Büroarbeit ist oft kein Zuckerschlecken. Bei vielen unterscheidet sich der Alltag nur durch Nuancen der Langeweile und Prozeduren der Sinnlosigkeit. Kaum verwunderlich, dass David Graebers Bullshit Jobs zum internationalen Bestseller wurde. Auch Luc Teichmann fristet ein freudloses Dasein. Er arbeitet bei einer Versicherung, wo er tagein, tagaus „Schadakten“ prüft. Dies in einer globalisierten Welt, deren Schäden kaum mehr versicherbar sind. Als einfacher „Büroangestellter-Darsteller“ bei Metz & Co. verkauft er damit Sicherheiten, die es nicht mehr gibt. Sein Verhältnis zu den Arbeitskolleg/innen ist von Argwohn bestimmt, „Harnimpotenz im Konkurrenzsystem“ nennt Walser dies etwa. Und: „Je länger Geschädigte Geschädigte bleiben, desto mehr Schaden richten sie am Ende an“, heißt es später.
Um sein Image aufzupolieren, erfindet der nach außen hin gewöhnliche Angestellte Teichmann Geschichten aus Anekdoten, die er beim Tram-Fahren aufschnappt. Doch in Wahrheit kreisen seine Gedanken exklusiv um eine Esche am Stadtrand, die er zärtlich „Ash“ nennt und die im heißen Sommer in Gefahr ist ... Als er bei einer seiner nächtlichen Eskapaden seinem Kollegen Albert in unvorteilhafter Bundfaltenhose über den Weg läuft, drohen seine Ausfluchten aufzufliegen, und seine Reputation ist in Gefahr.
Theresia Walsers Monodrama Eschenliebe erzählt vielschichtig von der wahnhaften Liebe eines Mannes zu einem Baum. Für das Kunstfest Weimar hat die deutsche Dramatikerin dem Luxemburger Steve Karier die Rolle förmlich auf den Leib geschrieben. Ihr Text birgt auch Reflexionen über den Klimawandel, den Menschen im Anthropozän. Im Verhältnis zu früheren Texten Walsers, etwa Wandernutten (2004) oder Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel (2013), ist Eschenliebe weit weniger provokativ; sie kreiert darin abermals ihre eigene absurde Welt.
Nur mit zwei Wassereimern behangen betritt Karier die leere Bühne des Kapuzinertheaters: „Kommt ein Mann mit zwei Eimern ...“ wird zum (Auf-)Takt, der Walsers Text gliedert, gefolgt von Mutmaßungen und Hirngespinsten. Kann man (Mann!) sich aus dem gewöhnlichen Alltag flüchten, indem er sich in eine wahnhafte Leidenschaft zu einer Esche hineinsteigert? Walser gelingt es in ihrem Stück tatsächlich, dieses absurde Szenario nicht zu konstruiert greifbar zu machen.
Gesellschaftliche Ächtung schlägt Teichmann allerorten entgegen, nicht erst, als er zufällig Albert begegnet: „Dass du einer von denen bist, Luc, das wusste ich nicht.“ Ob er als Kind bereits diese Neigung gehabt habe, werden sich die Leute fragen. Was verbirgt sich hinter Teichmanns Persönlichkeit? Ist er ein Perverser, ein Gutmensch, ein klimaschützender Weltverbesserer? Teichmann selbst fürchtet sich von Anbeginn vor seiner Pathologisierung: „Am Ende machen die aus dir so einen erbärmlichen Randgruppenfreak, [...]“ – „Ein Speziesbetrüger“, ein „Evolutionsverhöhner“, ein „perverser Phytofetischist“. Dabei sieht er sich selbst als einen Artenflüchtling und beharrt auf der Exklusivität seiner Liebe.
„Ich meine, es gibt Leute, die masturbieren in Erdlöcher, oder andere, die heiraten Schnee vom Kilimandscharo oder wollen unbedingt ein Kind mit einem Düsenjet! Übergeschnappte, Neurotiker, mein Gott, Heillose“, wird Karier den skurrilen Text Walsers vortragen und zugleich erregt von einem Mann berichten, der wegen seines „Baumgefummels“ aus dem Central Park in New York hinausflog.
Für Luc Teichmann sind die nächtlichen Eskapaden zu seiner Esche letztlich Fluchten aus seinen Alltagszwängen als mickriger Versicherungsangestellter bei einer Firma, bei der er seit 23 Jahren beschäftigt ist: „Wo man hinsieht, nichts als dunkle Schwermutstannen.“ Mittlerweile könnte er Leute beraten, wie sie am besten nicht mehr vorkommen. „Nach all diesen Zermürbungen, dem ewigen Präsenzterror, tagein, tagaus.“
Steve Karier verkörpert den Text ausdrucksstark. Er überzeugt durch ein pures Schauspiel und steigert sich in einer guten Stunde hinein in die Leidenschaft zur Esche: „Tiefwurzler. Wie du, Ash, bin auch ich ein Tiefwurzler.“
Doch ist es vor allem die poetische Sprache Walsers, die Eindruck hinterlässt, etwa wenn es heißt: „Und wieder fallen zwischen unsere Sätze Blätter.“ Oder wenn sie von Fichten mit hängenden Ästen schreibt, die aussehen wie heruntergekommene Aristokraten.
Trotz der Abwesenheit von Requisiten gelingt es der Luxemburger Regisseurin Daliah Kentges, in ihrer Regiearbeit die Stärken und Höhepunkte von Walsers Text herauszuarbeiten. Das Theatererlebnis selbst ist kurzweilig. Dennoch stellt sich nach dem Abend, der von Walsers ironischen Wortspielen und ausgefallene Wortneuschöpfungen lebt, bei der Zuschauerin Ratlosigkeit ein: Braucht es in diesen zermürbenden, weltflüchtenden Zeiten ein Stück über einen Mann, der sich in einen Baum verliebt?