ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Pressefreiheit

d'Lëtzebuerger Land vom 06.10.2023

Seit 1982 misst die Marktforschungsfirma Ilres die Marktanteile Luxemburger Medien. Seit 2005 verkauft sie die Angaben unter dem Markennamen „Plurimédia“. Auftraggeber sind RTL, Mediahuis und Editpress. Der Staat schießt Geld zu.

Laut Ilres-Zahlen ist die Reichweite des Luxemburger Wort seit 1982 von 59 auf 22 Prozent der Befragten geschrumpft. Des Tageblatt von 24 auf fünf Prozent. Des Lëtzebuerger Land von fünf auf drei Prozent. Seit 2005 ist die Reichweite von Radio Lëtzebuerg von 47 auf 27 Prozent gesunken. Von Télé Lëtzebuerg von 38 auf 17 Prozent.

Die letzte Plurimédia-Veröffentlichung stammt vom 14. September 2022. Sie ist ein Jahr alt. Sie kündigte die nächste Veröffentlichung für „fin mars 2023“ an. Die folgende war für September 2023 geplant. Doch die Auftraggeber zogen die Notbremse: „[L]e comité technique a également pris exceptionnellement la décision de ne pas publier les résultats d’audience Plurimédia 2023.“ Erklärte Ilres vor 14 Tagen auf ihrer Web-Seite.

Die Begründung ist eine technische: „[P]our aboutir à une nouvelle méthodologie qui convienne au besoin d’information.“ Zwei Umfragen zu bezahlen, ohne die Ergebnisse publik zu machen, hat wenig mit Methodologie zu tun. Sonst hätte man sich die Umfragen sparen und die neue Methode abwarten können. Der staatliche Geldgeber hielt sich zurück.

Schon in der Vergangenheit zögerten die Auftraggeber die Veröffentlichung ungünstiger Plurimédia-Zahlen hinaus. Sie bemühten sich um schönere Zahlen. Änderten die Altersgrenze der Stichproben. Rechneten die Internet-Besuche zur Druckauflage. In ihrer Berichterstattung beschränkten sie sich auf die für sie günstigen Vergleichszahlen.

Vielleicht ist der Grund für die Unterdrückung der Plurimédia-Zahlen kein technischer. Sondern Angst oder Verdruss. Das belgische Centre d’information sur les médias (Cim) kontrolliert die Auflagen seiner Kunden: Seit 2018 fiel die verkaufte Auflage des Luxemburger Wort binnen fünf Jahren von 52 231 auf 43 231 Exemplare. Des Tageblatt von 9 161 auf 6 767 Exemplare. Quotidien, Revue, Télécran erging es laut Cim nicht besser. Dieses Jahr hat sich die Tendenz wohl fortgesetzt.

Dass traditionelle Medien wie Zeitungen, Radio und Fernsehen in einer Strukturkrise stecken, ist keine Schande. Seit Anfang des Jahrtausends herrscht Pressekrise. Infolge von gesellschaftlichen, ökonomischen, technischen Veränderungen. Die Auflagen und Reichweiten von Presse und Rundfunk sinken. Das Anzeigenvolumen geht zurück. Das Internet macht die Einnahmeverluste nicht wett. La Voix, Point 24, Jeudi, DNR wurden eingestellt. Das Journal wird nicht mehr gedruckt. Rotationspressen und Arbeitsplätze wurden abgebaut. Die Pressehilfe begünstigt das Internet und die Gratispresse. RTL verlangt steigende Zuschüsse. Das Bistum verkaufte Saint-Paul.

Umso feierlicher schwören alle auf die Pressefreiheit. Die erste Freiheit der Presse wäre, kein Gewerbe zu sein. Die Unterdrückung der Plurimédia-Zahlen bestätigt, dass die Presse ein Gewerbe ist.

Handel zwingt, billig zu kaufen, teuer zu verkaufen. Die Verleger und Sender wollen die Abonnentinnen nicht entmutigen. Sie wollen die Anzeigenkunden bei Laune halten. Steigen die Anzeigentarife, hielte man Angaben über die Reichweite am liebsten zurück.

Leitartikler verurteilen Zensur. Journalistinnen fordern Transparenz von Regierung, Gemeinden und Verwaltungen. Redakteure entrüsten sich über die „Circulaires Bettel“ und die staatliche Informationskontrolle. Einhellig verlangen sie ein umfassendes Informationszugangsgesetz.

Verlage und Sender sind aber ein Gewerbe. Deshalb lehnen sie Transparenz ab. Üben sie Zensur und Informationskontrolle. Gewähren sie keinen Informationszugang. Wenn es um Informationen über sie selbst geht. Sie nehmen sich die Pressefreiheit, ihrem öffentlichen Anspruch nicht zu gehorchen.

Romain Hilgert
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