Made in Happyland

Wladimir Juncker

d'Lëtzebuerger Land vom 12.10.2012

Heute loben wir das lästige Volk. Es gibt offenbar viel zu lachen in Russland und in Luxemburg. Alles paletti auf den beiden paradiesischen Inseln, alles im Lot, die Völker höchst zufrieden und hellauf begeistert von ihren genialen Politikern. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls ein Foto, das im Großformat auf der Titelseite des Luxemburger Wort erschien: Juncker und Putin in sehr entspannter Pose, herzhaft lachend, zwei schäkernde Freunde, irgendwie weltentrückt, fast schon am Rand einer Umarmung. Wir tumben Bürger sind offenbar über Jahre böswillig gestreuten Schreckensnachrichten auf den Leim gegangen. Russland eine verkappte Diktatur? Luxemburg ein finanzgeiler Feudalstaat? Von wegen! Das große Gelächter der beiden Herren widerlegt auf einen Schlag diese verantwortungslosen Gerüchte.
Der versammelten Luxemburger Presse erzählt Herr Juncker, er habe lange mit Putin über die Menschenrechtslage in Russland gesprochen. Wie müssen wir uns dieses Gespräch vorstellen? Man hat uns heimlich das Protokoll dieser extrem kritischen Intervention zugespielt. Putin: „Hey, Jean-Claude, willst du mir denn keine Frage über die Menschenrechte stellen, hahaha? Jetzt plaudern wir schon eine ganze Stunde, und das Wort ‚Menschenrechte’ kommt dir einfach nicht über die Lippen, hahaha.“ Juncker: „Sorry, Wladimir, das hätte ich jetzt fast vergessen, hahaha. Wie steht es denn mit den Menschenrechten in Russland, hahaha?“ Putin: „Bestens, Jean-Claude, und mit dir, hahaha?“ Juncker: „Hahaha!“ Putin: „Hahahahaha!“
Man sieht, wir haben es hier mit sehr gerechtigkeitsfixierten Politikern zu tun. Mit bewundernswerter Empathie wenden sie sich ihren Völkern zu, beseelt von der Leidenschaft, nur Edles und Gutes zu tun. Und Herr Juncker geht in seiner grenzenlosen Menschenliebe sogar noch einen waghalsigen Schritt weiter. Wiederum ist die Luxemburger Presse Zeugin einer wahren Menschenrechtssensation. Herr Juncker berichtet in aller Offenheit, er habe Putin einen umwerfenden Deal vorgeschlagen. Er solle doch die Band Pussy Riot freilassen – er, Juncker, werde sie mit nach Luxemburg nehmen und den Damen dort Asyl gewähren. Falls noch Plätze frei seien in seinem Flugzeug (Achtung! Keine Satire!). Hahaha! Da lachen die Journalisten vor lauter ungläubigem Staunen.
Nun, es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder ist Herrn Junckers Pussy-Riot-Geschichte ein saublöder Witz auf RTL-Déckkäpp-Niveau, also eine zusätzliche Herabwürdigung der verfolgten Russinnen, oder er hat Putin tatsächlich mit diesem Anliegen beglückt. Hahaha. Diese zweite Hypothese hat es in sich. Wir wissen ja, wie in Herrn Junckers Staat mit Asylbewerbern verfahren wird. Sie werden schikaniert, zurückgedrängt, mit allen bürokratischen Mitteln entmutigt, behandelt wie Parasiten und Heimatvergifter. Und nun dies. Plötzlich will der Staatsminister drei russische Frauen, die in der Terminologie seines Vereins „Gotteslästerinnen“ heißen, höchstpersönlich in die Luxemburger Glücksgefilde befördern. Was denken wir denn da? Zunächst dies: Es ist ein schwerer Anschlag auf die Ehre und die Würde aller Asylbewerber. Wenn es nämlich so einfach ist, in Luxemburg den Asylstatus zu erlangen, dann ist völlig unbegreiflich, wieso nur die Pussy-Riot-Mitglieder derart spektakulär zu Ikonen der staatlichen Menschenliebe werden sollen. Nach dem Motto: Bist du eine belgische Gräfin oder ein russischer Promi, gelten unsere Gesetze nicht mehr für dich. Hahaha.
Leider hat der sture Putin dem umtriebigen Herrn Juncker nun einen eklatanten PR-Coup vermasselt. Das wäre Futter für die internationale Regenbogenpresse und die interkontinentale Twittergemeinschaft gewesen: Herr Juncker befreit Pussy Riot! Hahaha. Er verpflanzt sie ins Marienland, wo Gott der Herr immer noch der Staatstaliban par excellence ist. Hahaha. Wir hören schon das gewaltige Knistern und Krachen in den frommen Bezirken. Vielleicht hätte er die Pussy-Riot-Militantinnen gar überredet, ihre rabiate Kunst in der Kathedrale vorzustellen. Mit einem knalligen Happening wider den Gottesstaat. Zum Beispiel während der so genannten „Prinzenhochzeit“, der staatlichen Krisenvertuschungsaktion Nummer eins. Hahaha.
Wir können die groteske Episode aus Herrn Junckers Russlandfeldzug natürlich auch nüchtern betrachen. Er ist der Typus des Politikers, der jede Bodenhaftung verloren hat. Sein Heil sucht er in einer merkwürdigen Abkapselung, auf einem imaginären Territorium, wo der Bürger und das Volk nicht länger vorkommen. In dieser selbstverordneten Isolierhaft muss er sich nicht mehr um demokratische Gepflogenheiten kümmern. Dort kann er lachend mit lustigen Oligarchen flirten oder etwa, wie in der Causa Mersch, einfach flöten: Das Europaparlament kann mich mal! Das Bedenkliche ist: Er tut immer noch, als habe er alles im Griff. Dabei weiß er genau, dass die Politik längst vor dem anarchischen Kapitalismus die Segel gestrichen hat. Er spielt dem lästigen Volk etwas vor. Er plappert und bramarbasiert. Unterdessen kappt sein lachender Freund Putin die Bürgerrechte. Hahaha?

Guy Rewenig
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