von ihnen hätten auch ohne die Virusinfektion nur eine sehr begrenzte Lebenserwartung gehabt – oder sie hätten die Infektion vermutlich überlebt, wenn sie nicht schon schwer erkrankt und ihr Immunsystem geschwächt gewesen wäre. Diese Todesfälle werden von der italienischen Statistik ebenfalls erfasst. In anderen EU-Staaten hingegen werden Verstorbene mit einem solchen Krankheitsbild erst gar nicht auf Covid-19 getestet.

In Deutschland soll nun eine Meldepflicht für alle Corona-Tests eingeführt werden. Bislang gilt eine solche nur für diejenigen Tests, bei den das Covid-19-Virus tatsächlich nachgewiesen wurde. Um die Lage besser einschätzen zu können, werden nun auch negative Tests gemeldet. Man wolle so die Verbreitung des Virus besser abschätzen können, so ein Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums.

Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, geht derweil davon aus, dass sich die Zahl der Todesfälle durch das Virus in Deutschland und Italien angleichen werden. „Wir werden natürlich in Deutschland auch in der älteren Bevölkerung Todesfälle haben“, so Wieler in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn. Dieser forderte nun eine europäische Einrichtung nach Vorbild des Robert-Koch-Instituts: „Die europäische Seuchenbehörde ECDC ist viel zu klein, um Epidemien wie diese vernünftig begleiten zu können“, erklärte Spahn in der Bild am Sonntag. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten – European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) – müsse „einen größeren Etat und mehr Handlungsmöglichkeiten bekommen.“ Dafür müsse im nächsten EU-Haushalt Geld zur Verfügung gestellt werden. Über Einschnitte im Alltagsleben der Bevölkerung mag Spahn noch nicht nachdenken. Er spricht vage Empfehlungen aus und überlässt die Verantwortung den Ländern.

Die Verwaltung der deutschen Hauptstadt gibt sich derweil gewohnt dilettantisch. Während am Samstag das Bundesliga-Fußballspiel zwischen Union Berlin und dem 1. FC Bayern München wie gewohnt stattfinden soll, wurden alle Veranstaltungen der großen Bühnen – wie Deutsche Oper, Komische Oper, Deutsches Theater und Friedrichstadtpalast – bis mindestens 19. April abgesagt. Es sei schließlich ein großer Unterschied für die Verbreitung des Covid-19-Virus, begründete Berlins Kultursenator Klaus Lederer das Vorgehen, ob sich Menschen in einem geschlossenen Raum eines Theaters oder unter freiem Himmel in einem Stadion träfen.

Martin Theobald
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