Wankelmut Vor kurzem hat die CSV ein neues Werbevideo publiziert: Es handelt sich um ein sogenanntes Sommerinterview, ein lockeres Gespräch zwischen dem jungen CSV-Politiker Christophe Origer und Parteipräsident Frank Engel. Die Politiker sitzen auf Holzbänken am Echternacher See, vor ihnen stehen zwei Flaschen Ramborn, im Hintergrund fährt ein Kind mit einem Fahrrad vorbei. Gleich zu Beginn stellt der junge Politiker seinem Parteipräsidenten die hypothetische Frage, ob er sich noch einmal für die CSV entscheiden würde, wenn er heute 19 Jahre alt wäre.
Engel lehnt sich nach vorn, er räuspert sich. Er habe nie zu denen gehört, die aus Karrieregründen Mitglied der CSV geworden seien, auch wenn es damals in den Neunzigerjahren natürlich solche Menschen gegeben habe. Deshalb halte er es für möglich, dass er sich erneut für die CSV entscheiden würde. Sofern er sich denn überhaupt für Politik interessieren würde. Und sofern er sich nicht vom Erfolg und der Lockerheit der Liberalen würde blenden lassen. Oder von den Grünen, die mittlerweile Regierungspartei mit idealistischem Anspruch sind. Oder von den Sozialdemokraten, die eine soziale Agenda verfolgen. Die Frage sei schwierig, stellt Engel fest, er sei zum Glück keine 19 mehr. „Mee ech mengen, ech hoffen, wier ech haut nach eng Kéier an der Situation, géif ech op der selweschter Plaz landen.“
Das Sommerinterview lässt tief blicken. Der CSV-Präsident kann nicht eindeutig sagen, ob er heute noch einmal in die eigene Partei eintreten würde. In einem Video, das eigens zu Propagandazwecken gedreht wurde. In dem die Partei sich selbst die Fragen stellte. Und die Antworten maßgeschneidert formulieren konnte.
Mit Verlaub: Wer, bitte schön, soll diese Partei wählen, die nicht einmal von sich selbst überzeugt ist?
Selbstverständnis Es gab eine Zeit, da hätte niemand in der CSV mit dieser Frage gehadert. Eine Zeit, als es nur eine Partei gab, an der keiner vorbeikam. Die sich nach niemanden richten musste. Die nahezu alles in diesem Land bestimmte. „Natürlich, wo denn sonst?!“, wäre wohl die klare Antwort auf Frage des jungen Politikers gewesen. Mia san mia, sagen die Bayern zu diesem unübertroffenen Selbstverständnis, das vor nicht allzu langer Zeit zur Identität der CSV gehörte.
Doch dieser Nimbus ist nur noch ein Wink aus der Vergangenheit, heute weiß die CSV nicht mehr so recht, wofür sie steht – sie wirkt wie ein verunsicherter kranker Mann, der sich irgendwie nutzlos vorkommt. Wenn die CSV im Parlament die Regierung als Oppositionspartei stark angeht, wird sie von Medien und Öffentlichkeit für ihre Aggressivität und unverschämte Borstigkeit kritisiert. Wenn sie sich zurückhält, wird ihr Passivität und Schlafmützigkeit unterstellt. Wie sie es macht, es ist falsch.
Dabei sollte es genau andersherum sein: Die CSV ist mit rund 10 000 Mitgliedern die größte Volkspartei des Landes, sie stellt mit 21 Sitzen die stärkste Fraktion im Parlament, verfügt über die meisten parlamentarischen Mitarbeiter und politische Erfahrung. Eigentlich müsste sie die Regierung vor sich hertreiben, den demokratischen Diskurs beleben und das Augenmerk auf Fehler und Unstimmigkeiten in der Koalition legen und nicht auf eigene Missgeschicke. Warum gelingt ihr das nicht?
Leadership Es ist nicht so, dass die CSV-Fraktion untätig wäre. Im Gegenteil: Allein Fraktionspräsidentin Martine Hansen hat bereits in dieser Legislaturperiode rekordverdächtige 117 parlamentarische Anfragen gestellt. Ihr Team um Spindocter Ady Richard, der bereits unter Premier Jean-Claude Juncker als Berater agierte, gilt parteiübergreifend als fleißig. „Emsige Martine“ wird sie von einem Parteimitglied genannt. Doch ihre Arbeit findet nur wenig Widerhall, trägt kaum Früchte. Sie kann den Fleiß nicht in politisches Kapital und Popularität umsetzen – weder in der Bevölkerung noch in den eigenen Reihen. Denn abgesehen von Parlamentariern wie Gilles Roth, Diane Adehm oder auch Laurent Mosar, die den oppositionellen Stil von Hansen mittragen, ziehen nicht alle am selben Strang. Manche CSV-Abgeordneten machen ihr eigenes Ding, andere wirken wie Zombie-Parlamentarier, die apathisch vor sich hindösen. Welchen Beitrag genau Jean-Marie Halsdorf, Aly Kaes oder Emile Eicher ins Parlament einbringen, lässt sich nicht mit letzter Gewissheit sagen.
Martine Hansen fehlt es dabei vor allem an einer inhaltlichen Profilierung. Wohin sie die CSV führen will, bleibt auch zwei Jahre, nachdem sie den Vorsitz der Fraktion übernommen hat, unklar. Mit ihrer moderat-konservativen Haltung in Umwelt- und Klimafragen kann sie bestenfalls bei der ländlichen Bevölkerung punkten, zu Bildungsfragen, immerhin ihr einstiges Steckenpferd, schweigt sie nahezu vollkommen und auch sonst wirken ihre Aussagen eher wie eine Fortsetzung der Regierungspolitik mit anderen Mitteln und leichten, kosmetischen Abweichungen. Ein mitreißender Hauruck-Moment ist ihr bisher noch nicht geglückt. Zudem kann sie mit ihrem charmanten Éisleker Akzent zwar Wähler/innen im kleinen Nordbezirk überzeugen. Aber als mögliche Herausforderin von Premierminister Xavier Bettel (DP) muss sie Spitzenkandidatin des gesamten Landes sein und schichtenübergreifend in den bevölkerungsdichten Kantonen Esch und Luxemburg ankommen.
Ihr außerparlamentarischer Nemesis Frank Engel hat ebenso Schwierigkeiten, die Partei zu leiten. Engel wird nicht müde zu betonen, dass ihm als Präsident ohne parlamentarisches Mandat die mediale Plattform fehlt, um groß aufzutrumpfen. Aber auch die Mittel, um die Regierung mit harten Bandagen anzugehen und die Fraktion hinter sich zu einen. So wirkt er stets wie ein Einzelgänger, der am Rande des Geschehens steht und im Affekt Schimpfwörter in die Arena werfen. Damit kann er gelegentliche Treffer landen, aber das reicht nicht, um den Lead zu übernehmen. Und ob das der geeignete Stil ist, um die größte Partei des Landes zu präsidieren, stellen moderatere CSV-Mitglieder ebenso in Frage.
Verpasste Gelegenheit Die CSV stellt dabei eine der ältesten Fraktionen des Parlaments. Das Durchschnittsalter der CSV-Parlamentarier liegt bei 55 Jahren, das der LSAP liegt bei 51, das der Grünen bei 45. Der jüngste CSV-Abgeordnete ist Serge Wilmes mit 38 Jahren – einem Alter, in dem man bei den Grünen fast schon zu den alten Haudegen gehört. Das höhere Alter der Abgeordneten ist per se nicht unbedingt ein Problem, aber es hindert die Fraktion, das gerne benutze Schlagwort Erneuerung glaubhaft zu vermitteln. Auf den CSV-Bänken sitzen seit Jahrzehnten die gleichen Gesichter, die für die Wahlniederlagen von 2013 und 2018 mitverantwortlich sind.
Dabei ergab sich 2019 bei den Europawahlen eigentlich die Möglichkeit, gestandene Politiker eher konfliktarm von ihren Parlamentsposten zu lösen: So wäre etwa Viviane Reding (69) sehr gerne EU-Kandidatin für die CSV geworden. Sie hätte als ehemalige Kommissarin und Roaming Queen wohl ein ordentliches Ergebnis eingefahren und damit im nationalen Parlament den Weg frei gemacht für die 30-jährige Elisabeth Margue. Doch Parteipräsident Engel entschied sich dagegen, setzte lieber auf eine junge Liste mit eher unbekannten Kandidaten – und war für das historisch schwächste Wahlresultat der CSV verantwortlich. Ein Fehler, wie eigentlich alle in der Partei sagen, und wie Engel mittlerweile zum Teil auch selbst eingesteht.
Doch auch in den anderen Bezirken denken CSV-Strategen darüber nach, wie sie die alten Eisen dazu bewegen können, ihre Plätze vor den nächsten Wahlen zu räumen für jüngere Politiker wie Jeff Boonen im Norden, Max Hengel im Osten oder Laurent Zeimet im Süden.
Comeback der Dinosaurier Während Hansen und Engel bisher erfolglos um Führungsanspruch in der Volkspartei ringen und sich nicht wirklich profilieren können, tauchen alte Gesichter wieder in der Öffentlichkeit auf. Claude Wiseler wirkt sichtlich befreit von der Last des CSV-Spitzenkandidaten und von der Rolle, in die sein damaliger Spindocter Marc Glesener ihn drückte. Er wurde in der schwierigen Corona-Zeit für kurze Zeit zum Gesicht der Opposition mit pointierter Kritik an der Regierung. Das war so auffällig, dass selbst das eher zurückhaltende Luxemburger Wort von einem Wiseler-Comeback schrieb. Wiseler selbst dementierte alsbald auf Radio 100,7, weiterhin irgendwelche politischen Ambitionen für einen Führungsposten in der Partei zu hegen. Aber nicht wenige in der Partei halten das Szenario für möglich.
Für ausgeschlossen gelten jedoch die hartnäckigen Gerüchte, wonach Luc Frieden oder Jean-Claude Juncker an die Spitze der Partei zurückkehren könnten. Frieden lässt sich zwar stets eine Tür offen, wenn er nach einer möglichen Rückkehr gefragt wird, und auch Juncker hat in der vergangenen Zeit überraschend forsch die Regierungspolitik in Interviews kommentiert. Allerdings verfügen beide kaum noch über den nötigen Rückhalt in der Partei, um erneut in der ersten Reihe der CSV zu stehen.
Die schwachen Umfragewerte drücken derzeit auf die Gemütslage der Parteimitglieder. Von Aufbruchstimmung ist keine Rede, eher sind die Mitglieder frustriert, weiter gegenüber der Gambia-Koalition an Boden zu verlieren. Aber eine Idee, um sich von dieser Blockmentalität zu lösen, neuen Schwung in die alte Volkspartei zu bringen und sich gegen ihren Verfall zu stemmen, hat anscheinend niemand. Deshalb gilt es als ausgemacht, dass Frank Engel beim Parteikongress am April 2021 erneut zum Vorsitzenden gewählt wird und damit die CSV auch in den doppelten Wahlkampf 2023 führt. Bis dahin sind es immerhin noch zwei Jahre, um sich Gründe zu überlegen, warum junge Menschen wieder Mitglied der CSV werden sollten.