Kühl-Packages, Verbandszeug, Coronatests, Augenspül-Ampullen. Der Container, der den Schwimmmeistern am Baggerweiher als Krankenstation dient, ist für alle Fälle ausgestattet. Als Schwimmmeisterin Manon Sagramola den Kühlschrank der Krankenstation öffnet, regen sich draußen im Kinderbassin die ersten Schreie des Tages. Das Freibad am Baggerweiher in Remerschen hat erst vor zehn Minuten geöffnet, noch hält sich der Trubel in Grenzen. Doch es ist heiß heute. In den nächsten Stunden werden bis zu 400 Kinder das kleine Bassin bewuseln, den abgetrennten Bereich des Sees, in dem das Wasser höchstens 90 Zentimeter hoch ist und in flache Ränder aus Sand übergeht. Auf drei Türmen rund herum sitzen Rettungsschwimmer, um jeden Winkel des Bassins im Auge zu behalten. Seit drei Jahren betreibt die Asbl Erliefnis Baggerweier ein Freibad im Naturschutzgebiet neben der Mosel in Remerschen – und stillt damit ein Bedürfnis, das parallel zu den Temperaturen seit Jahren stärker wird. Bis zu 3 000 Besucher dürfen gleichzeitig ins Freibad. Anhaltende Hitzewellen treiben auch die stärksten Faulpelze schließlich in Richtung Wasser, sodass das Freibad am Wochenende regelmäßig an die Grenzen stößt.
Aus dem Kühlschrank in der Krankenstation holt Manon Sagramola eine dicke Plastikflasche. Darin schwappt grünes Wasser, darauf klebt ein pinker Post-It. Datum, Zeitpunkt und genauer Ort der Entnahme mit einer kleinen Zeichnung des Sees in Kugelschreiberblau. Wenn der Schnelltest positiv ist, geht die Wasserprobe ans Luxembourg Institute of Science and Technology (List). In dieser Probe waren keine Blaualgen. Glück gehabt.
Manon Sagramola und die Rettungsschwimmer passen auf. Sie haben ihre Augen überall. Falls jemand in der Hitze über Kreislaufbeschwerden klagt, sich beim Spielen verletzt oder grünen Flaum auf der Wasseroberfläche findet, sind sie zur Stelle. Doch aus dem Wasser retten mussten sie diese Saison erst drei Leute. Manon Sagramola ist die Schwimmmeisterin. Sie führt das Team der Rettungsschwimmer und bildet selbst die neue Generation aus. Nächstes Jahr möchte Rettungsschwimmer Tom Koch die Ausbildung zum Schwimmmeister angehen. Wenn er die geschafft hat, kann er selbst ein Schwimmbad führen. Die Berufsaussichten sind gut, ausgebildete Schwimmmeister werden gesucht, erklärt Manon Sagramola. Seitdem Sagramola vor acht Jahren ihre Ausbildung abgeschlossen hat, hat sich der Beruf gewandelt – zusammen mit der Gesellschaft, dem Land und dem Planeten. Einerseits müssen die Rettungsschwimmer immer aufmerksamer sein, da weniger Kinder richtig schwimmen lernen. „Dazu kommt ab einem gewissen Alter eine Selbstüberschätzung. Da müssen wir öfter eingreifen“, sagt Sagramola. Das Risiko wird größer, Erste Hilfe öfter nötig. Andererseits geht es heute viel um Dinge, die wenig mit der Rettung Ertrinkender zu tun haben. Für Manon Sagramola ist das Wasser nicht nur nass. Es ist Gegenstand von Analysen, Proben, PH-Wert- und Sauerstoffmessungen, Träger von Giftstoffen. Die Wasserqualität muss bestimmte Richtwerte einhalten. Außerdem steht das Feuchtgebiet, zu dem der Baggersee gehört, unter Naturschutz. Tiere haben also genauso Aufenthaltsrecht hier wie Menschen. Um die Wasserqualität und den Zustand des Weihers zu prüfen, fahren die Rettungsschwimmer jeden Tag auf den See hinaus. Tom Koch sitzt im Bug des kleinen schwarzen Schlauchbootes, zieht am Seil, um den Motor anzulassen. Das Boot streicht Wellen in die sonst ruhige Oberfläche des Baggersees. Die Rettungsschwimmer kontrollieren, ob sie Gefahrenstellen entdecken oder sichtbare Verschmutzungen, wie viel Wasser die Nilgänse um die Füße haben, die auf einer aufgeschütteten Sandbank in einer Ecke des Weihers stehen, auch ob sie Blaualgen entdecken. Manchmal weisen Badegäste sie auf mögliche Blaualgen-Akkumulationen hin. Die Schwimmmeister prüfen die Stellen, entnehmen Proben, testen sie auf Giftstoffe und geben die Proben ans List zur genaueren Untersuchung – jeden Tag einen Schnelltest, jede Woche im Labor vom List die ganze Analyse. Denn wenn Blaualgen sich zu stark ausbreiten, werden die Seen zur Gefahr für Menschen.
Blaualgen sind Bakterien, die sich – wenn sie in hohen Mengen auftreten – einem Teppich gleich über die Wasseroberfläche legen. Diese Cyanobakterien produzieren Stoffe, die für Fische, Wassertiere und Menschen giftig sind. Sie verursachen in starker Dosis Hautreizungen und gerötete Augen, Fieber, Magen-Darm-Krämpfe und Durchfall, teilweise auch Atemnot. Wenn Kinder mit Blaualgen verunreinigtes Wasser verschlucken, besteht Lebensgefahr. Sobald also Blaualgen in den Seen gefunden wurden, ruft das Wasserwirtschaftsamt (AGE) Badeverbote aus. Vergangene Woche haben AGE und List die App Bloomin’ Algae eingeführt. Dort können Nutzer Sichtungen von Blaualgen eintragen. So sollen Vorkommen schneller entdeckt werden. Auf der Webseite cyanowatch.lu veröffentlicht das List die Ergebnisse der Kontrollen in Form einer Karte.
Das verstärkte Vorkommen von Blaualgen wird mit dem menschengemachten Klimawandel in Verbindung gebracht. Jean-Baptiste Burnet ist am List für die Beobachtungen zuständig. Er forscht an der Verunreinigung von Wasser durch Bakterien und Viren. Burnet sagt: „Wissenschaftlicher Konsens ist, dass der Klimawandel das Auftreten von Cyanobakterien verstärkt. Aber ob das hier jetzt schon so ist, kann ich nicht sagen.“ Dafür liegen zu wenig Daten vor. Die ersten wissenschaftlichen Aufzeichnungen stammen von Ende der 1990-er-Jahre. Erst seit der starken Algenblüte 2018 überwacht die List-Forschungsgruppe das Vorkommen lückenlos. Burnet sprach mit Fischern, die ihm sagten, sie hätten in den 1980-er-Jahren viel höhere Konzentrationen an Blaualgen beobachtet. „Ich glaube ihnen, aber ich kann es nicht prüfen.“ Zurzeit arbeitet seine Forschungsgruppe an einer Befragung über lokale Blaualgenvorkommen in der Vergangenheit. Denn viele Daten und Erkenntnisse fehlen noch, um Hypothesen zu Gewissheit zu machen. Die Forscher gehen davon aus, dass die Hitze die Ausbreitung von Blaualgen in Seen und Teichen begünstigt. Blaualgen fühlen sich in warmem Wasser wohl. Der Wasserpegel sinkt, und mit geringer Wassermenge nimmt die Konzentration zu; der Verdünnungseffekt ist schwächer. Heftige Regenfälle schwemmen außerdem Schmutzpartikel in die Gewässer. Phosphor ist ein wichtiger Nährstoff für Blaualgen; er wird aus der Landwirtschaft ungefiltert in Seen und Flüsse gespült – und mit ihm Bakterien, Viren, Parasiten, Pilze.
„Wir haben eine sehr gute Infrastruktur zur Wasseraufbereitung in Luxemburg, aber wir müssen immer weiter daran arbeiten, sie zu verbessern und widerstandsfähiger zu machen“, sagt Jean-Baptiste Burnet. Denn auf Starkregen, der durch den menschengemachten Klimawandel immer häufiger fällt, sind die Kläranlagen nicht eingestellt. Wenn die Wasseraufbereitungsanlagen an ihre Grenzen stoßen, werden Regenwasser und Abwasser ungefiltert in Flüsse und Seen abgelassen, um zu verhindern, dass Städte überschwemmen. In vielen großen Städten führt das immer wieder zu verschmutzten Flüssen. Die Stadt Paris hat im vergangenen Monat zwei Vorbereitungsveranstaltungen zu den Olympischen Spielen 2024 abgesagt wegen schlechter Wasserqualität. Mit vielen Investitionen in die Wasseraufbereitung versucht Paris seit Jahren, die Verschmutzung der Seine zu reduzieren. Dennoch kommen die Kläranlagen noch nicht gegen die Natur an. Ende Juli fiel so viel Regen auf einmal, dass die Konzentration an Bakterien zu hoch war, um Triathleten ins Wasser zu lassen.
In Luxemburg ist der Verschmutzungsgrad niedriger. Burnet sagt: „Wir schaffen es, die Verschmutzung unter Kontrolle zu halten.“ Dabei ist das in Luxemburg schwieriger als anderswo, weiß Jean-Paul Lickes, Direktor des Wasserwirtschaftsamtes. „Wir liegen an der Wasserscheide zwischen zwei Einzugsbecken, denen von Rhein und Maas. Diese Gegebenheit verschärft die Klimawandelszenarien. Wir sind zwar ein quellenreiches Gebiet, aber die Abflussmengen schwanken stark zwischen Winter und Sommer.“ Im Sommer haben die Flüsse wenig Wasser. Sie werden fast ausschließlich durch das gereinigte Wasser der Kläranlagen gespeist – denn durch Luxemburg fließt kein großer Fluss, der die kleineren mit frischem Wasser versorgen könnte. „Wir gehen davon aus, dass sich das durch den Klimawandel noch verschärft“, sagt Lickes. Besonders anhaltende Trockenheit und punktueller Starkregen seien Stressfaktoren für die Ökosysteme der Gewässer. „Das ist das Szenario, auf das wir uns einstellen müssen. Deshalb müssen wir Bäche und Flüsse resistenter für Flora und Fauna machen.“
Dass Blaualgen im Wasser vorkommen, ist normal. Lange bevor es Pflanzen und Tiere gab, gab es Blaualgen. Sie haben dazu beigetragen, dass es überhaupt Sauerstoff auf der Erde gibt und Menschen auf der Erde leben können, da sie Meister der Photosynthese sind. Aber wenn sie zur herrschenden Kraft im Ökosystem aufsteigen, schaden sie einigen Arten und verhelfen anderen zu unverhoffter Größe. Die ganze Nahrungskette gerät aus dem Gefüge, das System aus dem Gleichgewicht.
Wird der Blaualgengrenzwert einmal überschritten, bleibt in Remerschen das Freibad für den Rest des Jahres zu. Die Gefahr wäre zu groß. Seit Mitte August rechnet Manon Sagramola jeden Tag mit der Entdeckung von Blaualgen. Ein Plan B für den Rest des Geschäftsjahrs ist geschrieben. Sie ist vorbereitet. In den Arbeitsverträgen der Saisonarbeiter steht, die Anstellung endet, sobald Blaualgen auftauchen. Die festen Mitarbeiter bekommen dann andere Aufgaben rund um den See. Dennoch hofft Sagramola, dass die Saison andauert. Der Juli war verregnet. Erst letzte Woche kam das Geschäft im Freibad richtig in Gang. Die Einnahmen aus dem Eintritt müssen für das ganze Geschäftsjahr reichen, auch um einen Teil des Personals zu bezahlen. Nach Saisonende gibt es zwar Einnahmen aus Festen und Veranstaltungen rund um den See, doch das ist nur Nebengeschäft.
Tom Koch und Manon Sagramola werfen einen Blick auf den Wasserspiegel – noch ein Faktor, der den Launen des Wetters unterworfen ist. Im Winter sind die Steine am Ufer beim Ponton von Wasser bedeckt, zurzeit liegen sie etwa 30 Zentimeter frei. Kein Grund zur Sorge. Durch den Regen ist der Wasserspiegel dieses Jahr höher als 2022. Manon Sagramola sagt: „Letztes Jahr ist der Wasserspiegel etwa anderthalb Meter runtergegangen. Ein Mann hat einen Kopfsprung vom Ponton gemacht, als das Wasser so niedrig stand. Die Verletzungsgefahr ist groß.“ Der Herr hat es unbeschadet überstanden, aber sicher eine Rüge und einen Pfiff von den Rettungsschwimmern einkassiert. Eben für solche Situationen tragen sie noch immer die Pfeife um den Hals.