Ein Dreivierteljahr wurde in Bettendorf über die Nordstad-Fusion diskutiert. Wie haben die Einwohner das Polit-Chaos erlebt?

News aus der Fräschegaass

Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 30.05.2025

„Auch der dümmste Fuchs hat sieben Löcher, um in seinen Bau zu gelangen“, erklärt ein älterer Herr im Café Kueb in Gilsdorf. Die geplante Nordstad-Fusion jedoch würde das bestehende Verkehrschaos in der Nordstad verschärfen – deshalb sei er gegen die Gemeindefusion. Durch den Zusammenschluss gerate man unter die Fittiche städtischer Beamter, „die wenig Ahnung vom Ösling haben“. Er könne gut verstehen, dass der Gemeinderat von Bettendorf dagegen gestimmt hat. „D‘Leit gesi kee Virdeel dodran“. Im Café Kueb riecht es nach frittiertem Fisch. Einige portugiesischsprachige Gäste lehnen ein Gespräch ab, und die Frau am Tresen meint, die Einwohner von Gilsdorf seien „pas content“.

Vielleicht sind die Gilsdorfer „pas content“, weil sie im März mit 65 Prozent in einem Referendum für die Weiterverhandlungen über die Fusion mit den übrigen Nordstad-Gemeinden gestimmt haben. Ihr 1100-Einwohner-Dorf geht nahtlos in Diekirch über. Doch der Bettendorfer Gemeinderat entschied vor einem Monat mit einer drei zu acht Mehrheit, die Fusionsgespräche mit Erpeldingen, Schieren sowie den beiden einwohnerstarken Gemeinden Diekirch und Ettelbrück abzubrechen. In Bettendorf war die Zustimmung zwar geringer, lag aber ebenfalls bei über 50 Prozent. Innenminister Léon Gloden (CSV) wurde daraufhin in einem Brief aufgefordert, die Entscheidung des Gemeinderats wegen zweier Formfehler zu widerrufen: Erstens sei die Einladung zur Sitzung nicht – wie gesetzlich vorgeschrieben – im Reider ausgehängt worden. Zweitens habe Bürgermeister Patrick Mergen keine klare Fragestellung zur Abstimmung gestellt, sondern lediglich gefragt, ob „der Gemeinderat seine Entscheidung vom Oktober 2024 rückgängig machen sollte“, wie das Wort wiedergibt. Letzte Woche bestätigte Gloden jedoch die Entscheidung des Gemeinderats – es liege kein Formfehler vor.

Die Gemeinde Bettendorf umfasst die Dörfer Gilsdorf, Möstroff und Bettendorf sowie die Weiler Bleesbrück, Broderbour und Keiwelbach. Ihre Ursprünge reichen bis ins
13. Jahrhundert zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Gemeinde – unter anderem dank des Campingplatzes „Um Wirt“ am Sauerufer – rasch zu einem beliebten Touristenziel. In der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts wurde die Region zudem für ihren Schnaps bekannt, den sie durch ihre Apfelbaumplantagen vor Ort produzieren konnte. Bis 1964 hielt der Benny am Bahnhof von Bettendorf; die ehemalige Bahnstrecke wurde inzwischen in einen Radweg umgewandelt. Das Dorfzentrum von Bettendorf wird vom Schloss geprägt, das 1728 erbaut wurde. Es befindet sich in Privatbesitz und unterliegt derzeit umfassenden Renovierungsarbeiten, auf die die Gemeinde keinen Einfluss hat. Pfarrer Albert Franck führte 1973 die Katholische Charismatische Erneuerung in Luxemburg ein, deren Zentrum sich heute in Gilsdorf befindet. Immer wieder ist zu hören, dass die großherzogliche Familie den Weg dorthin findet. Zumindest die Hochzeit von Prinz Louis und Tessy Antony sowie die Taufe ihres Sohnes Gabriel führte Pfarrer Franck durch. Ein Dauernecken besteht zwischen den Fröschen und den Raben – die Frösche stehen für den Club des Jeunes Bettendorf, während der Rabe das Symbol der Gilsdorfer Jugend ist. Heute zählt die Gemeinde Bettendorf 3 094 Einwohner.

Die Wort-Journalistin Irina Figut zeigt sich in einem Artikel darüber erstaunt, dass es „keinen ernsthaften Versuch“ gegeben hat, „öffentlich zu erklären“, weshalb der Gemeinderat das Resultat des Referendums nicht beachtet. Das Vertrauen in kommunale Politiker drohe „auf Dauer verloren zu gehen“. Claude Gleis, Bürgermeister von Erpeldingen und Sprecher der Nordstad-Gemeinde, ist enttäuscht über den Entschluss der Bettendorfer, wie er gegenüber dem Land sagt. Zwischen den Zeilen lässt er durchblicken, dass es keine Informationskampagne gegeben habe, die die Urteilsfähigkeit der Bürger gestärkt hätte. Dass der Gemeinderat nun den „Willen der Mehrheit“ ignoriere, sei „schwer nachvollziehbar“, urteilte er bereits Ende April im Wort. Die Gemeindeverantwortlichen hätten in den vergangenen Monaten kein Interesse mehr an einer Fusion gezeigt. Deshalb hätten die anderen Gemeinden gefordert, dass eine „klare Entscheidung“ getroffen werde. Wer die Berichterstattung zur Gemeinde Bettendorf durchforstet, stellt allerdings ein durchgängiges Desinteresse am Nordstad-Anschluss fest: Bereits 2020 wunderte sich das Tageblatt darüber, wie schnell Tagesordnungspunkte über die Fusion abgehakt wurden. Während in Schieren und Erpeldingen lebhaft darüber diskutiert wurde, wurden Informationen hierzu in Bettendorf „stillschweigend zur Kenntnis“ genommen.

In einem Café in Bettendorf sagt ein älterer Herr: „Ich bin zu alt, um mir eine Meinung zu diesem Thema zu bilden. Ich kann nicht mehr gut sehen und kaum noch Zeitung lesen.“ Ein junger Gast meint hingegen, in seinem Umfeld seien alle froh, dass sich die Gemeinde Bettendorf aus den Fusionsgesprächen zurückgezogen hat. Im Verbund mit größeren Gemeinden wie Ettelbrück und Diekirch habe man die Sorge gehabt, nur das fünfte Rad am Wagen zu sein. „Diese Debatte interessiert aber mittlerweile niemanden mehr. Vielleicht suchen sie sich ein anderes Thema“, rät er. Bettendorf wirkt an diesem Pfingstferien-Montag keineswegs verschlafen: Im Minutentakt fahren Radtouristen durchs Dorf, auf dem Spielplatz rutschen Kinder durch die Röhrenrutsche, und sechs Personen haben sich zum Boule-Spielen verabredet. Was ist ihre Meinung zur Nordstad-Fusion? „Nee, nee, nee“, ruft eine Frau. Man wolle darüber nicht mehr diskutieren. Ihre Mitspieler nicken zustimmend. Ist das Politikverdrossenheit – oder einfach Gleichgültigkeit?

Einen besonders kuriosen Schlingerkurs fuhr Schöffe Lucien Kurtisi (CSV). Zunächst stimmte er im Oktober 2024 gegen die Fusionsgespräche, im April jedoch plötzlich dafür. Warum er zunächst gegen die Fortsetzung der Gespräche votierte, erklärte er im März dieses Jahres in einem Facebook-Post: Bettendorf könnte zur „Mellechkou fir Nordstad-Terrainen a Wunnraim, Waasserproduktioun, etc.“ verkommen und zwischen den Gemeinden finde kein Austausch „op Aenhéicht“ statt. Trotz der „vielen Versammlungen“, die seit 2018 stattgefunden hätten, liege noch immer kein Strategiepapier und keine „adäquate Analyse“ vor. Bettendorf besitze eine „eenzegaarteg Identitéit an eng staark Gemeinschaft, déi mir wëlle halen“, so Kurtisi. In einem KI-generierten Video, das Kurtisi Mitte März veröffentlichte, spricht eine Männerstimme mit amerikanischem Akzent im Off. Sie warnt, durch eine Fusion gehe „der Dorfcharakter von Bettendorf sicher verloren“. In das „Herz der Gemeinde“ werde „eine gute Portion an sozialen Wohnungsbau“ verpflanzt. Kurz darauf löschte Kurtisi das Video und entschuldigte sich. In dem Beitrag seien „Frauen mit Kopftuch und nicht-weiße Personen“ in einem negativen Zusammenhang dargestellt worden. Das sei nicht seine Absicht gewesen. Er distanziere sich „ausdrücklich von jeder Form der Fremdenfeindlichkeit oder Diskriminierung“.

Ähnlich wie Kurtisi befürchtet auch Schöffe Andy Dernoeden den Zerfall der „kleinen Dorfgemeinde“. Bettendorf solle nicht zu einem Stadtteil mutieren, erklärte er in einer Gemeinderatssitzung. Die Facebook-Seite Nordstad-Nee schrieb im Februar: „Kleng Kanner, kleng Problemer. Grouss Gemengen, grouss Problemer.“ Wie stark die Gemeinde wächst, hängt allerdings weniger mit der Fusion zusammen als mit dem Flächennutzungsplan und der Dynamik auf dem Arbeitsmarkt. Und so wurde 2019 bereits ein PAG verabschiedet – mit einer Enthaltung und einer Gegenstimme – der eine Verdopplung der Einwohnerzahl ermöglicht. Gegenüber dem Wort vermutete eine Frau aus Bettendorf, die Gilsdorfer seien für die Fusion, weil „ihre Grundstücke dann an Wert gewinnen“. Das hätten ihr Bekannte aus Gilsdorf berichtet. Zwei Personen, die bei der Gemeinderatssitzung im Oktober anwesend waren, vermuteten gegenüber dem Land ihrerseits, die Bettendorfer hätten Angst, nach einer Fusion die Hoheit über das „Bauland-Geschacher“ zu verlieren.

Von Streit im Gemeinderat könne man allerdings nicht sprechen. Vielmehr hätten sich die Ratsmitglieder kaum mit den Vor- und Nachteilen der Fusion auseinandergesetzt; die meisten hätten weder eine klare Meinung zur Nordstad noch eine Vision für Bettendorf entwickelt. Erstaunen habe auch der Zickzack-Kurs von Bürgermeister Patrick Mergen ausgelöst. So habe er sich innerhalb der Gemeinde zunächst skeptisch gegenüber der Nordstad gezeigt, schließlich jedoch für den Austausch mit den anderen vier Gemeinden gestimmt. Wie Claude Gleis und der Diekircher Bürgermeister Charles Weiler gehört auch Mergen der CSV an. Mit 715 Stimmen war er bei den Wahlen 2023 der Viertgewählte. Der im Bildungsbereich tätige Bürgermeister war während der Schulferien für Rückfragen nicht erreichbar.

Die häufig geäußerte Kritik, innerhalb von sechs Jahren sei wenig in puncto Fusionszusammenarbeit passiert, lässt Claude Gleis „net gëllen“, wie er dem Land erklärt. Verschiedene Arbeitsgruppen befassen sich mit Fragen rund um Personal, gesetzliche Rahmenbedingungen und Steuereinnahmen. Die technischen Dienste erstellen eine Bestandsaufnahme der Infrastrukturen und des Fuhrparks – was künftige Kosteneinsparungen ermöglicht. Andere Synergieeffekte betreffen das Personal, die Verwaltung und IT-Infrastruktur. „Damit einher geht auch eine Professionalisierung unserer Dienste“ erläutert Gleis. Ein weiterer Arbeitskreis erarbeitet außerdem, wie der Gemeinderat einer fusionierten Nordstad strukturiert sein könnte – und wie viele Übergangsmandate es dafür braucht. „Wir wollen uns als Gegengewicht zum wirtschaftlich dominierenden Süden positionieren, um Investitionen anzuziehen“, so Gleis. „Keine Gemeinde kann heute allein die Kosten für ein Schwimmbad stemmen.“
Alleine will Bettendorf angeblich nicht vorangehen, wie der Journalist und Einwohner Bettendorfs, Pit Scholtes, in einem Reporter-Podcast erwähnte, soll die Gemeinde nun verstärkt mit Tandel zusammenarbeiten. „A wou kënnt dat elo hier?“, würde sich nun der eine und andere Bettendorfer fragen. Scholtes meint, eine professionellere Ausrichtung hätte Bettendorf im Verbund mit der Nordstad-Großgemeinde nicht geschadet. Wie überfordert die Gemeinde mit Gesetzestexten sei, habe man Anfang Oktober 2024 gesehen, als Gloden die erste Abstimmung des Gemeinderates rückgängig machen musste– Grund war ein Verfahrensfehler: Die Abstimmung hätte nicht geheim durchgeführt werden sollen.

Einst floss durch die Frächegaass in Bettendorf ein Bach, der sich zum Mittelpunkt des Dorfes entwickelt hatte – dort wusch man Kleidung und tränkte das Vieh. Doch der Bach war auch dicht von Fröschen bevölkert, die sich dort vermehrten. In der Wort-Serie „Rathaus-Geschichten“ wird berichtet, ihr nächtliches Gequake hätten einige Bettendorfer als „regelrechte Plage“ empfunden. 1903 wurde der Bach in ein Trinkwasserreservoir umgeleitet – und es wurde still im Dorfkern. Wegen der Gemeindefusion wurde in den vergangenen zwei Jahren jedoch wieder politisch gequakt. Ein Gequake, dem Innenminister Léon Gloden letzte Woche ein Ende gesetzt hat.

Stéphanie Majerus
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