Eigentlich ist sie ein ganz normaler Teenager, diese Arielle (Halle Bailey), Prinzessin des Unterwasser-Königreiches Atlantica. Sie rebelliert gegen ihren autoritären Vater, König Triton (Javier Bardem), dem der Schutz wichtiger ist, als der freie Wille seiner Tochter. Die nämlich fühlt sich ganz angezogen von dem Menschenreich über der Wasseroberfläche. Als sie dann auf den Prinzen Eric (Jonathan Hauer-King) trifft, ist es um sie geschehen. Um ihren Wünschen nachzugehen, lässt sie sich auf einen Pakt mit der teuflischen Ursula (Melissa McCarthy), der Schwester des Königs, ein. Arielle ist fortan entschlossen, die beiden Welten zu einen.
Als ein Plädoyer für die Völkerverständigung folgt The Little Mermaid ganz dem Original: Basierend auf einer Märchenerzählung von Hans Christian Andersen setzte das Disney-Studio den Stoff um die Meerjungfrau erstmals 1989 als Animationsfilm um, sozusagen der Auftakt der „goldenen Zeichentrickfilm-Ära“. Die oftmals auch als „Disney-Renaissance“ bezeichnete Wende in der Geschichte des Studios verdankte seinen Erfolg der neuartigen Animationskunst der Trickfilmzeichner und den ungemein eingängigen Musicalnummern des Filmkomponisten Alan Menken. Unter der Regie von Rob Marshall, der für Disney bereits den vierten Teil der Pirates of the Caribbean-Reihe, Into the Woods oder noch die Neuverfilmung von Mary Poppins realisierte, folgt ganz dem entschiedenen Prinzip des Filmstudios, auf die einstigen Klassiker eine Realverfilmung folgen zu lassen, in der es zuvorderst darum geht, die Qualitäten des Originals, die zeitlosen, moralisch aufbauenden Botschaften, die eingängigen Musical-Nummern in einen heutigen, nach Diversität strebenden Kontext zu überführen, ja aktualisierend zu überschreiben. Die Disney-Realverfilmung – wobei an diesem Film, bis auf die Gesichter der Schauspieler, fast alles computergeneriert ist – hat mit Halle Bailey eine dunkelhäutige Schauspielerin für die Rolle der Meerjungfrau auserkoren – ein Umstand, der den Zeichen der Zeit entsprechend bereits im Vorfeld für viel Furore gesorgt hat. Auch wurden einige Liedpassagen den Anforderungen nach mehr Gleichberechtigung und political correctness angepasst.
Dass der Film inhaltlich kaum Eigenständigkeit behaupten kann, mag man im Rahmen des Remakes noch gelten lassen. Die ästhetische Armut hingegen, die bereits im Trailer ablesbar war, zeugt von der Einfallslosigkeit dieser filmischen Überführungsbestrebungen. Glühwürmchen fliegen durch die Luft, die Pflanzen rauschen im Wind, die Dämmerung bricht an – ja, alles ist glanzvolle Stimmung; auf der Leinwand wird der Zauber der Natur behauptet, allein es fehlt die Magie. Dass die mimische und gestische Energie einer Zeichentrickfigur mit der realweltlichen Anpassung erheblich eigenschränkt wird, war ohnehin spätestens seit der Neuverfilmung von The Lion King evident. Die Unterwasseraufnahmen sind imposant, auch in 3D, wurden aber in Avatar - The Way of Water eindrücklicher in Szene gesetzt. Alles an The Little Mermaid drängt auf die Erkenntnis, den Film als technisches Update zu lesen: Filme als Software, nicht als Kunst.
Der populäre Film ist heute wohl, der krakauerschen These entsprechend, immer noch Spiegel der Gesellschaft, aber nur noch kontextuell rund um das gesellschaftliche Phänomen, nicht mehr auf inhaltlicher Ebene, von der aus sich Rückschlüsse auf die Gesellschaft ziehen ließen. Nach Rings of Power diskutiert man nun über die Hautfarbe von Arielle, der Meerjungfrau – dass man sich über die Hautfarbe von Fabelwesen derart viele Gedanken machen kann, scheint ein Novum popkultureller Diskussion. Bemerkenswert an diesem Umstand ist aber, dass die Diskussion um Diversitätsansprüche zur eigentlichen Marketingstrategie des Studio-Giganten Disney geworden ist. Nichts Neues unter der Sonne also – in diesem Sinne aber ist auch das Argument, der Film biete nichts Neues mehr an, nun wirklich nicht mehr neu. Die Armut des gegenwärtigen Blockbuster-Kinos mag auch zu einer Verkümmerung der filmkritischen Reflexion führen.