Unter allen Wahlplakaten am Straßenrand hat die ADR das drastischste. Es zeigt Eingeweide eines Autos. Einen überdimensionalen Motorblock aus glänzendem Stahl. Mit seinen Rädern, Röhren, Rollen und Riemen. Ohne Karosserie in seiner brutalen Nacktheit.
„Une automobile de course avec son coffre orné de gros tuyaux tels des serpents à l’haleine explosive.... une automobile rugissante, qui a l’air de courir sur de la mitraille, est plus belle que la Victoire de Samothrace.“ Schwärmte Marinetti in seinem Manifest „Le Futurisme“ (Figaro, 5.2.1909). Zehn Jahre später gründete er mit Mussolini die faschistische Partei.
Die Bilder des Futurismus verherrlichen die Technik, den Rausch der Geschwindigkeit, den Krieg. Die Technik auf dem Bild der ADR scheint bewegungslos. Unverrückbar wie die Schwerkraft der Tradition. Die ADR berauscht sich am Stillstand.
Unter dem Motorblock steht auf grünem Grund: „DE VERBRENNUNGSMOTOR NET OFSCHAFEN. LËTZEBUERG GÄR HUNN“. Die Europäische Union will den Verbrennungsmotor ab 2035 verbieten. Er ist eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Der Verbrennungsmotor ist die Große Hufeisennasenfledermaus der ADR.
Die Regierungsparteien versprechen die Begrünung des Kapitalismus. Mit Fastenpredigten für die besitzlosen Klassen, dem Schutz der Wettbewerbsfähigkeit für die besitzenden. Die ADR hilft ihnen dabei. Sie lenkt von der Durchsetzung eines neuen Akkumulationsmodells ab. Der Handelskammer kann es recht sein.
Die ADR erfindet einen Ersatzklassenkampf zwischen Autofahrerinnen. Zwischen ökoliberalen Mittelschichten und Globalisierungsverlierern, die „Lëtzebuerg gär hunn“. Einen Kreuzzug unter dem Banner des Verbrennungsmotors.
Wer sich kein Elektroauto leisten kann, muss mit Benzin oder Diesel fahren. Benzinfahrzeuge sind billiger. Noch billiger gibt es Benziner als Gebrauchtwagen. Elektroautos sind schlechte Gebrauchtwagen: ihre Batterien sind erschlafft. Wer im Winter weit zur Arbeit fährt oder im Sommer nach Portugal, traut keinem Elektroauto. Mit einem Satz Maulschlüsseln repariert ein Bastler sein Dieselfahrzeug selbst. Elektroautos voll Elektronik müssen jedes Mal zum Händler.
Die ADR kämpft nicht gegen das Verschwinden des Verbrennungsmotors. Sie kämpft nicht gegen dessen Konkurrenz, den Elektromotor. Ihr Wahlprogramm ist liberal: „[D]éi bescht Technologie soll sech op eng natierlech Manéier um Maart duerchsetzen“ (S. 178). Sie kämpft gegen die Fahrer von Elektroautos.
Für die ADR sind die Fahrerinnen geräuschlos gleitender Elektroautos kosmopolitisch, woke, vegan, verweichlicht. Benzinmotoren sind solide, bodenständig. Sie lärmen und stinken wie richtige Männer.
Elektroautos sind Fahrzeuge für Leute in Hesperingen und Mamer. Die ein Eigenheim mit Garage und Ladestation besitzen. Die kurze Strecken ins Büro, zum Supermarkt fahren. Die 20 000 Euro für einen Akku im Fahrzeugboden ausgeben. Die staatliche Zuschüsse in Höhe von drei Mindestlöhnen erhalten. Elektroautos retten nicht das Klima. Sie retten die Automobilindustrie.
Benzin- und Dieselfahrzeuge sind politisch unkorrekt. Wie alte Pirelli-Kalender und der Tanktourismus. Am 12. September erhielt die ADR Unterstützung vom Automobilclub. Präsident Yves Wagner: „[N]os membres rejettent l’électrique cent pourcent. Il ne faut pas prendre les gens pour des imbéciles. On ne peut pas leur raconter n’importe quoi.“
Die anderen Parteien versprechen, dass alles so bleibt, wie es ist. Sie wollen die halbe Million Autos im Land nicht abschaffen. Die ADR verspricht, dass alles wieder wird, wie es war. Sie will den Verbrennungsmotor nicht abschaffen.
Die ADR verspricht, Auto zu fahren wie früher. Ohne Gedanken an Qualm und Staub. Ohne schlechtes Gewissen. Spitzenkandidat Fred Keup schwärmt: „La vie était meilleure avant, au Luxembourg, dans les années 90, par exemple“ (L’Essentiel, 14.9.23).