LEITARTIKEL

Die wichtigen Probleme

d'Lëtzebuerger Land vom 11.08.2023

Am Freitag vergangener Woche veröffentlichte Mir d’Vollek eine Art politisches Manifest. Die aus der Antivax-Bewegung hervorgegangene Biergerlëscht sieht allerlei Verschwörungen am Werk, darunter „die Klima-Religion des tödlichen CO2“. Wie könne der Weltklimarat IPCC behaupten, dass in der vorindustriellen Zeit der CO2-Gehalt der Atmosphäre 0,028 Prozent betragen habe, wenn es laut „Band 4 von Meyers Konversationslexikon aus dem Jahre 1844“ doch 0,04 Prozent waren, etwa so viel wie heute? „Der übereilte Ausstieg aus sogenannt fossilen Energiequellen ist ein weiterer Sargnagel für Wohlstand und Freiheitsrechte (...).“

Mir d’Vollek mag eine politische Randerscheinung sein. Doch an der Klimapolitik könnte sich ein Kulturkampf entzünden, der die Gesellschaft spaltet. Kommt nächsten Monat der Wahlkampf in Schwung, könnten weitere Anzeichen zu beobachten sein. Von der ADR zum Beispiel, die bisher nur über das „Verbrennerverbot“ schimpfte. Vielleicht auch von der CSV, die zur Klimapolitik in der ganzen Legislaturperiode keine Linie hatte: Ihr Abgeordneter Paul Galles wollte als Radfahrer Vorbild sein, Fraktionschef Gilles Roth warnte, „gréng gëtt deier!“ Spitzenkandidat Luc Frieden hat bisher kaum mehr gesagt, als Luxemburg „Schlusslicht“ in der EU bei der Produktion von grünem Strom zu nennen, was so nicht stimmt.

Bisher war es in Luxemburg nicht nötig, um einen breiten gesellschaftlichen Konsens für die Klimapolitik zu ringen. Es gab genug Geld für Beilhilfen und Kompensationszahlungen. Was es den zuständigen Minister/innen von den Grünen erlaubte, ihre Arbeit mit technokratischem Fleiß zu erledigen, ohne ihre Politik groß erklären zu müssen. So gut hat es die nächste Regierung vermutlich nicht, ganz gleich, wie sie sich zusammensetzt. Denn in den westlichen Ländern nehmen Grundsatzkonflikte um die Klimapolitik zu. In den USA hat eine konservative Denkfabrik ein tausend Seiten langes Programm für mehr fossile Energien geschrieben. Kommt der nächste Präsident von den Republikanern, könnte er sich darauf beziehen. In Deutschland geraten Klimapolitik und „Energiewende“ zunehmend sozial in Verruf, während die AfD an Zuspruch gewinnt. Die europäische Rechte streitet den Klimawandel nicht mehr ab, auch den menschengemachten nicht, sondern sagt nun, es sei zu spät, etwas dagegen zu unternehmen. Nur Anpassung helfe noch, und um sie zu bezahlen, sei Wachstum nötig. Öl, Gas und Kohle auch.

Solche Behauptungen stehen nur scheinbar im Widerspruch zu den Wetterextremen der letzten Zeit. Zu den Überschwemmungen in Slowenien, der anhaltenden Hitze in Südspanien, den Waldbränden in Portugal. Oder zu den jungen Pfadfindern, die vom Welttreffen in Seoul ausgeflogen werden mussten, weil dort erst sengende Hitze herrschte, dann ein Taifun losbrach. Wer die sich häufenden Wetterextreme nicht als Hinweis dafür anerkennen will, dass der Klimaschutz mit seinen Zielen bis 2050 hinten und vorne nicht reicht, nimmt sie als Argument dafür, dass ohnehin alles zu spät sei.

Für Luxemburg müsste das heißen, die Klima- und die Energiepolitik viel mehr unter die Leute zu bringen. Die CSV hatte ja Recht, wenn sie in den letzten Jahren sagte, Klimaschutz gehe nur „mat de Leit“. Das wusste die Regierung auch, sie machte Klimapolitik nie gegen die Leute. Sie legte aber bisher wenig Wert darauf zu erklären, welchen sozialen Begleitschutz sie mobiliserte. Am 8. Oktober könnte sich das vor allem für die Grünen als strategisches Versäumnis erweisen. Auf längere Sicht aber für jede Politik, die es mit der Senkung der Treibhausgasemissionen ernst meint. Denn die ist weder eine Lifestyle-Frage, noch ein finsterer Plan eines Establishments. Immer offensichtlicher wird aber, dass es für viele Menschen wesentlich dringendere Probleme gibt, als sich ums Klima zu sorgen. Nötig ist deshalb, dass das Establishment viel besser erklärt, was es will und warum. Weshalb es von den Leuten erwartet, dass sie dabei mitmachen. Und vor allem, wie dafür gesorgt wird, dass keiner unter die Räder kommt.

Peter Feist
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