Heute loben wir die tollen Einfälle der Werbebranche. Zugegeben, einen derart umwerfenden Videospot haben wir lange nicht mehr gesehen. Ein junges Paar sitzt in seiner Wohnung, es bricht Streit aus, der Mann verfolgt die Frau durch alle Zimmer und zertrümmert unterwegs das gesamte Mobiliar. Dann erscheint im Bild die Zeile „Zäit fir nei Miwwelen“. Diese erbauliche und tiefsinnige Geschichte ist nicht etwa ein privater Spaß, den ein paar Videofreaks in irgendeinem Hinterzimmer zusammengebastelt haben. Nein, es ist die offizielle Werbung für den diesjährigen Salon du Meuble, in Auftrag gegeben vom Verband der Luxemburger Möbelhändler (Fedam). Vielleicht nehmen sich ja viele kreative Ehemänner ein Beispiel an dieser brutalen Verkaufsstrategie. Schlagen ihre Einrichtung zusammen, vermutlich auch ihre Frau, und schaffen so Raum für neue Investitionen.
Dieses Video ist kühn und exemplarisch. Die verantwortliche Werbefirma Moskito hat schon in der Vergangenheit immer wieder mit Brio zentrale Probleme der Gesellschaft angepackt, zum Beispiel die Bratwurst-Tragödie beim Escher Terres-Rouges-Musikfestival. Davon haben Sie noch nie etwas gehört? Das kann nur heißen, dass Sie die wirklich ernsten sozialen Fragen gar nicht zur Kenntnis nehmen. Die kriminellen Bratwurstpreise auf einem Festivalgelände sind nämlich ein Sinnbild für den hemmungslos wuchernden Kapitalismus. Wir können also sagen: Diese Werbefuzzis sind die Vorreiter einer neuen, tabufreien Kapitalismuskritik. In dieser lockeren und bunten Firma macht die politische Kreativität jedenfalls gewaltige Sprünge. Das erfindungsfreudige Team schreckt vor keinem brisanten Höhenflug zurück.
Es ist ein Jammer, aber sogleich marschieren wieder die üblichen Miesepeter auf. Die Verächter der Videokunst, die künstlerisch Unbedarften, die Altmodischen, die noch nie etwas mitbekommen haben von der beeindruckenden Werbe-Nomenklatura, von „Strategic Director & Project Management“, oder „Creative Director“, oder „Head of Administrative & Financial“. Man sieht, in diesen minimalistischen Firmen, die meist nur eine Handvoll Mitarbeiter beschäftigen, trägt jeder Einzelne einen beeindruckenden Titel. Und zwar exklusiv in englischer Sprache. Jeder ist mindestens Direktor, wenn nicht gar übergeordneter Generalverwaltungsmanager. In diesen Firmen ist der einfache Angestellte abgeschafft. Es gibt nur leitende Posi-
tionen. Allein diese Betriebsstruktur zeigt doch, dass wir es hier mit hochkarätigen Wirtschafts-
erneuerern zu tun haben. Warum also das Gemecker? Möchten die Kritiker den dringend notwendigen wirtschaftlichen Aufschwung sabotieren?
Die Femmes socialistes bekundeten ihr Entsetzen über den Videospot, der ihrer Ansicht nach die häusliche Gewalt verharmlost. Aber Hallo! Hat denn die „General Communication & Public Relation Top Design Creative Force Society Coordination“-Dame, also die Sprecherin von Moskito, nicht klar und deutlich erklärt, dass es sich beim inkriminierten Videospot nur um einen „Gag“ handelt? Also ein Werk des subversiven Humors? Wo kann man denn hier häusliche Gewalt sehen? Zwei gut gelaunte junge Leute zerschlagen sich, dass die Fetzen fliegen. Na und? Das ist lustig und locker, da lachen wir uns kaputt. Je mehr Trümmer, umso mehr Spaß. Wir haben uns übrigens kreativ anstecken lassen und vor lauter Begeisterung schon mal mit dem Vorschlaghammer unser Auto schrottreif gehauen. Und was geschieht? Uns erscheint ein lachender Autohändler, der uns freundlich zuwinkt und ruft: „Zäit fir en neien Auto!“
„La Commission luxembourgeoise pour l’éthique en publicité (CLEP) vous demande avec effet immédiat d’arrêter la diffusion du spot publicitaire incriminé“, wollte ein weiteres kunstfeindliches Gremium dem Möbelhändlerverband befehlen. Ethik? Was ist denn das für ein Fremdwort? In welchem Jahrhundert leben wir denn? Beschäftigen sich die CLEP-Herrschaften tatsächlich mit derart antiquierten Kinkerlitzchen? Bestimmt haben diese Trübsalsbläser nicht mal ein ordentliches Videogerät zu Hause. Und ausgerechnet diese verstaubten Moralapostel möchten über Videokunst mitreden!
Jedenfalls hat sich weder der Möbelhändlerverband, noch die Firma Moskito breitschlagen lassen. Sie haben ihren Videospot mitnichten zurückgezogen. Nur ein bisschen umgebaut. Leicht gekürzt und mit einer „burlesken Musik“ (Originalzitat) unterlegt. Da auf der neuen Tonspur auch noch präfabriziertes Gelächter zu hören ist, wie in den amerikanischen Comedy-Serien, wird der Videogenuss jetzt praktisch ins Unermessliche gesteigert. Der Gewalttäter im Film verfolgt zwar noch immer seine Frau und zerlegt fachmännisch alle Möbel, aber diese Triebexplosion schwimmt eben jetzt in einem Bad aus „burlesker Musik“. Das nennt man einen kreativen Schnellschuss. Schlag deine Frau, Cowboy, sie lechzt nach neuen Möbeln. Selten so gelacht.
Das schöne Rezept sollte nicht bei den Möbelhändlern versanden. Wir sollten größer sehen. Die ganze Gesellschaft kaputt schlagen und neu aufbauen. Das wäre Material für tausend Videospots.
Guy Rewenig
Kategorien: Made in Happyland
Ausgabe: 28.09.2012