Kriegsbilder als Bilderkrieg

d'Lëtzebuerger Land vom 21.06.2024

Alex Garlands neuer Film Civil War ist nicht nur ein Kriegsfilm, er ist auch ein Film über die Kriegsbilder. In den USA tobt ein verheerender Bürgerkrieg. Es geht dabei nicht so sehr um die destruktive Waffengewalt, sondern um mediale Gewalt, die von einer Gruppe von Kriegsreportern gestiftet wird. Dass der Film bereits vor seinem Kinostart in den Vereinigten Staaten kontrovers diskutiert wurde und mitunter hitzige Reaktionen hervorrief, dürfte nicht weiter verwundern. Es fehle ihm an entschiedener Positionierung, an Transparenz, an Eindeutigkeit in Bezug auf die Darstellung eines neuen, fiktionalen amerikanischen Bürgerkriegs.
Dabei ist genau die Verwischung alles Eindeutigen das erklärte Ziel von Garlands neuem Film: Ausgehend von einem kriegerischen Ausnahmezustand formt er eine subversive Medienkritik, die danach verlangt, selbst moralisch Stellung zu beziehen. Zunächst aber muss da eine Rede einstudiert werden, der Präsident tritt in den Schärfefokus der Kamera; er lügt, der Sieg seiner Regierungstruppen sei unmittelbar in Reichweite. Kalifornien und Texas nämlich sind als „Western Forces“ gegen eine Regierung in den Krieg gezogen, deren Präsident faschistische Züge aufweist. In Wahrheit ist es der Sieg seiner Gegner, der kurz bevorsteht.
Um diese Ereignisse einzufangen, begibt ein Team aus Reportern sich nach Washington – Civil War bedient auffällig die Elemente des road movies –, um die Schilderung der Kriegsumstände jedoch nicht vordergründig werden zu lassen. Dieser Reise trägt der Film Rechnung, nicht so sehr der kriegerischen Handlung. Die Auflösung des FBI und die verlängerte, dritte Amtszeit des Präsidenten sind die verfassungswidrigen Verweise, die Garland liefert, es aber auch dabei belässt. Garland entzieht sich so nicht nur einer gegenwartsbezogenen Lesart der US-Gesellschaft, die vor den im November anstehenden Wahlen immer tiefer gespalten scheint. Er entgeht auch der Reduktion auf eine bloße tagespolitische Botschaft. Als Brite entwickelt er freilich eine europäische Sicht auf US-Amerika, die stört, die aneckt. In mal leisen und mal lauteren Tönen wird eine Kritik an der amerikanischen Demokratie mit dem absoluten Mehrheitswahlrecht, dem Zweiparteiensystem und einer eigenwilligen Interpretation von Rechts und Links spürbar. Dennoch ist darin kein Konflikt über die aktuelle politische Lage, über Trump gegen Biden, ausgedrückt, zumal Garland den Blick öffnet auf Fragen der medialen Reproduktion des Krieges, auf Bilder, die nach Deutung rufen und nach Kontext verlangen. Damit rückt er die Frage nach dem Vertrauen in die Medien in den Mittelpunkt der Erzählung.

Garland interessieren in Civil War nicht die Ursprünge des innerstaatlichen Konfliktes. Nicht einmal interessieren ihn die einzelnen Kriegsparteien – Kalifornien und Texas sind als Repräsentanten liberaler und konservativer Bundesstaaten in einer politischen Allianz ohnehin nur schwer vorstellbar. Wenn Garland vom Krieg berichtet, nimmt er die Berichterstatter in den Blick, will den Krieg aus der Sicht der Reporter erleben lassen. Damit ist das implizite Selbstverständnis getroffen, dass eine Kriegsfotografie, die die absolute und objektive Wahrheit behaupten will, selbstredend äußerst fragwürdig ist.

Civil War bedient eine Zentrierung auf den medialen, kollektiven Bilderkatalog: Ikonische und historische Bilder werden sozusagen für immer verankert, sie werden abgespeichert im kollektiven Gedächtnis: Noch heute gelten die Terroranschläge des 11. September 2001 in dieser Hinsicht als prägend. Bilder eines einschneidenden Ereignisses zirkulieren plötzlich global, ein Ereignis, dessen Ausmaße nicht mehr zu greifen und zu begreifen waren – den Nährboden für Verschwörungstheorien bereitend. Aber auch aktuelle Ereignisse, wie den Ukraine-Krieg oder den im Gazastreifen, rückt Civil War schmerzhaft ins Bewusstsein. Es ist dieses persönliche Bildarchiv, das wir mit uns und in uns tragen, das Civil War nachdrücklich mit seiner Schlusseinstellung adressiert. Die mediale Abbildung von Geschichte und die damit erwachsende Erinnerungskultur sind eng mit der Kriegsfotografie verknüpft.

Zunächst aber beobachtet der Film ein allumfassendes Absterben der Rationalität. Civil War entwickelt in seinen treffendsten Momenten ein Gespür für den Wahnsinn des Krieges, den er an die Frage knüpft, wie man diesen überhaupt noch über den Verstand und mithin in einer medialen Form erfassen kann. Es geht um die Selbstbefragung des Medienschaffenden im Verhältnis zu der äußersten Entmenschlichung einer verrohten Welt im Kriegszustand. Die eigene Funktion des Bildermachens in dieser Grenzsituation wird dabei hochgradig subversiv mitgeführt, die Gedanken der amerikanischen Autorin und Kulturkritikerin Susan Sontag aus ihrem einflussreichen Artikel Über Fotografie (1977) in Erinnerung rufend. Darin äußert sie unter anderem ihre Bedenken gegenüber den Bildern aus dem Vietnamkrieg und fragt sich, ob und wie diese Darstellung des Krieges für die Öffentlichkeit einen konstruktiven Sinn stiften kann. Diese Position relativierte sie in ihrem anderen bedeutenden Werk Das Leiden anderer betrachten (2003): Hier nun sieht sie, geprägt von den medialen Bildern des ersten Irakkriegs und des Jugoslawiens-Konflikts, durchaus Vorzüge eines derartigen Bildersturms, der eine Gesellschaft sinnvoll aufzurütteln vermöge.

Garland legt auch dieses Spannungsverhältnis komplex an und verhandelt es anhand zweier Generationen von Fotografen: Da gibt es die ältere, traumatisierte Kriegsjournalistin Lee (Kirsten Dunst), deren Name Assoziationen zu Lee Miller weckt, und die zukunftsorientierte, ambitionierte Jesse (Cailee Spaeny), die sensationslüsterner vorgeht, dabei doch eine Zuversicht wiedererlangt hat, die Lee abhandengekommen ist. Ebenda macht der Film eine weitere Ebene auf und fragt nach der Kunstfertigkeit der Kriegsfotografie. In Civil War – und damit grenzt der Film sich von anderen Vertretern dieses Subgenres der Kriegsfilmreportage ab, wie Oliver Stones Salvador (1986) oder The Killing Fields (1984) – reicht es nicht mehr, vor Ort und unmittelbar am Geschehen dran zu sein. Nein, das Material muss auch ästhetisch aufbereitet werden. Garland deutet so das Kriegsbild auch als einen Bilderkrieg: immer noch näher an der Action muss man sein, den besten Blickwinkel muss man einnehmen, bevor das Bild geschossen und der Moment eingefroren wird. Dabei verwischen sich auch für die Reporter die Grenzen zunehmend. Längst nicht mehr sind sie stille Beobachterinstanz, sondern werden aktiv ins Kriegstreiben hineingeworfen. Sie nehmen teil an Schusswechseln, die sie aus nächster Nähe betrachten, sie fragen nach den Kriegsparteien, ja sie beteiligen sich sogar an der Erstürmung des Weißen Hauses – totale Verrohung, die völlige Auflösung der Grenzen.

Dieses Leitthema durchzieht Civil War: Wie verhält man sich ethisch zum Krieg, auch zu seiner Abbildung? Ist diese Form der Berichterstattung oder des Kunstschaffens noch legitim? Garland zielt auf eine komplexe Selbstreflexion. Er ist der Künstler, der die Außenposition auf die des Bildermachens ständig mitführt und sein Publikum damit konfrontiert. Garland zeigt in seinen Filmen immer den Kipppunkt, wo die Grenze erreicht ist – es geht immer um eine Überschreitung. Er beschreibt in seinen Filmen immerzu apokalyptische Szenarien; er ist ein zweifelnder Beobachter des menschlichen Fortschritts: des technologischen in Ex Machina (2014) sowie des Anthropozäns in Annihilation (2018) – und des gesellschaftlichen Rückschritts: in Form der patriarchalen Hegemonie in Men (2020) und in Form der innerstaatlicher Kriegsgewalt in Civil War (2024) hin zu genuin bildtheoretischen Überlegungen. Was sagen in der Folge die Bewegtbilder, die das Kino produziert?

Marc Trappendreher
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