Diese Inszenierung kommt peppig daher. Das Bühnenbild lockt avantgardistisch: „I’m broken“ leuchtet eine rote Reklame über der Bühne. Ein Effekt zwischen Kunstinstallation und der Leuchtschrift eines Bordells. – Die plakative Aufschrift in flackernden roten Lettern wird irgendwann zu „I’m OK“. Auf der fast leeren Bühne stehen linker Hand verpackt Requisiten in Plastik.
Dann betritt sie dynamisch die Bühne und holt zum atemlosen Monolog aus. Marie Jung spielt „Anna Denise Schmit“. Gefährlich. Strahlend. Provokant. Unberechenbar. Tollkühn. Lebenslustig. – Genannt Poupette.
Es ist ein auf Effekt angelegter Text voller Reflexionen und Rückblicke, der Widersprüche birgt. „Sie ist 96 Jahre alt. Sie ist Unterhalterin, Widerstandskämpferin, Schriftstellerin, Garagistin – und noch vieles mehr. Und sie ist auf der Suche nach etwas ...“, heißt es markig. Was konkret an der Figur eine Widerstandskämpferin sein soll, erschließt sich bis zum Ende der Performance nicht. Um die Stimmigkeit geht es aber auch offenbar gar nicht. Vielmehr fliegen den Zuschauer/innen über eine Stunde Eindrücke, Emotionen und Erinnerungsfetzen um den Kopf. Der Monolog ist mitreißend vorgetragen, Marie Jung schafft es recht mühelos, einen in ihren Bann zu ziehen.
„In einer Gesellschaft der zwanghaften Selbstoptimierung, in der wir nicht über Fehlgeburten, über Schmerz, Angst oder das Scheitern an sich sprechen, in der zunehmend Gewalt, Kapital und fakeness dominieren, fällt es hinter all den Masken schwer, sich selbst zu finden. Und jedwede Selbstsuche und -findung kann auch sehr trügerisch sein: Was erinnern wir richtig, was haben wir dazu erfunden, dazu gedichtet? Was entspricht eigentlich eher unserem eigenen Traum von uns als der so genannten Realität?“, heißt es in der Ankündigung.
Marie Jungs erster Bühnentext dreht sich um gesellschaftliche Erwartungen und das getriebene Individuum in einer von Schönheits- und Konsumzwängen beherrschten Welt. Er erforscht die Ambivalenz und Gleichzeitigkeit scheinbarer Paradoxien, das real existierende Nebeneinander verschiedener „Wahrheiten“. Ihr Monolog ist ein Dialog mit sich selbst wie mit dem Publikum. Zwischen dem Ich und der Welt, die diese Frau, reduzieren und in ein Schema pressen will. Dagegen kämpft die Figur an.
Mit ihrem Monolog überzeugte Marie Jung die Jury des vor Kurzem ins Leben gerufenen Edmond-Dune-Stipendiums, das vom Nationalen Kulturfonds (Focuna) zur Unterstützung von neuer Dramatik ausgelobt wurde. Franziska Autzen, mit der Marie Jung auch schon am Hamburger Thalia Theater zusammengearbeitet hat, inszeniert ihren Monolog auf der Bühne des TNL.
Jung betritt die Bühne im weißen Unterhemd, einer luftigen Pluderhose und goldenen Stiefeletten. Ihr Text wirkt sorgsam einstudiert und nuanciert interpretiert. Wie ein Puzzle müssen sich die Zuschauer/innen die Versatzstücke zusammendenken: „Ich bin das perfekte Beispiel einer Avantgardistin“, heißt es, oder: „Mehr Inhalt, weniger Kunst!“ Neben Desillusionierung spricht Wut und Enttäuschung aus ihr, und trotzdem Lebenshunger: „Was mich bewegt, beschwingt, ist das Leben!“
Erst leichtfüßig über die Bühne schwingend, wird sich Jung irgendwann exhibitionistisch entblößen und unter der Plastikplane verkriechen. In ihrem unruhigen Monolog wird ein Missbrauch angedeutet, enttäuschte Liebschaften, eine schwierige Kindheit. „Die Mama und der Papa wollten dich nicht haben.“ Aus den Trümmern, die sie hinterlassen hätten, habe sie sich ein hübsches Häuschen bauen wollen.
Ihr kraftvolles Schauspiel wird durch ein paar dezente Regie-Ideen betont. So wird die Bühne in Rosa getaucht, wirft sie einen großen Schatten an die Wand. Anzüglich trippelt sie mit heruntergezogenen Hosen über die Bühne. Die Doppeldeutigkeit ihres Textes spielt sie gekonnt aus, wenn sie ins Publikum wirft: „Es ist gut, wenn man aus den Dingen herauswächst!“ Am Ende erschöpft sich die One-Woman-Show und wirkt effektheischend. Sich lasziv räkelnd, verschwindet Jung unter der Plastikplane und reitet auf einem Mops davon.
Jungs Monolog kann streckenweise amüsieren, ihr Text wirkt jedoch vollständig losgelöst vom politischen Weltgeschehen und vor allem selbstbezogen. Dazu passt die peppige (Selbst-)Vermarktung. Die Zuschauer/innen blicken auf eine verletzte Person, die ihr Leben gelebt hat und Revue passieren lässt und deren Reflexionen in erster Linie um sich selbst kreisen. Ein kurzweiliger Theatermoment, der keinen nachhaltigen Eindruck hinterlässt.