Viele verdächtige Charaktere, geschlagene Menschen auf einer Schiffsreise suchen möglicherweise vergeblich nach einem sicheren Hafen. So könnte man das Kernthema der neuen Agatha-Christie-Verfilmung beschreiben. Das Motiv vom geschlossenen Raum zur Auslegung menschliche Fehlverhaltens, von Betrug, Gier und Verachtung wird bei Kenneth Branagh in Death on the Nile einer pompösen Interpretation unterzogen: Der Meisterdetektiv Hercule Poirot (Kenneth Brannagh) wird eher unfreiwillig zum Gast der Hochzeitsreise der reichen Erbin Linnet Ridgeway (Gal Gadot) und ihres zuvor mittellosen Ehemanns Simon Doyle (Armie Hammer). Simons einstige Geliebte Jacqueline De Bellefort (Emma Mackey) kann das neue Liebesglück auf dem Luxusdampfer nicht akzeptieren. Die im Jahr 1937 angesiedelte Filmhandlung einer großen Nilfahrt verschlägt Poirot plötzlich in einen Sog aus Begierde, Misstrauen und – es dürfte kaum verwundern – Mord.
Auf 65-Millimeter-Film gedreht, geht es Branaghs zweitem Agatha-Christie-Remake nach Murder on the Orient Express (2017) nicht so sehr um die Suche nach dem Täter. Auch nicht so sehr um den Spannungsbogen des Kriminalfalls oder um die Deduktionsarbeit des Detektivs: Die Verhörszenen sind in ihrer Abfolge derart schematisch, dass echter Spaß am Ableiten und am Zusammenfügen der Einzelteile nicht aufkommen will. Vielmehr setzt Branagh auf das Visuelle, auf die Eindrücklichkeit der Schauplätze und den Pomp seines Star-Ensembles. Die Pracht des einstigen alten Ägyptens erstrahlt hier in ihrem ganzen Glanz. Die Nachdrücklichkeit, mit der Branagh der antiken Zivilisation in einem Gestus des ehrfurchtsvollen Staunens vor dem Vergangenen und dem Exotischen Tribut zollt, macht die Nostalgie dieser Neuverfilmung aus. Sie steht sogar der Erstverfilmung unter der Regie von John Guillermin aus dem Jahr 1977 in nichts nach.
Sein Schauspieleraufgebot, angeführt von Gal Gadot, inszeniert Branagh nach den Mustern des klassischen Hollywoodkinos, als Ikonen, als Stars eines Produktionssystems: perfekt ausgelichtete Gesichter, strahlendes Make-up; unnahbare Lichtgestalten, die als Figurentypen agieren. Das gilt ebenso für den von Branagh selbst verkörperten Filmhelden: Ohne eine zünftige Verkleidung oder zumindest eine dekorierte Maske – hier ist es der übergroße Schnauzer – gibt es keinen filmreifen Meisterdetektiv. Mit einem Hang zur nostalgischen Verklärung setzt der Regisseur den Ermittler in Szene. Das Spielerische in der Arbeit des Detektivs, die Freude am kommunikativen Spiel fehlt indes gänzlich. Dieser Poirot ist selbstverständlich ein unermüdlicher Schnüffler, dessen Eleganz eher eine Tarnung für seine tragisch-schmerzvolle Vergangenheit ist; ein Mann, der seinen scharfen Intellekt und auch seinen Hauch Überheblichkeit selbstgefällig zur Schau stellt, der sich und seiner Reisegesellschaft stets in aller Ernsthaftigkeit zu beweisen hat, dass er niemandem etwas zu beweisen hat. Das macht seine Tragik wie seine Ironie aus. Es ist schlicht sein Arbeitsfeld, das Misstrauen in die Welt, die ihn umgibt, es ist das Täuschende im Menschen selbst, das den Detektiv erst konstituiert, ihn umtreibt und zum Pessimisten werden lässt. In der technischen Durchführung des Filmes selbst wird diese Weltsicht deutlich: Die vom Drehbuch her erreichte Langsamkeit, ebenso wie statische Szenen werden durch ungewöhnliche Kamerabewegungen und -positionen aus niedrigen Blickwinkeln aufgebrochen, die das Publikum stets in Irritation versetzen sollen und auch das Gefühl für eine heimliche Komplizenschaft unter den Akteuren transportieren. Der Regisseur versteht es gut, die filmischen Parameter von Zeit, Raum und Ort so zu gestalten, dass die Atmosphäre einer immer präsenten Bedrohung spürbar über der gesamten Filmhandlung ausgelegt werden kann. Branagh beobachtet da eine Reihe ganz vortäuschender, konfliktbeladener Menschen, und am Ende bleibt die Frage durchaus offen, ob diese zwielichtige Reisegesellschaft je einen sicheren Hafen ansteuern wird.