Auf dem Nachttisch liegt ein Büchlein. Der Umschlag zeigt einen einsamen Wohnwagen irgendwo am Strand, auf rotem Grund steht der Titel geschrieben: schwarzloch nico helminger. Es handelt sich um die Publikation Amphitheater 70. Knappe 71 Seiten braucht der Helminger-Text. Es sind Dialoge von zwei Personen, Betty und Ronny, in langen Stakkato-Reihen, die sich nicht um Klein- und Großchreibung scheren. Wortspiele. Die sich wunderbar schnell lesen. Was kaum an Theater erinnert. Die Regieanweisungen sind dürftig, und werden im schnellen Lesefluss hastig übersprungen. Sprache ist alles, warum nicht auch Theaterkunst?Leseprobe: „wenn ich das schon höre, wenn ich das schon höre! faselt was von unzureichender präsenz auf dem expandierenden chinesischen markt und explodierenden schrottpreisen! sitzt da in ein ungeheures brillengestell gekleidet, blaues schildpatt, und süffelt an irgendeiner modischen cocktail-sosse und hat überall bügelfalten.“ Der Mann spricht von seinem Sohn Sammy. Ein nunmehr erwachsener Sohn, ein Studierter, der es geschafft hat: Er arbeitet bei der Fluxemburger. Während seine Eltern berufliche wie persönliche Katastrophen aneinanderreihen, sich auf dem grünen Carré des Campingplatzes ebenso wüst beschimpfen wie wild kopulierend lieben. Zwei, die sich bisweilen abgrundtief hassen und doch nicht voneinander lassen können. Nun begegnen wir den Figuren des Textes als leibhaftigen Theatercharakteren: Christiane Rausch als keifende Betty, die erfolglos ihren Selbstverwirklichungsträumen hinterher jagt. Marco Lorenzini, der im Leben zu kurz gekommene Ehemann Ronny, der sein Brot bei der Schwarzloch verdiente – bis dass der „schmelzendreckzwerg“ in den vorzeitigen Ruhestand gezwungen wurde. Es ist ein Paar, das aneinander vorbeiredet, in atemlosen Monodialogen, in gekünsteltem Autoren-Deutsch.Leseprobe: „…ich bin ein fisch, betty, ein glücklicher fisch, schwimme leicht, blitzschnell, hinaus ins meer, oh, betty, das wasser ist warm jetzt, ich bin in meinem element, ich geniesse, brauch gar keine lungen mehr, alles fliesst und ich fliesse mit allem, betty…“ So schwimmt ein geschasster Schmelzarbeiter durch die Differdinger Badeanstalt. So spricht natürlicherweise kein Schmelzarbeiter der Welt. Wie Sprechblasen, die den falschen Comic-Figuren einverleibt wurden, so fremdartig wirken die Wortreihen Helmingers im Sprachgebrauch des Paares Rausch-Lorenzini. Manchmal führt dies zu einer köstlichen Groteske, die mit witzigen Überraschungseiern aufwartet. Manchmal ist es aber auch ein mühevolles Verrenken im Korsett eines Theaterstückes, das der Sprache als alles bestimmendem Inhalt huldigt. Eine sozialkritische Milieustudie sähe anders aus. Ähnlichkeiten mit real existierenden Orten oder Umständen in Luxemburg sind zweifelsohne gewollt, sind aber nicht vordergründig thematisiert. Betty und Ronny, Differdingen „scheiss drauf!“, die „Schwarzloch-hüttenpolypen“ – das alles könnte auch woanders sein. Und anders sein. Letztendlich bleibt der Eindruck, dass einige der besten Textpassagen von Nico Helminger durch die derbe Sprachathletik der Schauspieler auf der Bühne untergehen. Dass aber andererseits einige Höhepunkte dieser sehr ungleichen Darbietung durch die Komik der Schauspieler entstehen – etwa die Geschichte wie Betty bei der Netto gefeuert wurde, weil sie den „funkelneuen edge to edge power cleaner“ mitgehen ließ. Lesen wir also das Büchlein, sehen wir uns ein kurzweiliges Theaterstück an und suchen wir nicht zu sehr nach Sinn, nach großen Emotionen und tiefschürfender Interpretation. Der angebliche Zusammenhang zwischen Nico Helmingers schwarzloch und der Theorie der Schwarzen Löcher von Stephen W. Hawking blieb uns jedenfalls verschlossen.
schwarzloch von Nico Helminger, erschienen in der Serie Amphitheater der Éditions Phi, 2006. Mit Marco Lorenzini und Christiane Rausch, unter der Regie von Jacqueline Posing-Van Dyck, Bühne und Kostüme: Erich Fischer und Katharina Polheim, Musik: Michel Zeches, Licht: Zeljko Sestak, Regieassistenz: Sarah Bettendorff. Weitere Vorstellungen im Théâtre National du Luxembourg am 19., 20., 24. und 25. Mai jeweils um 20 Uhr. Zusätzliche Informationen unter www.tnl.lu.