Mit dem neuen Energie- und Klimaplan demonstriert die Regierung Geschlossenheit. Im Wahljahr ist das vor allem den Grünen wichtig

Mit Xavier Bettels Hilfe

Am Montag bei der Vorstellung des Pnec:  Die Umwelt- ministerin, der Premier und der Wirtschafts- minister
Foto: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land vom 21.04.2023

Als im Dezember 2019 eine erste „Roadmap“ der Regierung für einen Energie- und Klimaplan öffentlich vorgestellt wurde, erledigten Energieminister Claude Turmes und die damalige Umweltministerin Carole Dieschbourg das. Wieso auch nicht – die beiden Grünen waren federführend für den mit „Pnec“ abgekürzten Plan, der im Mai 2020 fertig wurde. Am Montag dagegen stand auch LSAP-Wirtschaftsminister Franz Fayot vor der Presse und vor allem der Premier himself. Dabei gab es diesmal nur den Entwurf für ein Pnec-Update zu präsentieren.

Doch während die Regierung Ende 2019 ein Jahr im Amt war, wird in knapp sechs Monaten wieder gewählt. Größere Projekte bedürfen somit zusätzlichen politischen Marketings. Umso mehr, wenn es um ein Thema geht, das einerseits wahlkampfrelevant, andererseits CSV-Spitzenkandidat Luc Frieden eher fremd ist.

Dabei wirkte, was Umweltministerin Joëlle Welfring und Energieminister Claude Turmes beschrieben, recht technisch. Der neue Pnec sieht vor, den Energieverbrauch Luxemburgs 2030 nicht nur zu 25 Prozent aus erneuerbar produzierter Elektrizität, Wärme und Kraftstoffen zu decken, sondern zu 35 bis 37 Prozent. Der Gesamtverbrauch selber soll im Vergleich zu einer Referenz aus dem Jahr 2007 nicht um 40 bis 44 Prozent sinken, sondern um 44 Prozent. Beim CO2-Reduktionsziel um 55 Prozent gegenüber dem Stand von 2005 soll es bleiben.

Diese Zahlen alleine sagen noch nicht viel. Auch dass am Montag erwähnt wurde, von 197 Maßnahmen seien „43 Prozent schon in der Umsetzung“, gab wenig Aufschluss darüber, wieviel Ambition in dem neuen Plan steckt und wie politisch anspruchsvoll er womöglich ist. Doch vorher hatte Xavier Bettel viel Redezeit für sich beansprucht. Ausführlich gewürdigt, dass er es war, der den Klimabiergerrot einberief, den er im état de la nation 2021 angekündigt hatte. Hatte versichert, die Empfehlungen des Biergerrot seien berücksichtigt worden und der neue Plan sei einer „von Bürgern für die Bürger“. Es gehe „um die Zukunft des Landes“ und um die „unserer Kinder und Enkelkinder“. Abgesehen davon, dass der Premier seit 2019 in seinen Erklärungen zur Lage des Landes dem Thema breiten Raum widmet, war aus dem Mund eines DP-Politikers soviel Klima auf einmal wie am Montag selten zu hören. Bliebe, wenn derart viel Klimaschutz schon mit der DP zu haben sein soll, noch etwas für die Grünen zu tun übrig? Immerhin ist ja schon Wahlkampf.

Das Pnec-Update hat es tatsächlich in sich. Bei der Pressekonferenz wurde das nicht so deutlich, weil der Entwurf unter Zeitdruck zustande kam. Gleich nach der Konferenz begann die consultation publique, die bis zum 17. Mai dauert. Überarbeitungen des Entwurfs eingedenk, wird es knapp, den Abgabetermin Ende Juni bei der EU-Kommission einzuhalten. Und so konnte es kommen, dass Energieminister Claude Turmes sich auf eine Journalistenfrage, weshalb die Regierung nicht mehr tun wolle, einen Moment lang erregte: „Das sehe ich überhaupt nicht so!“

Wahrscheinlich hat Turmes Recht. Das erschließt sich bei der Lektüre des über 300 Seiten langen Dokuments, das unter emwelt.lu online steht. Zum Beispiel geht die Regierung bis 2030 von einer enormen Zunahme des Strombedarfs aus. Im aktuellen Pnec ist von 6 700 Gigawattstunden die Rede. Das wäre kaum mehr als heute; seit Jahren schwankt der Jahresstromverbrauch um die 6 500 Gigawattstunden. 2021 entfielen 1 000 auf die Haushalte, 1 600 auf Betriebe, 3 700 auf die stromintensive Industrie. Im Pnec-Update dagegen wird mit über 8 100 Gigawattstunden zum Ende des Jahrzehnts gerechnet. Darin stecken Wärmepumpen und Elektroautos, aber auch die Dekarbonisierung industrieller Prozesse durch Elektrifizierung. Alles bei einer Bevölkerung und einer Wirtschaft, die weiter wachsen sollen.

Zwangsläufig wird dazu mehr grüner Strom nötig sein. Viel mehr. Statt 2 200 Gigawattstunden, wie 2020 angenommen, wird nun mit 3 000 für das Jahr 2030 gerechnet. Das wären drei Mal mehr, als in Luxemburg heute produziert wird, innerhalb von nur sieben Jahren. Dass der Solarstromanteil sich weiter steigern lassen werde, als 2020 angenommen, glaubt das Energieministerium nicht. Und selbst die für 2030 anvisierten 1 100 Gigawattstunden wären sieben Mal mal so viel wie 2021. Mehr erhofft man sich offenbar aus Windstrom: 1 000 Gigawattstunden bis 2030; der Plan von vor vier Jahren ging noch von 674 aus, 2021 wurden 314 Gigawattstunden erreicht. Wobei: Neue Windkraftstandorte gebe es kaum, so das Pnec-Update. Mehr Ausbeute soll das „Repowering“ existierender Anlagen auf mehr Leistung bringen. Dann ist Schluss. Dass Luxemburg Ende des Jahrzehnts dennoch 60 Prozent seines hohen Strombedarfs „grün“ abdecken will und es bis 2035 hundert Prozent sein sollen, müsste die Beteiligung an Anlagen im Ausland sichern. Dass das viel Geld kosten wird, ist klar. Dass es schneller gehen muss als bisher gedacht, liegt unter anderem auch daran, dass die EU vergangenes Jahr nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine entschieden hat, rascher zu mehr Energie-Autonomie zu gelangen, und in einem Programm RePowerEU die Ziele für erneuerbare Energien anhob.

Der Staat werde „massiv investieren“, kündigte Xavier Bettel an. Dummerweise kann die Regierung noch nicht sagen, welcher Finanzrahmen bereitgestellt werden soll; noch sei „nicht alles budgetisiert“. Dabei ist die grüne Energieversorgung ein wichtiger, aber nicht der einzige Teil der Rechnung. Beihilfen für Unternehmen sind noch einer. Hilfen für die Bürger/innen ein weiterer. Letzten Endes steckt im aktualisierten Pnec ein marktkonformes Konzept für mehr Klimaschutz. So muss Bettels Versicherung verstanden werden, „wir lassen die Leute nicht allein“. Ob beim Ersatz von Öl- und Gasheizungen oder der Wärmeisolierung von Altbauten: Für die Bürger/innen soll es keine Verbote und Vorschriften geben, sondern gut dotierte Anreize. Vorgeschrieben werden soll die Isolation von Bürogebäuden, der Staat soll mit gutem Beispiel vorangehen. Alles in allem haben die Grünen keine Lust, im Wahlkampf als „Verbotspartei“ zu erscheinen; die DP, die sich gerne grün gibt, noch weniger. Darin lag der politische Sinn der Pnec-Vorstellung am Montag: Kommt dessen Ansatz bei den Wähler/innen gut an, gibt die Klima- und Energiewende vielleicht ein föderierendes Thema für eine dritte Runde Blau-Rot-Grün her. Falls nicht, könnte es DP und LSAP immerhin ein wenig nützen. Für die Grünen dagegen ist der Pnec strategisch. An der Regierung zu bleiben, wäre für sie kaum anders denkbar als mit DP und LSAP. Die am Montag demonstrierte Geschlossenheit mit dem Premier als Conférencier diente vor allem ihnen.

Dass die neue Klima-Ambition sich so hat formulieren lassen, liegt natürlich auch daran, dass Tanktouristen und Pendler sie über die CO2-Steuer mitfinanzieren, deren Erlös zur Hälfte in den Klimafonds fließt. Luxemburg verkauft dennoch weiterhin nicht wenig Sprit. Das dürfte auch noch so sein, wenn der CO2-Preis bis 2026 weiterhin jedes Jahr um fünf Euro pro Tonne steigt – was jeweils 1,1 bis 1,2 Cent mehr an Akzisen pro Liter Benzin und Diesel entspricht. Dass die Regierung die Fortsetzung der Steuer sechs Monate vor den Wahlen ins Pnec-Update geschrieben hat, sieht auf den ersten Blick kühn aus. Auf den zweiten nicht: In der EU ist ein Emissionshandel für Transport und Gebäude und damit ein europaweiter CO2-Preis ab 2027 quasi beschlossene Sache: 45 Euro die Tonne, bei denen es bis 2030 bleiben soll. Schreibt Luxemburg seine CO2-Steuer fort, kommt es genau dort an. Und wird, wie die Umweltministerin am Montag verriet, die Hälfte der Einnahmen ausnahmsweise auch weiterhin sozial umverteilen dürfen. EU-weit soll das nicht so sein, sondern ein 87 Milliarden schwerer Sozialfonds für alle bereitstehen, die Zuwendungen daraus allerdings umgekehrt proportional zum Reichtum eines Staates liegen. Am Ende könnte die Luxemburger Steuer sich als gute Idee herausstellen.

Sofern bis 2027 die drei Nachbarländer eine haben. Deutschland und Frankreich haben eine, die ähnlich hoch ist wie die hierzulande oder höher. Belgien fehlt noch. Zieht es nicht nach, könnte Luxemburg gezwungen sein, seine Steuer drastisch zu steigern, um zu viel Tanktourismus abzuwenden. Womöglich auf 90 statt nur 45 Euro pro Tonne. Denn vor allem durch die Steuer werde es möglich, die 55 Prozent CO2-Reduktion zu erreichen, oder sogar 58 Prozent bis 2030, hat das Statec ausgerechnet. Bliebe es bei den aktuell 30 Euro die Tonne, würden es nur minus 47 Prozent. Gut möglich, dass dieses Detail auf den 300 Seiten noch für Diskussionen sorgt. Andererseits waren 2022 die Spritpreise mitunter so hoch, als habe die Steuer 400 Euro die Tonne betragen.

Peter Feist
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