ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Der Wiedergänger

d'Lëtzebuerger Land vom 20.10.2023

Dom Augustin Calmet kannte Luxemburg gut. Er berichtet in den sieben Bänden seiner Histoire de Lorraine davon. Der Benediktinerabt hilft, die rezenten Parlamentswahlen zu verstehen. Mit seinem Traité sur les apparitions des esprits, et sur les vampires, ou les revenans (Paris, 1751).

Der Spitzenkandidat der CSV hatte 2013 den politischen Tod gewählt. Zehn Jahre später spukt Luc Frieden als politisch Untoter durch das Schloss von Senningen. Wie Philippe le Chancelier: „[C]ondamné au supplice éternel [...] pour n’avoir point distribué aux pauvres le superflu de mes bénéfices“ (Bd. I, S. 397).

Luxemburg lebt seit Jahren im ökonomischen Ausnahmezustand. Die Europäische Zentralbank lieferte Investoren und Spekulanten zinsloses Geld. In der Covid-Krise übernahm der Staat die laufenden Kosten der Betriebe. Im Ukraine-Krieg trägt er bis Ende nächsten Jahres einen Teil der Energiekosten. „Zanter der Pandemie hu mir 5,5 Milliarden Euro direkt an indirekt Hëllefen un d’Leit an d’Betriber ausbezuelt.“ Meinte Xavier Bettel in seiner letzten Erklärung zur Lage der Nation. CSV, DP, LSAP, Grüne, ADR und Piraten verstaatlichten für eine Drittel Milliarde die Lohnkosten der neusten Indextranche. Der Staat rettet die Kapitalverwertung vor dem Markt.

Der Ausnahmezustand kann nicht ewig währen. Er verfälscht die Konkurrenz zwischen den Starken und den Schwachen. Er verdirbt die Risikobereitschaft der Unternehmer, die Arbeitsdisziplin ihrer Beschäftigten. Auf Dauer ist er nicht zu bezahlen. Xavier Bettel war der Regierungschef des Ausnahmezustands. Er setzt keine Rückkehr zum Normalzustand durch.

Den Normalzustand wiederherzustellen braucht es eines Anderen. Der im Parlament kein einziges Covid-, Energie- und Tripartite-Gesetz stimmte. Der ein Alibi hat. Der während des Ausnahmezustands verschwunden war. Einen politischen Wiedergänger. Einen Zombie der Voodoo-Economics.

Der Ausnahmezustand kostet Milliarden. Jemand muss die Rechnung bezahlen. DP, LSAP und Grüne überließen sie der nächsten Regierung. Luc Frieden greift sie auf. Einst war er als Finanz-, Justiz- und Verteidigungsminister Vollstrecker eines autoritären Neoliberalismus. Nun soll er die Haushaltsdisziplin wiederherstellen: Durch ökonomische Disziplinierung der an Produktionsmitteln armen Haushalte.

Am Freitag bereitete er sie vor: „Datt d’Situatioun ganz schwiereg ass.“ Dass wir „an eng Stagnatioun, voire éventuellement esouguer an eng Rezessioun kommen“. Dass bei den Staatsfinanzen „d’Situatioun Enn des Joers kënnt méi schlecht sinn“. Es drohe ein „méi héichen Defizit“. Der Staat müsse in den nächsten Jahren „Sue léine goen“.

Nach den Wahlen scheint sich die Konjunktur rasch zu verschlechtern. Vor den Wahlen versprach Luc Frieden, „datt d’Steiere fir jiddereen erofginn” (RTL, 19.6.23). Deshalb kosten Schulmahlzeiten, Busfahrten und Lesebücher den Staat zu viel: „Gratis-Politik für alle ist nicht finanzierbar“ (Wort, 24.3.23). In Senningen stellte er klar: Es wird nicht für alle reichen.

Wenn es nicht für alle reicht, senkt der ehemalige Handelskammervorsitzende die Steuern seiner Vereinskollegen. Wegen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Und derer Besserverdienenden. Wegen der Talente.

Bisher ist der Ausnahmezustand schuldenfinanziert. Zu negativen Realzinsen. Der Ausnahmezustand geht weiter: Die Kosten der Klimaveränderung steigen. Der Staat soll Industrie, Mittelstand und Haushalte für die Abkehr von Erdöl und Erdgas belohnen. Selbst für Produktivitätsgewinne durch Digitalisierung. Die jährlichen Militärausgaben werden auf eine Milliarde verdoppelt. Der Ausnahmezustand wird zum neuen Normalzustand.

CSV und DP breiten die Folterwerkzeuge aus: Triple-A, Defizitgrenze, Schuldenbremse. Die Europäische Union setzt die Maastricht-Kriterien wieder in Kraft. Es entstehen Sparzwänge. Etwa bei den Sozialausgaben.

Romain Hilgert
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