Wird die Polizei von einer „Autorität“ (das kann auch eine Gemeinde sein) zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung bestellt, regelt Sektion 2 des Polizeigesetzes, was sie dann darf. Generell sind Polizist/innen zur Deeskalation angehalten. Doch zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung können sie notfalls von der Schusswaffe Gebrauch machen. Vorausgesetzt, die die Ordnung Störenden wurden darauf zwei Mal laut hingewiesen und aufgefordert, sich zu fügen, so Artikel 32 des 2018 überarbeiteten Polizeigesetzes. „Manifestanten“, so Artikel 33, müssen nach polizeilicher Aufforderung ihre Versammlung auflösen. Sonst können sie unter Gewaltanwendung dazu gezwungen werden. Wer bei einer Kundgebung Straftaten begeht, dem droht selbstverständlich Strafverfolgung. Werden Polizeieinheiten bei ihren Bemühungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung von „Manifestanten“ angegriffen, kann die Gewaltanwendung im Extremfall auch ohne Vorwarnung erfolgen (Artikel 34).
Der Rechtsstaat ist demnach nicht wehrlos, wenn öffentliche Kundgebungen ausarten. Die CSV hält ihn dennoch für nicht „wehrhaft“ genug. Ihre Kammerfraktion verlangte am Montag mit Verweis auf die „Ausschreitungen bei den jüngsten Potesten gegen die Corona-Maßnahmen“ ein Demonstrationsgesetz. Vergangene Woche hatte bei RTL der Präsident der Polizeigewerkschaft erklärt, ein solches Gesetz müsse „unbedingt“ her. Die CSV will regeln lassen, wann eine Demonstration untersagt werden kann. Bei Rechtsverstößen sollen „substanzielle Strafen“ verhängt werden. Die Organisatoren von Demonstrationen sollen bei Übergriffen haften. Und sie will mit dem Demonstrationsgesetz den „generellen Platzverweis“ eingeführt haben.
Unsinnig ist die Frage, ob das Rechtssystem ergänzt gehört, nicht. Dass sie politisch gestellt wird, ist verständlich: Vor allem die Antivax-Kundgebung Anfang Dezember, die den Weihnachtsmarkt bei der Gëlle Fra stürmte, vor dem Haus des Premiers und dem der Familienministerin randalierte, erschütterte das moralische und ästhetische Empfinden der Bürger/innen von einer normal funktionierenden Hauptstadt.
Doch darin liegt auch schon ein Teil der Antwort auf die Frage, ob es neuer oder verschärfter Gesetze bedarf: Der Umgang mit Corona ist in erster Linie ein politisches Problem, kein legales. Die Kundgebungen richten sich gegen eine Politik, die Teilnehmerzahl wird kleiner. Und vor zwei Wochen zeigte die Polizei, als sie Demonstrant/innen stundenlang auf der Avenue de la Liberté festhielt, zu welcher Taktik die schon zur Verfügung stehenden Mittel sie ermächtigen.
Sie punktuell zu erweitern, ist vielleicht angebracht. Justizministerin Sam Tanson (Grüne) plant bereits, eine Veröffentlichung persönlicher Daten Dritter, die das Ziel hat, ihnen zu schaden, unter Strafe stellen zu lassen. So soll darauf reagiert werden, dass „Spaziergänger“ vor das Hause der Gesundheitsministerin und des Polizeiministers zogen und die Adressen in sozialen Medien posteten. Oder darauf, dass Daten von Journalist/innen weitergegeben wurden. Sam Tanson will es der Polizei auch ermöglichen, mit Pseudonym in Internet-Diensten wie Telegram zu recherchieren. Was bisher nur bei Verdacht auf Terrorismus oder Bedrohung der Sicherheit des Staates erlaubt ist.
Ein „Demonstrationsgesetz“ sind solche Erweiterungen nicht. Aber die verdeckte Ermittlung im Internet etwa könnte, einmal in Kraft, auch auf Organisatoren von Kundgebungen von Gewerkschaften oder Youth for Climate angewandt werden. Das politische System des Landes muss ja nicht immer so liberal bleiben wie das heutige. Zur Erweiterung der polizeilichen Mittel ist viel Augenmaß geboten. Umso mehr gälte das für ein Demonstrationsgesetz. Der CSV ging es am Montag um den politischen Punktgewinn in einer Law-and-order-Kampagne, die sie schon länger führt. Es müsse Schluss sein mit der „grünen Kuschelpolitik“, fand der Abgeordnete Léon Gloden. Dabei kann von der in Wirklichkeit keine Rede sein. Und eine Einschränkung des Demonstrationsrechts würde eine Grundsatzdebatte ähnlich der zur Impfpflicht erfordern.