Das Tate Britain widmet mit der Ausstellung Now You See Us - Women Artists in Britain 1520-1920 übersehenen und unterschätzten Künstlerinnen endlich die Beachtung, die ihnen zusteht, und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund

„Just what ladies do for amusement“

d'Lëtzebuerger Land vom 30.08.2024

Wer über die Unterdrückung von kreativen Frauen liest, kann vom Gefühl gepackt werden, beraubt worden zu sein. Beraubt um zahlreiche Perspektiven; Kunstwerke, Lieder und Bücher, die die Welt nie gesehen hat, weil Frauen nicht frei schaffen durften. Die umfangreiche Ausstellung im Tate bietet nun mit mehr als 150 Werken aus 400 Jahren ein wenig Trost, und illustriert dabei den langen Weg, den Künstlerinnen in Großbritannien gehen mussten, um Kunst nicht nur praktizieren zu dürfen, sondern auch dafür anerkannt und fair bezahlt zu werden.

Pastell- und Wassermalerei galten als „nieder Künste (…) denen nur Frauen nachgehen, wenn sie zum eigenen Vergnügen malen“, so der Präsident der Royal Academy im Jahr 1770. An den Schulen der Royal Academy waren Frauen bis 1860 nicht zugelassen, an Aktzeichenkursen durften sie auch nicht teilnehmen. Das Tate erklärt, dass somit die „Sittsamkeit“ der Frauen geschützt werden sollte. Eigentlicher Grund war jedoch, dass die Männer der Academy den Frauen nicht die intellektuelle Kapazität zutrauten, um Kunst auf hohem Niveau auszuüben. Wenn sie dann doch für ihr Talent anerkannt wurden, sollten Künstlerinnen doch bitte Blumen malen, denn das sei schließlich „eine damenhafte und wahrhaft weibliche Leistung, “ so schrieb die Zeitschrift Ladies’ Treasury in den 1850ern.

Schon der Einblick in die Zeit der Tudors zeigt, dass diese Ausstellung kein einfaches Unterfangen war. Denn das Leben der Künstlerinnen ist unzureichend dokumentiert - sie wurden, wie die meisten Frauen damals, in den Schatten ihrer Ehemänner und Väter gestellt. Susanna Horenbout (1503–1554) war eine der ersten Malerinnen, deren Ruf bekannt war, und das vor allem wegen des Lobs, den ihr Albrecht Dürer aussprach. Hauptberuflich war sie Hofdame im Privatkabinett von Anna von Kleve, die vierte Ehefrau des Königs Henry VIII. Obwohl es keine definitiv zugeschriebenen Werke von ihr gibt, sind im Tate komplizierte Miniaturporträts zu sehen, die von ihr stammen könnten.

Artemisia Gentileschi aus Italien erfreute sich im folgenden Jahrhundert schon mehr Anerkennung. Sie reiste auf Einladung von König Charles I. in den 1630ern nach London, wo sie Werke für die Royal Collection anfertigte. Ihr Werk Susanna and the Elders könnte das Aushängeschild der Ausstellung sein, denn der Lebenslauf der Künstlerin sowie das Thema und die Geschichte des Gemäldes symbolisieren allesamt die frustrierende Realität, der Frauen im Patriarchat ausgeliefert sind.

Gentileschi wurde als Teenagerin von Agostino Tassi, einem Künstler und Freund ihres Vaters, vergewaltigt. Dieser wurde zwar schuldig gesprochen, seine Strafe wurde allerdings nie durchgesetzt. Susanna and the Elders stellt die biblische Erzählung der badenden Susanna dar, die die Avancen von zwei älteren Männern abweist und schließlich wegen Untreue angeklagt wird. Gentileschis Darstellung dieser biblischen Erzählung unterscheidet sich stark vom männlichen Blick auf die Szene, indem sie eine erschrockene, verängstigte Frau, die sich von den Männern abwendet und versucht, ihren Körper zu bedecken, zeigt. Männliche Künstler hingegen, malten zu der Zeit sinnliche Bilder einer Susanna, die sich nur halbherzig oder überhaupt nicht gegen die Zudringlichkeiten wehrt, und deren Oberkörper fast immer nackt ist. Das Bild wurde erst vor einigen Jahren verschmutzt in einem Schloss im Südwesten Londons wiederentdeckt. Es war fälschlicherweise einem männlichen Künstler zugeschrieben und landete im Abstellraum der Geschichte.

Doch nach intensiven Restaurierungsarbeiten hängt das Bild nun im Tate, wo etliche Geschichten dieser Art in den Informationstafeln der Ausstellung erläutert werden. Diese sind derart aufschlussreich und gut geschrieben, dass man leicht mehr Zeit mit dem Text als mit den Bildern verbringt. Eingeteilt ist die Ausstellung mal in Zeitperioden (Women at the Tudor Courts), mal in Kunstarten (Watercolour) und dann wieder in Themen (The First Professionals), was den Flow ein wenig unterbricht. Bei so viel Aufarbeitungsarbeit ist es wohl schwer, Kunst und Geschichte die gleiche Aufmerksamkeit zu widmen.

Das Highlight der Ausstellung sind Kunstwerke, in denen Frauen selbst ihren Stand in der Kunstwelt illustrieren. Emily Mary Osborn zeigt in ihrem Gemälde Nameless and Friendless aus dem Jahre 1857 eine junge Künstlerin, die einem skeptischen Händler ihr Bild anbietet. Ohne Ansehen (nameless) und ohne Beziehungen (friendless) stehen ihre Chancen schlecht. Mit beißendem Humor sah es Florence Claxton im Jahre 1861. In ihrem Bild Woman’s Work, A Medley stellt sie ein zerstörtes Haus dar, in dem etliche Frauen ihrer „Frauenarbeit“ nachgehen - einige unterrichten Kinder, andere starren leer in einen Handspiegel, und mitten im Raum unterhalten wieder andere einen Mann mit Musik und Lesungen. Hoch auf einer Leiter sieht man die französische Künstlerin Rosa Bonheur, die der geschäftigen Szene entkommen ist und an ihrer Kunst arbeitet. Unter ihr sieht man eine Frau, die verzweifelt zu ihr hinaufklettern will.

Dass schaffende Frauen vom Patriarchat auch in Großbritannien klein gehalten wurden, ist natürlich gewusst. Im Tate sieht man jedoch ungehemmt alltägliche Erniedrigungen, denen Künstlerinnen im Alltag ausgeliefert waren. „Schlampe,“ so nannte der Arzt Messenger Monsey die Künstlerin Mary Black, als sie für Portraits von ihm in 1764 eine Gebühr von £25 verlangte - halb so viel, wie es ein männlicher Künstler tat.

Zwei Frauen, die sich an einem sonnigen Morgen die Ausstellung im Tate Britain anschauen, seufzen laut auf und schütteln den Kopf, als sie die Beschriftung lesen - eine Reaktion, die bei vielen Ausstellungsstücken und Texten angemessen ist. Now You See Us liefert einen ungeschönten Einblick in die männlich-dominierte Kunstwelt und zeigt, wie belastbar Künstlerinnen sein mussten, um ihrer Arbeit nachzugehen. Diese Einsichten werden einen sicherlich mit in andere Museen und Galerien begleiten.

Claire Barthelemy
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