Heute loben wir die staatlich subventionierten Lügenmärchen. Der Clou auf dem Luxemburger Buchmessestand in Frankfurt war ein Propagandafilm. Wer nun denkt, dieser Film sei eine Art Werbung für Bücher und Verleger gewesen, vielleicht sogar für die Freiheit der Literatur, der irrt gewaltig. Das Thema Bücher kommt in diesem Film nicht vor. Überhaupt nicht. Irgendwie denkt sich das Kulturministerium, dass man Bücher bei staatlichen Werbeaktionen getrost vergessen darf. Da aber der Film in Endlosschleife fünf Tage lang auf einer Buchmesse lief, also auf einer speziell dem Buch gewidmeten Veranstaltung, ist die Frage erlaubt, wieso der Luxemburger Staat Bücher benutzt, um Bücherfreunde mit bücherfremdem Videobeschuss zu ködern?
Die bündige Antwort gibt der Schriftsteller Georges Hausemer in einem Interview mit Radio 100,7: „Es gibt nach wie vor keine Buchpolitik in Luxemburg.“ Insofern ist es geradezu Hochstapelei, wenn ein Ministerium, das Bücher und Buchmacher im eigenen Land herzlich ignoriert, im Ausland plötzlich so tut, als gehöre es zum inneren Kreis der international geachteten Buchpfleger. Das kann nur schief gehen. Dass es mit Sicherheit schief geht, glaubt die Kulturministerin aber nicht. Sie reist eigens nach Frankfurt, posiert vor dem nagelneu eingeschwärzten Stand und strahlt, als sei sie die Europameisterin der idealen Buchpolitik. Immerhin passen ihr die pechschwarzen Regalwände ins Konzept. Das ist nicht nur die luxemburgische Staatsfarbe schlechthin, sondern auch ein ideales Kontrastmittel auf Pressefotos. Die Ministerin sticht wunderbar ab. Dass auch die einheimische Literatur längst abgestochen ist, kümmert sie nicht.
Und nun Vorhang auf: Es läuft der Film. Er heißt
A Modern Fairy Tale und löst genau diesen Anspruch auch ein. Luxemburg, das „Business wonderland“ (wörtliches Zitat), wird nicht nur durch die rosarote Brille beäugt, sondern förmlich unter Bergen von süßer Sahne begraben. Wenn wir diesem im typischen Videoschnipsel-Katarakt-Stil zusammengekleisterten Machwerk glauben, leben wir hier ausnahmslos im Paradies. Alles hierzulande ist ein Exempel für die Welt, wir Luxemburger sind geradezu Helden der vollkommenen Lebensgestaltung. Die Botschaft ist klar: Kommt alle nach Luxemburg, hier wird euch ein Licht aufgehen. Wem diese Kurzbeschreibung nicht ausreicht, der sollte die neun Einzelsequenzen des Film in Augenschein nehmen (im Internet unter www.promoteluxembourg.com). Der kitschige Softporno spricht Bände. Allerdings täte man gut daran, sich dabei am Stuhl oder am Sessel festzuschnallen. Sonst riskiert man, in höhere Sphären abzuheben, wie ein mit Helium vollgepumpter Ballon. Achtung, dieser Film ist ein optisches Halluzinogen. Oder eine Heiligenlegende.
Es sei den klugen Köpfen aus Wirtschaft und Kommerz unbenommen, sich mit massiver Schönfärberei und verlogenem Bilderzauber bei potenziellen ausländischen Investoren einzuschmeicheln. Vielleicht sind die ja wirklich so unbedarft, auf die groteske Lockspeise hereinzufallen. Der Versuch, die europaweit wütende Krise einfach weg zu schminken, oder den bedrohlich wackelnden Wirtschaftsstandort Luxemburg hinter einem glitzernden Paravent verschwinden zu lassen, gehört in die Kategorie des gezielten Betrugs. Aber die Literatur, zumindest die substanzielle Belletristik, hat mit solchen Taschenspielertricks nichts im Sinn. Ganz im Gegenteil. Die Literaten entwerfen in ihren Büchern das genaue Gegenbild zu diesem verheerend unkritischen, glattgebügelten Landesportrait. Hier die stillen Bücher im Regal, dort das aufdringlich marktschreierische Video-Geflimmer: die Dissonanz könnte nicht krasser sein. Im Endeffekt macht das Ministerium Reklame für Bücher mit einem durch und durch bücherfeindlichen Medium.
Die Autoren und Verleger sollen offenbar eingespannt werden in den staatlichen Publicity stream. Folgt man der Logik des Videofilms, soll der Buchmessebesucher wohl denken: Aha, diese Luxemburger machen auch Bücher, Moien, Moien, wer hätte das gedacht? Die sind ja noch viel exotischer als ihr Ruf! Sicher sind ihre Bücher genau so bonbonfarben und überzuckert wie alle anderen Produkte des unglaublichen Wonderland. Dieses Luxemburg ist wohl eine überdimensionierte Wellnessoase, ein kulturelles Disneyland, in dem sich sogar Schriftsteller nahtlos einfügen in die vom Staat gesteuerte Gegenaufklärung. Da fahren wir hin! Da lassen wir uns betören! Auf diese Märchenkulisse haben wir lange gewartet!
Es kostet Aufmerksamkeit und braucht Zeit, konzentriert in Büchern zu blättern. Eine Messe mit ihrem nervtötenden Geräuschpegel ist ohnehin ein schwieriger Ort, um sich in Geschriebenes zu vertiefen. Wird der Lesewillige dann auch noch in eine völlig überflüssige Bilderflut getaucht, ist die Konzentration endgültig futsch. Alles in Butter, würde die Kulturministerin sagen. Jetzt trinken wir erst mal ein Gläschen Pinot blanc, Domaine de l’État, die fröhliche Weinseligkeit ist ja viel lohnender als die dröge Bücherbesessenheit. Übrigens: im beschriebenen Propagandafilm kommen die Luxemburger Weinberge optimal zur Geltung.
Guy Rewenig
Kategorien: Made in Happyland
Ausgabe: 19.10.2012