Unter welchen Umständen machen Polizist/innen im Einsatz von ihrer Dienstpistole Gebrauch? Das ist eine der Fragen, die sich nach dem Vorfall vom Samstag vergangener Woche stellen: Am Nachmittag hatte in Hosingen ein Mann einen Autofahrer mit einem Messer bedroht und ihm seinen Wagen geraubt. Die Verfolgung des Täters durch die Polizei endete gegen 19 Uhr im Zentrum von Ettelbrück, wo er gestellt wurde, aus dem Auto stieg und mit einem Messer auf zwei Polizisten zulief. So teilte das die Diekircher Staatsanwaltschaft mit, und so ist es Videos zu entnehmen, die am Wochenende in den sozialen Netzwerken geteilt wurden. Einer der Polizisten zog seine Waffe. Es fiel ein Schuss, der Angreifer wurde getroffen und verstarb am selben Abend im Krankenhaus an der Verletzung.
Schusswaffengebrauch durch die Polizei ist in Luxemburg selten. Noch seltener ist, dass dabei jemand tödlich getroffen wird, wie vergangenes Wochenende in Ettelbrück oder wie bei dem vorangegangenen Vorfall ähnlicher Art im April 2018 in Bonneweg, als ein Autofahrer auf einen Polizeibeamten zufuhr, dieser seine Waffe zog, auf den Fahrer feuerte und der das nicht überlebte. Unter welchen Umständen ein Polizist zur Pistole greift, war damals wie diesmal ein heiß diskutiertes Thema, denn in beiden Fällen fielen die Schüsse am helllichten Tag mitten in einem gut frequentierten Stadtgebiet, Passanten gerieten in Panik.
Die Frage nach den Umständen ist auch deshalb brisant, weil in den sozialen Medien seit dem Wochenende die Emotionen kaum abklingen. Die einen finden, der Polizist habe zu schnell geschossen. Die anderen meinen, er habe genau richtig gehandelt. Wieder andere werfen der gesamten Polizei „Rassismus“ vor, denn der tödlich verletzte Autoräuber war dem Vernehmen nach ein dunkelhäutiger Brasilianer; am morgigen Samstag soll in der Hauptstadt eine Protestkundgebung stattfinden, meldete lessentiel.lu. Im Gegenzug äußern sich dann noch die, die meinen, er sei „gudd fort“ und ein Dieb, der mit einem Messer auf Polizisten losgeht, habe es nicht besser verdient.
Staatsanwaltschaft und Generalinspektion der Polizei ermitteln nun; die Generalinspektion hat um die Einsendung von Zeugenvideos gebeten. Die Ermittlungen können dauern. Was sich jetzt schon sagen lässt: Die Luxemburger Polizeibeamten sind für extreme, für sie lebensbedohliche Situationen nicht ausreichend trainiert.
Denn wie der Präsident der Polizeigewerkschaft SNPGL, Pascal Ricquier, Anfang der Woche sagte, erhalten Polizist/innen in ihrer Grundausbildung ein Training in Polizeitaktik, Selbstverteidigung und im Umgang mit Gewalt und mit Konflikten. Anschließend gibt es jedes Jahr einen halben Tag Weiterbildung.
Das reicht auf keinen Fall aus, damit Polizist/innen einen Messerangreifer abwehren können. Zur Abwehr eines trainierten Angreifers reicht das auch nicht, wenn die Beamt/innen zu zweit sind. Wie die Dinge liegen, wird für die Luxemburger Polizei die Personalknappheit zum Risiko: Gäbe es mehr Training und Weiterbildung, würden nicht nur Polizist/innen auf der Straße fehlen, an Ausbildern mangelt es auch. So dass in einer extremen Situation kaum eine andere Option besteht als der Griff nach der Dienstpistole.
Daran etwas zu ändern, dürfte nicht einfach sein, selbst wenn die von Polizeiminister Henri Kox (Grüne) angekündigte kurzfristige Rekrutierung von 200 neuen Polizist/innen klappt. In der Zwischenzeit haben vermutlich all jene Recht, die für den Einsatz von Bodycams plädieren, die die Beamt/innen am Körper tragen. Im Koalitionsvertrag der Regierung ist vorgesehen, den Einsatz der Geräte, die Konfliktsituationen filmen, „in der Praxis zu testen“. Was aber bisher noch nicht geschehen ist, weil der Minister noch für eine Rechtsbasis zum Datenschutz sorgen will. Weil die Kameras einerseits den Blick der Polizist/innen auf eine Situation wiedergeben und so die Ermittlungen zu einem Vorfall wie dem in Ettelbrück beschleunigen können, andererseits gefilmt zu werden, einen Täter abschrecken kann, sollte Henri Kox sich damit beeilen.