Die letzte Kammersitzung der Legislaturperiode lag schon vierzehn Tage zurück. Da brachte Finanzministerin Yuriko Backes noch einen Gesetzentwurf ein. Er soll eine EU-Richtlinie über das „niveau minimum d’imposition mondial pour les groupes d’entreprises multinationales“ der OECD umsetzen. Zeitgleich veröffentlichten in London als Tax Justice Network zusammengeschlossene Forscher den Bericht State of Tax Justice 2023.
Das Gesetz soll drei Steuern für transnationale Konzerne mit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz schaffen. Um Konzerne zusätzlich zu besteuern, wenn sie in Luxemburg weniger als 15 Prozent effektive Steuern zahlen. Andernfalls wird den Heimat- oder Drittstaaten eine Nachbesteuerung erlaubt.
Nach dem Bankenkrach 2008 ging vielen Staaten das Geld aus. Sie wollten die Steuern auf den Löhnen, dem Konsum und den Unternehmensprofiten erhöhen. Konzerne sollten weniger Profite in Steueroasen verstecken. Die Regierung wurde zum automatischen Informationsaustausch gezwungen. Sie speckte die Ruling-Industrie ab. Sie antworte auf Luxleaks: Luxemburg sei nie eine Steueroase gewesen, und nun höre es auf, eine zu sein.
Zum neuen Gesetzentwurf gehört die übliche „Fiche financière“. In ihr fehlen alle Zahlen über die Einnahmen aus den geplanten Steuern. Oder über die Mindereinnahmen durch die Abwanderung nachbesteuerter Konzerne. Schätzungen würden verräterische Rückschlüsse auf die effektiven Steuersätze transnationaler Konzerne erlauben.
Den Blick hinter den „taux d’affichage“ versucht das Tax Justice Network. Die Forscher werten die Land-für-Land-Berichte transnationaler Konzerne an die OECD aus. Um „misaligned profits“ und die dadurch entstandenen Steuerausfälle zu ermitteln.
Dazu errechnen sie den Unterschied zwischen den ausgewiesenen Profiten und einer Art Mehrwertrate: der lokalen Beschäftigtenzahl und Lohnmasse der Konzerne im Vergleich zu ihren globalen Profiten. Ist der Unterschied stark unterdurchschnittlich, seien Profite außer Landes verlagert worden. In Steueroasen kämen dagegen auf sehr wenige Beschäftige sehr hohe Profite.
Die Forscher multiplizieren die aus einem Land verlagerten Profite mit dem dort gültigen Körperschaftssteuersatz. Das Ergebnis nennen sie den Steuerausfall durch Steueroasen. Die Methode ist grob. Eine bessere verhindern Regierungen, Finanzämter und Steuergeheimnis.
Laut dieser Berechnung verlagerten transnationale Konzerne 43,5 Milliarden Dollar Profite nach Luxemburg (S. 34).
So sei anderen Staaten ein Steuerausfall von 11,9 Milliarden Dollar zugefügt worden. Luxemburgs Anteil am weltweiten Steuerausfall durch den „corporate tax abuse“ habe 2018 vier Prozent ausgemacht (Irland: 3,7 Prozent, Schweiz: 5,3 Prozent, Großbritannien: 10,8 Prozent, Niederlande: 17 Prozent).
Ähnlich durchsuchen die Forscher die Statistiken der Bank für internationalen Zahlungsausgleich: nach Staaten, wo die Bankeinlagen in keinem Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt stehen. Gemessen am Regressionskoeffizienten von 192 Staaten seien 537 Milliarden Dollar oder 98,84 Prozent aller Bankeinlagen in Luxemburg „abnormal deposits“ (S. 43; Cayman Islands: 99,97 Prozent, Bermuda: 99,28 Prozent, Jungferninseln: 99,23 Prozent), Bei einer angenommenen fünfprozentigen Rendite und den in den Herkunftsstaaten üblichen Einkommensteuersätzen habe das anderen Staaten einen Steuerausfall von 16,8 Milliarden Dollar verursacht (S. 51).
Insgesamt habe Luxemburg anderen Staaten Steuerausfälle auf Profiten und Bankeinlagen von 28,8 Milliarden Dollar zugefügt. Das wären zehn Milliarden Euro mehr als der Luxemburger Staatshaushalt. Die Nutznießer überließen der Steuervermeidungsindustrie und der Staatskasse einen geringen Anteil der Beute. Für treue Dienste.
Alle Wahlprogramme versprechen Steuergerechtigkeit. Sie meinen Steuergerechtigkeit im Kleinen. Sie wollen sie durch Steuerungerechtigkeit im Großen finanzieren.