Kino

Angstszenarien

d'Lëtzebuerger Land vom 12.05.2023

Der US-amerikanische Regisseur und Drehbuchautor Ari Aster ist mit nur zwei Filmen zu einem angesagten Filmemacher des jüngsten Horrorgenres avanciert. Nach Hereditary (2018) und Midsommar (2019) entfernt sich Aster nun aber mit Beau is Afraid von den Formeln des Horrorkinos und verankert diesen viel stärker in den Gesetzmäßigkeiten der Komödie, denn der Horror scheint hier schlicht seiner Funktion beraubt: Nicht mehr geht es um das Auslösen von lustvollen Angstzuständen, weil die Angst selbst Gegenstand des gesamten Films ist, ohne aber eine wirkliche Reflexion über diese anzustreben. Der Titel ist in seiner Aussagekraft so einschlägig und selbsterklärend, wie er wenig überraschend und nachgerade albern ist: Beau (Joaquin Phoenix) sollte seine Mutter besuchen. Doch eine Reihe von unvorhergesehenen und ganz unglücklichen Umständen hält ihn immer wieder davon ab. Von da aus strukturieren einzelne Episoden des Elends die Handlung, immer wieder sieht sich Beau diverser Angstszenarien ausgesetzt, doch wirklich stellen tut er sich diesen nicht, er lässt sie vielmehr über sich ergehen. Es ist eine tiefsitzende Unsicherheit, die die Basis für das Geschehen bildet. Was als eine durchaus ansprechende und absurd-dystopische Abhandlung über die Angst beginnt, ein abstruses Gesellschaftsbild in desolaten Straßen ausmalt und an ein überzeichnetes Bild der Corona-Pandemie erinnert, spitzt sich immer weiter zu in eine ganz pseudo-psychoanalytische Abhandlung von Missbrauch, Rechtfertigungen und Schuldfragen in einem gestörten Verhältnis zur possessiven Mutter. Und ab da kann der Film auch als Komödie nicht mehr unterwandern. Midsommar war ein Film, der in Anlehnung an den Klassiker des paganen Horrors The Wicker Man (1979) als Spiegel für ein kollektives Unbewusstes gelesen werden konnte, und gleichsam verdeckt die aktuellen politischen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten herausstellte, ja gerade die Risse in der Fassade aufzudecken versuchte. Beau is Afraid fehlt es an weiteren Deutungsebenen, der Film referiert auf nichts anderes als auf die eigene alptraumhafte Psychotherapie, die wir dank Joaquin Phoenix‘ leidvoller Miene mit diesem Beau erfahren sollen. In der Folge wird eine stetig zunehmende Dialogizität bemüht, die sogar eine sehr kunstvoll eingearbeitete Binnenerzählung umfasst, die freilich alles zu sagen, aber wenig zu erklären weiß. Über 180 Minuten wird in einem mitunter ganz phantasmagorischem Bilderreigen die immergleiche Ausgangsposition formuliert, Schuldzuweisungen hin- und hergeschoben.

Alles an diesem Film ist derart surreal, absurd, grotesk und überzeichnet, dass man ihm eine mangelnde Ernsthaftigkeit nicht recht unterstellen will, weil Ernsthaftigkeit als ordnende Größe hier gar nicht erst greift. Wenn dann ein monströser Phallus auf dem Dachboden auftaucht, fühlt man sich endgültig an die frühen Persiflage-Arbeiten von Peter Jackson erinnert, gerade Braindead (1992) war noch eine äußerst komödiantische Auseinandersetzung mit Alfred Hitchcocks Psycho (1960). Als eine glaubwürdige Abhandlung über Verdrängung und mentale Traumata kann man Beau is Afraid nicht begreifen – dafür bleiben seine Themen oberflächlich und dienen mehr der Aneinanderreihung von schockierenden Twists, M. Night Shyamalans Filmen nahe stehend – eine wirklich eindringliche Aussage schaffen sie nicht. Man denke nur an die Virtuosität in den Werken Hitchcocks, etwa The Birds (1963), Marnie (1964) oder noch Strangers on the Train (1951), den Aster direkt zitiert. Möglicherweise ist Beau is Afraid auch als eine Parodie auf Sigmund Freud und die Psychoanalyse zu lesen, denn Aster verschnürt Horror und Komödie in der festen, internen Fokalisierung. Nie weiß der Erzähler und sein Publikum mehr als die Figur, weil so alles und zugleich nichts plausibel erscheinen kann. Die Twists präsentieren sich denn auch vielmehr als narrative Taschenspielertricks, die immer neue Erzählebenen in einander schachteln und einen Film hervorbringen, der unter seinem Erzählkonvolut einzubrechen droht.

Marc Trappendreher
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