Das TNL mausert sich zu einer Bühne, die eigenwilligen Solo-Darbietungen starker Frauen zunehmend Raum gibt, ohne dabei auf Heiner Müller und herausfordernde Themen (Paul Celan/Leni Riefenstahl) zu verzichten. In der vorletzten Spielzeit lieferte Marie Jung mit Poupette eine eindrucksvolle Performance. Letztes Jahr zeigte Gintaré Parulyté mit ihrem Stück Lovefool eine bewegende Bühnenperformance einer Schauspielerin (Kristin Winters) auf ihrem Weg zur Selbstliebe, ein Auf- und Ausbruch einer jungen Frau, die sich aus Abhängigkeitsverhältnissen und vom Erwartungsdruck befreit.
Eine universellere und gewissermaßen reifere Sicht auf den weiblichen Körper bietet Sascha Ley mit Cosmos. In unterschiedlichen Gestalten, Phasen und subjektiven Erinnerungen reflektiert sie das eigene Sein. In ihrer rund einstündigen Performance streift sie sich die Identitäten ab wie eine Raupe, die sich mit der Zeit transformiert.
Zum Auftakt erklingt I want you von Lennon und McCartney; das Publikum blickt auf einen eiförmigen Drehstuhl, einen grasgrünen Teppich, einen Hocker und eine Leinwand, auf der das Gekritzel aus einem Tagebuch zu sehen ist: lose Einträge bestehend aus Worten und Illustrationen. Vom seitlichen Rand der Bühne baumelt ein transparentes Kleid von einer Kette. Die Musik wechselt zu einer Stimme aus dem Off, die Namen von die Erde umgebenden Sternen und ihre Entfernung benennt. Der Mensch ist nur ein Funke im unendlichen Kosmos, unser Sein ein kurzes Aufflackern.
In ihrer Solo-Performance Cosmos (Not enough) vermischt Sascha Ley Tanz, Bewegung und Gesang und ergänzt diese von Anbeginn durch Videoaufnahmen. Sie erzählt eine Geschichte über Liebe und Lust, basierend auf ihrer Version und ihren Liedtexten (Love Say Abbreviate, Once Heart, This Thing About Memory). In Zusammenarbeit mit dem deutschen Lichtkünstler Krischan Kriesten hat Ley so eine sinnliche, interdisziplinäre Performance geschaffen.
Sukzessive webt sie Assoziationsräume, ausgehend von ihrem eigenen Kosmos und in konsequenter Selbstbefragung: Was ist ein Wort? Wie kommunizieren wir? Kennen wir uns selbst überhaupt? Was ist der (weibliche) Körper? Was weibliches Begehren? Sind unsere Körper reine Projektionsflächen von Wünschen der Anderen ...? „Imagine reconstructing the female body and mind !“
Ley beginnt die Performance im Hosenanzug und wird die Kleidung sukzessive abstreifen. Fast nackt wird sie ihren Körper abtasten und erforscht Gliedmaßen und (Geschlechts-)Organe: Brüste, Nippel, Vagina. Was macht den Menschen aus? Was verbirgt sich dahinter?
Es sind drei lose Handlungsstränge, die über Videoprojektion eingespielt werden: Der erste erzählt eine Liebesgeschichte, der zweite untersucht (pseudo-)wissenschaftlich, wie der weibliche Körper aufgebaut ist, im dritten erzählen Frauen von ihren sexuellen (Gewalt-)Phantasien. Im Film spielt Ley die Rolle verschiedener Frauen und eines Mannes, die alle von unterschiedlichen sexuellen Erlebnissen erzählen, oder sind es die gleichen Erlebnisse in unterschiedlicher Wahrnehmung? Wie wahr ist eine Liebesgeschichte in der Retrospektive, was bleibt in unserer selektiven Wahrnehmung hängen und was blenden wir aus? Jede(r) hat seine eigene subjektive Wahrnehmung auf sich selbst und die Welt – ausgehend von seiner Bagage.
In ihrem Bewusstseinsstrom reflektiert Ley verspielt, spöttisch und bisweilen versonnen rauchend die unterschiedlichen Perzeptionen und spielt mit den heteronormativen Geschlechterrollen oder wälzt sich hingebend auf dem Teppich. Die Darbietung ist sprachlich gewitzt, betörend im Gesang und stimmig in der Choreografie und stellt doch keine allzu schweren Fragen.
Wenn am Ende eine Wunderkerze verglimmt, blickt die Künstlerin lässig auf ihre wohl auch eigenen Lebensentwürfe zurück und lädt die Zuschauer/innen dazu ein, die eigenen Erfahrungen zu reflektieren. Wer sich auf die sinnliche Performance einlässt, kann seine eigene Reise durch seinen „Cosmos“ erleben. Wem dies nicht gelingt, kann den Sinnesrausch auf sich einwirken lassen und genießen. Es ist eine starke Solo-Performance, die von den Facetten der starken Bühnenpräsenz Leys, den mit ihrer rauchig-jazzigen Stimme gesungenen Songs wie von den eingespielten Videoausschnitten lebt.
Am Ende steht der Anfang: Ein Tagebuch mit collagehaften Skizzen wie ein Pixi-Heft, das die assoziative Reise durch das eigene Bewusstsein dokumentiert. Mehr davon!