Man hätte meinen können mit Rifkin’s Festival (2020) hätte Woody Allen seinen letzten Film gedreht. Als Alterswerk spürte diese Erzählung um einen kränklichen, alternden Filmemacher, den Gedanken um Leben und Tod, Erfüllung und Anerkennung, beschäftigten, den großen Sinnfragen des Lebens nach – amüsant, gewohnt bissig und schwarzhumorig. Woody Allens typische Erkennungsmuster wurden hier stärker und direkter als in irgendeinem anderen seiner mittlerweile fünfzig Werke umfassenden Filmografie an ein Referenzspiel auf die Filmgeschichte gebunden. Sein fünfzigster, neuester Film Coup de chance ist aber eine deutliche Abkehr von diesem durch und durch autobiografisch, als Selbstbefragung lesbaren Rifkin’s Festival. Coup de chance ist vielmehr eine Rückkehr zu den Erfolgsmustern früherer Werke des neurotischen Filmemachers: Eine Zufallsbegegnung in den Straßen von Paris – zwei ehemalige Schulkameraden Fanny (Lou de Laâge) und Alain (Niels Schneider) finden sich wieder, beginnen eine Affäre. Fannys Ehemann Jean (Melvil Poupaud) ist ein erfolgreicher Geschäftsmann und hegt alsbald den Verdacht, seine Frau betrüge ihn…
Seine vorerst als romantische Komödie angelegte Erzählung unterfüttert Allen zusehends mit einer kriminalistischen Handlungsführung – diese Struktur lässt sich schon aus dem Wortspiel des Filmtitels ableiten, der allerlei Assoziationen zulässt: Eine Geschichte rund um Schicksal, Zufall, Glück – und Schüssen. Glückstreffer ist die wohl adäquateste Übertragung des Filmtitels. Allen lässt das Genre der romantischen Komödie bewusst und nahezu unmerklich in die Dramaturgie des Thrillers übergehen, sodass Coup de chance augenscheinlich ein Kompositum seiner früheren Filme darstellt. Allen tränkt diese Geschichte denn auch wie gewohnt in überaus romantisch aufgeladene Bilder – es ist da Herbst, wie es nur im Kino Herbst sein kann, es gibt Sonnenuntergänge, wie es nur im Kino Sonnenuntergänge geben kann, überhaupt ist es ein Paris, wie es nur im Kino, ja bei Woody Allen, existiert – man denke nur an Midnight in Paris (2011). Obwohl New York der favorisierte Schauplatz von Allens früheren Filmen war, so hat er Mitte der 2000er-Jahre konsequent seine sogenannte „europäische Schaffensphase“ verfolgt. Innerhalb dieser ist Match Point (2005) auffallend, da er sich nicht mehr über die Codes der romantischen Komödie fassen lässt, obschon er deren Grundkonstellationen erfüllt. Als Gesellschaftskomödie beginnend, beschreibt er dann einen Absturz und Werteverfall, die die Grausamkeit hinter der Fassade der geschäftsweltlichen Oberschicht offenlegten.
Ansätze daraus finden sich nun wieder: Viel zurückgenommener und ironischer artikuliert Allen diesen Werteverfall in Coup de chance am Beispiel des Ehemanns Jean. Er ist ein kalter Perfektionist, dem jedes Mittel recht ist, um seine Ziele zu erreichen; einer der bezeichnenderweise meint, er könne über Zufälle triumphieren und sein Glück selbst herbeiführen. Als Symbol wird ihm natürlich überdeutlich eine Modelleisenbahn beigestellt. Sein Kontrollwahn bestimmt alles, jedes Rädchen muss seinem Willen entsprechend drehen. Ganz aufdringlich kontrastiv dazu verhält sich Alain, ein mittelloser Autor, ein träumerischer Romantiker, dessen Broterwerb im Schreiben liegt. Darin liegt gerade das besondere Augenmerk von Woody Allens Zugriff auf das Genre der romantischen Komödie: Er beschaut sie mit ungemeiner Ironie, ohne sie aber der Lächerlichkeit preiszugeben, denn entschlossen überwiegt seine ganz positive Naivität, die an das Gelingen der Kommunikation glauben will, die an der Überzeugung festhält, alles in der Welt ließe sich fügen. Die Kameraarbeit, die Lichtsetzung, der weiche Schnitt, die Musik – seine filmsprachlichen Mittel setzt Allen ganz in den Dienst dieses Effekts des Gefühlsrauschs, eine Bestätigung dieser Naivität als Tugend. Seine dynamische Wirkung liegt in der Rundung des Erzählflusses, der Coup de chance stilsicher zu seinem Ziel führt.