Die Rentrée steht bevor, damit endet das Sommerloch. Dass es eins gab, mag angesichts der Coronaseuche wundern, die alle monatelang in Atem hielt: In Luxemburg fanden zwar keine Demos statt, aber massiv beschnittene Freiheitsrechte und Informationssalat gab es bis in den Sommer hinein – und dann wären da die Themen gewesen, die in der Krise kaum durchdrangen: überfüllte Flüchtlingslager etwa oder der Klimawandel. Wer so denkt, kennt jedoch die Gesetzmäßigkeiten des Journalismus nicht. Zu ihnen zählt, dass mit der Pause von Parlament und Regierung die Berichterstattung erlahmt, als gäbe es plötzlich keine Themen mehr. Das gilt besonders für den politischen Journalismus, dem mit der Abfahrt der Politiker in die Ferien die Protagonisten flöten gehen.
Versierte Politiker nutzen das Sommerloch, und also zündete Frank Engel ein Feuerwerk: Der CSV-Parteipräsident regte im Reporter an, um den corona-bedingten Wirtschaftseinbruch abzufedern, Reichtum stärker zu besteuern, und griff eine von LSAP-Wirtschaftsminister Franz Fayot im Wahlkampf 2018 ins Gespräch gebrachte direkte Erbschafts- und Vermögenssteuer auf. Anstatt den Vorstoß nun zu analysieren, wurde deutlich, wie manche Medien Teil einer Erregungskultur (geworden) sind, wie man sie sonst in sozialen Netzwerken beobachtet: Statt etwa zu prüfen, ob so eine Steuer a) das Problem löst oder b) welchen Interessen ihre Einführung oder Verhindung dient, schlangen sie den geworfenen Brocken gierig und verschluckten sich fast daran.
Der Parteipräsident, der knapp gegen Kontrahent Serge Wilmes siegte, sei schon immer umstritten gewesen und, da ohne Abgeordnetenmandat, ohne Rückhalt, hieß es. Aus Engels unverbindlicher Idee machte das Wort ein „ursozialistisches Gedankenspiel“, das mit den Parteigremien nicht abgesprochen gewesen war. CSV-Fraktionspräsidentin Martine Hansen verortete in einem Podcast die Volkspartei „in der Mitte“. Fertig ist der Richtungsstreit. RTL-Radio meldete, ohne Autor oder Quelle zu nennen, der Parteichef sei angeschlagen und berief sich auf Aussagen „hinter vorgehaltener Hand“. Durch den Zirkus aufgescheucht, trat das CSV-Nationalkomitee zusammen, es folgten Engels öffentliches Mea culpa und ein karges Pressekommunikee, in dem sich „die CSV“ zum Wahlprogramm 2018 bekennt. Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.
Während sich CSV-Freunde auf Facebook zur Sache äußerten, spielten Journalisten den Mann: Die einen rügten Engel (oder wollten ihn gerügt sehen), weil sein Vorstoß gegen das Wahlprogramm verstoße. Dessen Anziehungskraft nach der Niederlage sowieso in Frage steht. Andere verglichen ihn mit Jean-Claude Juncker und warfen ihm vor, nicht so erfolgreich zu sein. Damit verstärken sie ein Phänomen, das sie fast so leidenschaftlich wie Politiker kritisieren: die fehlende Diskussionskultur. Ihr auf die Parteihierarchie verkürzter Blick trägt dazu bei, eine berechtigte inhaltliche Frage zu reduzieren auf eine über die berufliche Zukunft des CSV-Parteichefs. Dabei nimmt mit der Pandemie die Brisanz der Schere zwischen Arm und Reich zu, und wie sie neue Wähler hinzugewinnt oder alte behält, weiß die CSV bis heute nicht. Journalisten befeuern so einen Trend, der auf Schlagzeilen setzt und Personen in den Fokus rückt statt Inhalte.
Ein RTL-Journalist forderte eine „ein- für allemal festgelegte Parteilinie“, als wäre er im kommunistischen China und als gäbe es Meinungsdivergenzen nicht auch in den anderen Parteien. Eine Wort-Leitartiklerin wünschte der CSV einen „natürlichen Leader“, der die Partei „wieder auf Vordermann bringt“, und demonstrierte, wie manche/r auch Jahre später den Abgang von Patriarch Juncker nicht überwunden hat. Dabei hat, nüchtern betrachtet, der Niedergang der Christlich-Sozialen unter Juncker begonnen. Der übrigens trotz unter seiner Führung erhöhter Solidaritätssteuer und sozialem Gewissen weder ein Kommunist noch ein Engel war.