Ein Mann rast mit einem Geländewagen durch eine menschendichte Trierer Innenstadt, offenbar in der Absicht, so viele Menschen wie möglich zu töten oder schwer zu verletzen. Fünf Tote, darunter ein Baby, und 15 Verletzte, vier davon in kritischem Zustand, lautet die Bilanz der Amokfahrt, die beherzte Polizisten vier Minuten nach eingegangenem Notruf per Zugriff beendeten. Die Befragungen des mutmaßlichen Täters dauern an, noch immer sind viele Fragen ungeklärt. Offenbar ist der 51-Jährige arbeits- und obdachlos und hat möglicherweise psychische Probleme.
Die Stadt Trier hat derweil angekündigt, die Innenstadt künftig mit Betonsperren vor weiteren Attacken zu schützen. Weil wegen der Corona-Pandemie der Weihnachtsmarkt dieses Jahr ausfällt, hatte die Stadt von zusätzlichen Absperrungen abgesehen. Auch die Bürgermeisterin der Quattropol-Partnerstadt Luxemburg, Lydie Polfer, will den Innenstadtbereich nun zusätzlich absichern.
Die Aufrüstung ist eine logische Konsequenz in einer Zeit, in der Attacken und Attentate leider nicht mehr ausgeschlossen werden können. Das letzte Mal hatte Luxemburg-Stadt Betonsperren errichtet, nachdem in Nizza und in Berlin Attentäter mit islamistischem Hintergrund Menschen mit Lastwagen zu Tode gefahren hatten. Vor wenigen Jahren noch hätte niemand in Europa sich vorstellen können, dass junge Männer in Menschenmassen fahren, den Tod von vielen bewusst einkalkulierend.
Die Motive unterscheiden sich und dennoch haben die schrecklichen Taten etwas gemeinsam: Es sind fast immer Männer, die zielgerichtet und empathielos, aus extremistisch-religiösen Motiven oder aus persönlicher Kränkung heraus den Massenmord als mediales Spektakel inszenieren. Als Gesellschaft ist es wichtig, die Motive hinter jeder einzelnen Gewalttat zu analysieren. Es wäre kruzial, zu ergründen, warum es in erster Linie Männer sind, die derartig gewalttätig und mörderisch auftreten. Und was dagegen zu tun ist.
Die Politik reagiert auf diese Einzeltäter mit den üblichen Reflexen: Mehr Sicherheitsvorkehrungen in Form von mehr Polizei, mehr Kameras, Absperrungen und Überwachung. Das ist verständlich, aber es birgt zugleich die Gefahr, die Illusion zu nähen, wir könnten uns durch Polder oder Betonblöcke wirksam vor solcher Gewalt schützen. Einen 40-Tonner, wie er bei dem Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt zum Einsatz kam, hält so etwas kaum auf, ebenso wenig wie übrigens Wachleute, die zusätzlich zur Polizei im Bahnhofsviertel marschieren etwas an der Drogenszene oder Kriminalität an neuralgischen Orten wie dem Bahnhof etwas ändern.
Die Aufrüstung täuscht lediglich eine Sicherheit und Kontrolle vor, die gefährlich ist, weil sie die Wachsamkeit nimmt und den Druck von der Politik, aber auch von jeder/m Einzelnen, sich mit unangenehmen Realitäten auseinanderzusetzen. Die traurige Wahrheit ist, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, und dass selbst wenn Polder ein Auto stoppen mag, die nächste Attacke dann womöglich mit dem Messer oder dem Maschinengewehr erfolgt. London, Paris und zuletzt Wien haben das traumatisch erfahren.
Vielmehr wäre es an der Zeit, sich zu fragen, wie solch tickende menschliche Zeitbomben frühzeitig erkannt und entschärft werden können. Expert/innen stellen fest, dass Amokläufer häufig eine narzisstische und/oder paranoide Persönlichkeitsstörung haben, Niederlagen und Zurückweisung im Leben generell schlecht bewältigen, sondern anderen die Schuld für ihre Misere geben. Dass es eben keine durchgeknallte Tat im Affekt ist. Die meisten haben ihre Tat im Voraus geplant, hegen seit längerem Rachefantasien, weil sie sich benachteiligt, ungerecht behandelt oder in einer Dauerkrise wähnen. Oft haben Freunde, Angehörige oder Bekannte etwas vom Rückzug gemerkt, dem aber keine oder wenig Beachtung geschenkt. Ein Mann verliert seine Arbeit, schläft tagelang in einem geliehenen Auto, dass er dann zur tödlichen Waffe umfunktioniert. Amokläufer isolieren sich oft selbst, bevor sie zuschlagen. Dann ist es in der Regel zu spät.