Berserker Als Umweltministerin Carole Dieschbourg (déi Gréng) am Dienstag in der parlamentarischen Umweltkommission ihre Rolle in der Traversini-Affäre erklären wollte, traf sie auf einen unerwarteten Gast: Michel Wolter. Der frühere Partei- und Fraktionsvorsitzende der CSV ist eigentlich kein Mitglied dieser Kommission, war aber dennoch anwesend. Er habe lediglich jemand anderes vertreten, so die Erklärung der CSV-Fraktionsvorsitzenden Martine Hansen. Doch sie fügt hinzu: „Michel Wolter kennt sich in solchen Dossiers natürlich bestens aus.“ Mehr als anderthalb Stunden dauerte die Sitzung, eine weitere folgte am Donnerstag. Und Michel Wolter soll nicht nur stiller Gast oder passiver Zuhörer gewesen sein, sondern vielmehr der aggressive Einpeitscher. Der Mann fürs Grobe, wie er von Freund und Feind genannt wird, machte seinem Namen alle Ehre: „Laut“, soll es gewesen sein, so ein Mitglied der Kommission.
Was genau im Umweltausschuss gesagt wurde, lässt sich derzeit nicht mit letzter Sicherheit ermitteln. Die parlamentarischen Kommissionen finden immer noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, auf die Erstellung eines Verbatims wurde explizit verzichtet. Aber auch im Anschluss an die Sitzung bestand zwischen den Parlamentariern, der Ministerin und den Beamten großer Redebedarf. Das Szenario dürfte den Politikern der Grünen mittlerweile bekannt vorkommen. Nach der Datenbankaffäre hat die CSV zum widerholten Mal eine ihrer Minister in eine Kommission bestellt, um sie ins Kreuzverhör zu nehmen.
Die CSV nimmt ihre parlamentarische Oppositionsrolle gerade sehr ernst. Jedenfalls, was die Aufgabe der Regierungskontrolle anbelangt: parlamentarische Anfragen, juristische Gutachten, Fragestunden, Interpellationen und bald wohl auch die Einberufung einer Spezialkommission zur Datenbankaffäre. Die größte Oppositionspartei nutzt ein breites Arsenal, um die Politik der Regierung auf mögliche Vergehen hin zu untersuchen. Das ist löblich, sagen die Verteidiger des Rechtsstaats. Denn ohne Zweifel liegt im unermüdlichen Kontrollieren eine wichtige Watchdog-Funktion der Opposition. Man muss den Mächtigen auf die Finger schauen, das ist eine eherne Lehre der Demokratiegeschichte.
Masterplan Aber viele wollen mittlerweile auch ein Muster erkennen: Die CSV schieße sich auf die Grünen ein. Sie versuche gezielt, den kleinsten Koalitionspartner zu schwächen, ihn zu isolieren, um am Ende Nutznießer zu sein und sich bei LSAP und DP anzubieten. „Wir machen nur unsere Arbeit, wie die Bürger es von uns verlangen“, sagen sowohl Fraktionsvorsitzende Hansen als auch Parteipräsident Frank Engel dazu. Dass es gerade vermehrt die Grünen trifft, liege eher am Unvermögen dieser Partei. Eine Strategie gäbe es nicht – einen Masterplan schon gar nicht.
Doch Politiker der Mehrheitsparteien sehen das anders. Grünen-Fraktionspräsidentin Josée Lorsché, aber auch Minister François Bausch reden ganz offen darüber, dass die CSV gerade versucht, gezielt Stimmung gegen die Grünen zu machen, um selbst davon zu profitieren. „Sie sollen es ruhig weiter versuchen“, lässt Bausch die Muskeln spielen. Andere Politiker der Mehrheitsparteien bestätigen ebenfalls ein konzertiertes Vorgehen der CSV. Nach dem Prinzip: Hiebe gegen die Grünen und Charmeoffensive für eine mögliche Zusammenarbeit. „Gilles Roth und Laurent Mosar werden nicht müde zu sagen, wie toll das doch mit uns wäre“, sagt ein Abgeordneter der DP. Gleichzeitig schüren sie anti-grüne Ressentiments. Und die Zuckerbrot-und-Peitsche-Rhetorik der CSV scheint Wirkung zu zeigen. Zumindest bei einigen DP-Abgeordneten des wirtschaftsliberalen Flügels. Sie sind noch nicht so weit, dass sie es offen gestehen wollen, aber unter vorgehaltener Hand halten sie den Bruch mit Gambia hin zu einer Zweierkoalition mit der CSV für ein bevorzugtes Szenario.
Tatsächlich ist die 31-köpfige Mehrheit der Koalition denkbar knapp. Als für einen kurzen Moment unklar war, ob der zurückgetretene Bürgermeister Roberto Traversini als „Klumpfuß“ im Parlament sitzen bliebe, wurde mancher Koalitionär nervös. Mit Félix Braz (déi Gréng) hat zudem einer der Architekten der Dreierkoalition die Regierung verlassen, so dass es in der Wahrnehmung einiger Abgeordneter auch an der Spitze wackelt. Hinzu kommt, dass mit Etienne Schneider (LSAP) ein weiterer Macher des Mitte-Links-Bündnis nicht bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben wird, wie er dem Land mittlerweile bestätigt hat. Er stehe zu seiner Aussage, dass zehn Ministerjahre reichen sollten. Was genau er nach 2022 plant, sagt er noch nicht. Danach bliebe vom einstigen Spitzentrio, dessen persönliche Chemie auch Klebstoff der Koalition war, nur noch Xavier Bettel übrig.
Die aktuelle „Krise der Grünen“ hilft dabei nicht, die Bedenken von Mehrheitsabgeordneten zu zerstreuen. „Ich kenne diese Leute nicht mehr“, sagt ein Abgeordneter der DP über die neuen Abgeordneten von déi Gréng. Dazu passt, dass die DP-Fraktion in der Angelegenheit um Carole Dieschbourg und Roberto Traversini merklich ruhig ist – im Anschluss an den Umweltausschuss sind die sonst so kamerafreundlichen DP-Abgeordneten gekonnt an der Presse vorbeigelaufen.
Unmoralisches Angebot Genau auf diesen Moment hat die CSV gewartet. Sie will in diese Bedenken hineinstechen und gezielt Unruhe schüren. „Chaos is a ladder“, sagt eine der zentralen Figuren in der Serie Game of Thrones in Anlehnung an die machtpolitischen Lehren von Niccolò Machiavelli. Unordnung bietet Möglichkeiten, den Weg nach oben zu finden.
Es sind die Enttäuschten und Frustrierten in der CSV, die nun ihre Chance wittern. Diejenige, die es erdulden mussten, dass Jean-Claude Juncker sie über Jahre hinweg dominierte und in die Schranken verwies. Diejenigen, die es nicht ertragen konnten, dass sie 2013 von einer Generation von geschickteren Politikern ausgebotet wurde. Diejenigen, die es bis heute nicht verstehen, dass sie 2018 erneut eine Niederlage hinnehmen mussten und zum zweiten Mal die Oppositionsbank drücken müssen. Sie wollen es nun noch einmal wissen und glauben, einen bequemen Weg an die Macht gefunden zu haben.
Und sie haben sich organisiert und vor kurzem ihre Machtoptionen bis ganz nach oben geprüft. Gut informierte Regierungskreise bestätigen, dass sowohl Etienne Schneider als auch Xavier Bettel vor kurzem jeweils ein Angebot über „personnes interposées“ erhielten, eine Zweierkoalition mit der CSV einzugehen. Die Botschaft: Die CSV würde auf den Premierministerposten verzichten.
Es habe sich dabei nicht um ein loses Vorfühlen gehandelt, sondern um eine handfeste Offerte. Doch sowohl Schneider als auch Bettel haben das unmoralische Angebot dankend abgelehnt und die Ministerkollegen über das Vorgehen der CSV informiert. Man könne doch nicht eine Koalition wegen eines Gartenhäuschens kippen, so der Tenor.
Machtgeil Hansen und Engel dementieren formal, dass es je solche Angebote gegeben hat. Ebenso Laurent Mosar, der jedoch daran erinnert, dass im Oktober 2018 so mancher DP-Abgeordneter mit einer CSV-Koalition liebäugelte und gegen eine Fortführung des Dreierbündnisses war. Und Gilles Roth nimmt „das Gerede schmunzelnd zur Kenntnis“. Die CSV hat damit das nachgeholt, wozu sie im Oktober 2018 noch nicht bereit war: Die Führungsrolle opfern, um eine Machtoption zu erhalten.
Das schmeckt nicht jedem in der konservativen Partei. „Für dieses Geschacher werden wir noch die Quittung erhalten“, so ein CSV-Abgeordneter, der nicht zur alten Garde gehört. Man versuche, sich doch von diesem Image der „Machtgeilheit“ zu lösen, eine von der CSV herbeigeführte Regierungskrise sei das Letzte, worauf die Bürger des Landes gerade warten.
Auch andere glauben, dass die Sache eher chancenlos ist. „Traversini wird zurücktreten, und Dieschbourg eine kleine Delle erhalten“, so ein CSV-Abgeordneter Anfang vergangener Woche. Aber dennoch habe die Regierung den Atem der CSV gespürt. Und die LSAP und die DP wissen nun, dass die CSV in ihrem Drang, die Macht zurückzuerobern, dazu bereit ist, großzügige Angebote zu unterbreiten. Der erste Versuch ist aus der Sicht der CSV gescheitert – aber bis 2023 können es noch lange Jahre werden.