Liegt es an André Jung und Luc Feit oder daran, dass mit Frank Feitler eine graue Eminenz des Luxemburger Theaters verantwortlich für die Dramaturgie zeichnete? Jedenfalls sind die nachgeholten Vorstellungen mehr als gut besucht. En Escher Jong – Eine Annäherung an den Schauspieler René Deltgen, heißt es im Flyer bescheiden. Der Escher Deltgen machte eine steile Karriere: Mit nur 18 Jahren ging er Ende der 1920er Jahre an die Kölner Schauspielschule, sammelte dort Bühnenerfahrung und erhielt 1935 seine erste Rolle bei der Ufa. Nach zahlreichen Erfolgen wurde er 1939 zum deutschen Staatsschauspieler ernannt. Deltgen war kein politischer Mensch, doch er bewunderte die Entwicklung der Kultur im deutschen Nachbarland, davon künden noch Notizen aus Batty Webers Abreißkalender. Er war eine schillernde Persönlichkeit, die das ihr zugestandene Rampenlicht genoss. (Siehe Land-Artikel: „Schillernder Schauspieler, politischer Opportunist“ vom 26.01.2018).
Die Luxemburger selbst hatten ein gespaltenes Verhältnis zu ihrem Leinwandhelden. Spätestens mit Deltgens Unterzeichnung des auch in Luxemburg veröffentlichten Manifests Heim ins Reich sorgte er für Irritation. Es forderte nicht weniger als den Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland. Frank Feitler und Kristof van Boven haben sorgsam Material über René Deltgen recherchiert. Ihr Bühnentext spiegelt die Widersprüche des Luxemburgers wie auch seiner öffentlichen Rezeption wider.
Auf der Bühne des Escher Theaters, wo Deltgens Karriere begann, spielen André Jung und Luc Feit sich die Bälle zu. Das schlichte Bühnenbild, ein gigantischer Koffer, lenkt die Aufmerksamkeit auf die beiden Schauspieler. Eine Montage von Ausschnitten aus den umstrittenen Ufa-Filmen, in denen Deltgen tragende Rollen spielt, vermittelt einen Eindruck von einstiger Berühmtheit. Im Rückblick erscheint er wie ein luxemburgischer Charles Bronson: ein gutaussehender Mann, der für die Bühne gemacht war.
André Jung erklärt: „Ich mach den Deltgen“, und liest aus einer Ballade. Denn diese sei „die Initialzündung“ gewesen – da habe Deltgen gewusst, dass er Schauspieler werden wollte, und fuhr nach Köln, um dort vorzusprechen. Luc Feit übernimmt den aufmüpfigeren Part: „Und die haben ihn da einfach genommen mit dem Luxemburger Akzent?“ Jung entgegnet: „Er war ein ungeschliffener Diamant.“ Dies 1929, in der Weltwirtschaftskrise. Er hatte Hunger auf die Bühne und das Leben. Aber er habe auch dieses Pamphlet verfasst, wirft Feit ein: „Blut und Boden – das klingt sehr nach NSDAP ...“ Er habe in Esch gespielt, die Luxemburger waren stolz und seien, nachdem Deltgen nach Köln gezogen war, in Scharen dorthin gepilgert. „Die Luxemburger – in Scharen?“, entgegnet Feit und hat damit die Lacher auf seiner Seite.
Dieses Erörterungs-Spiel trägt die Inszenierung über eine Stunde. Jung und Feit tragen den (auch inneren) Konflikt dialektisch auf der Bühne aus. Jung erzählt von der unglaublichen Produktivität Deltgens, der in sechs Jahren 60 Rollen gespielt habe. Jeden Monat eine Premiere – von Aischylos bis Goethe.
Dann wird der Koffer aufgemacht und die Garderobe Deltgens gelüftet: ein aufklappbares Bühnenbild, das in seiner Ästhetik einer alten Schaustellergarderobe ihre Wirkung entfaltet.
Schnell schaffte es der Leinwandstar an die Volksbühne ... Er habe Goebbels zwar getroffen, aber ihm wahrscheinlich nichts erwidert. „Aber darum geht’s ja auch nicht!“, erklärt Jung, „In Berlin war das Leben!“ Luc Feit ist in Ulrich Wallers Inszenierung das moralische Gewissen: „Wusstest Du, dass der Platz an der Volksbühne damals Horst-Wessel-Platz hieß?“
Deltgen baute sich ein Haus im gutbetuchten Berline Bezirk Dahlem. „In derselben Straße wie Himmler, merkt Feit an. „Sie wollten meinen Namen eindeutschen“, rechtfertigt sich Jung empört, „statt René sollte ich Rüdiger heißen.“ Das habe er nicht zugelassen. Von den NS-Verbrechen habe er nichts gewusst: „Ich stand dem Deutschen Reich völlig ahnungslos gegenüber.“ – „Aber Du warst doch eine arische Säule der deutschen Kultur!“ – „Mir war schlecht. – Innendrin war ich immer ein Escher Jong“, so André Jung. Und rechtfertigt sich weiter: „In den Filmen hab ich den Helden gespielt, aber in der Wirklichkeit ... Meine Geschichte handelt von meiner Familie und vom Überleben.“
Der tatsächliche Prozess gegen Deltgen erscheint auf der Bühne. Feit streift sich die Richterrobe über: „Herr Deltgen, warum haben Sie das Manifest ‚Heim ins Reich’ unterschrieben?“ Jung: „Ich stehe dazu, und ich würde wieder so handeln.“ Die Tatsachen sprechen für sich. „Meine Heimat ist hier“, beharrt Jung, um mit Tränen in den Augen zu flehen: „Herr Richter, ich war kein Nationalsozialist. Ich habe meinen Luxemburger Pass bei mir behalten.“ Trotz zweimaliger Aufforderung habe er sich nicht zum Volkssturm gemeldet. Er verweist auf vertragliche Bindungen an Terra-Film (eine der größten deutschen Filmproduktionsgesellschaften): „Und ich durfte meine Rollen nicht selbst auswählen.“
Das Urteil (eine Haftstrafe) wird verhängt und ihm die Luxemburger Staatsangehörigkeit aberkannt. Doch Deltgen wurde rasch rehabilitiert. Der begnadete Schauspieler sollte nur drei Monate seiner zweijährigen Haft absitzen, die Luxemburger Staatsangehörigkeit wurde ihm 1952 wieder zuerkannt. 1964 empfing man ihn wieder auf der Bühne in Esch. Feit: „Die Luxemburger hatten ihren Frieden mit sich und Dir gefunden.“
„Ich habe immer nur das gespielt, was in den Drehbüchern stand, vor dem Krieg, während dem Krieg und nach dem Krieg“, beharrt André Jung. – Tosender Applaus!
Die Besetzung mit zwei hochkarätigen Schauspielern erweist sich für die Inszenierung als Glücksfall. Die beiden amüsieren und ziehen einen mit. Mühelos gelingt es ihnen, die zweifelhafte Rolle Deltgens zu vermitteln. Am Ende gewährt die Inszenierung eine kollektive Erleichterung: Der Deltgen war doch einer von uns – En Escher Jong eben.