Es war schon eine seltene Solidaritätsbekundung, als die CSV-Abgeordneten Gilles Roth und Laurent Mosar am 11. Februar per Prokuration für die abwesenden ADR-Deputierten Fred Keup und Jeff Engelen abstimmten. Wer nun aber eine tiefere Bedeutung dahinter vermutet, der wird enttäuscht. Die CSV habe nur aushelfen wollen, weil die ADR ansonsten ihr Stimmrecht im Parlament nicht hätte ausüben können, erklärt Mosar auf Land-Nachfrage. Für jede andere Partei hätte er das auch getan, selbst wenn er gar nicht mit deren Inhalten einverstanden wäre. Daran ändert wohl auch die Tatsache nichts, dass Roth und Keup in derselben Gemeinde wohnen und der Mamer Bürgermeister den Nee-2015-Gründer fast in die CSV geholt hätte, bevor dieser sich der ADR anschloss.
Soviel Harmonie wie im Parlament herrscht innerhalb der CSV wahrlich nicht. Der Streit zwischen Parteipräsident Frank Engel und der Fraktion schwelt weiter. Das sagt jedenfalls Engel selbst, der wegen seines Alleingangs in Sachen Steuergerechtigkeit und seinem Beitrag zur populistischen Pappen-Diskussion der ADR bei der eigenen Fraktion in Ungnade gefallen ist und beide Male auf deren Druck zurückrudern musste. Sein parteiinterner Widersacher, der Abgeordnete und Stater Schöffe Serge Wilmes, der sich 2019 bei der Abstimmung um das Präsidentenamt knapp geschlagen geben musste, hatte Engel vor zwei Wochen in Interviews mit Reporter und RTL für dessen Exkurse kritisiert und ihm indirekt nahe gelegt, auf dem Kongress am 24. April nicht für ein weiteres Mandat zu kandidieren. Diese Aufforderung weist Engel im Gespräch mit dem Land zurück und bekundet seine Absicht, die CSV in das Superwahljahr 2023 führen zu wollen. „Ich hatte bis jetzt nie die Gewohnheit wegzulaufen, wenn es brenzlig wird“, sagt der Parteivorsitzende. Er sehe nicht ein, wieso er sich für seine Bestrebungen, die Partei zu modernisieren und wieder gesellschaftlich relevanter zu machen, entschuldigen sollte. Das sehen nicht alle so. Hinter vorgehaltener Hand wird kritisiert, dass Engel die Partei spalte und die CSV wegen seiner Eskapaden Wähler verliere.
Ein/e Gegenkandidat/in hat sich bislang nicht hervorgetan. Stimmen in der CSV fordern, dass die gewählten Volksvertreter/innen aus der Fraktion nun in der Partei Verantwortung übernehmen müssten. Als Anwärter/innen auf das Präsidentenamt werden Martine Hansen, Gilles Roth und Claude Wiseler gehandelt. Keiner der drei Abgeordneten wollte sich auf Land-Nachfrage zu seinen Ambitionen äußern. Auch Serge Wilmes zeigte sich zuletzt noch unentschlossen. Obwohl es in höheren Parteisphären inzwischen als unwahrscheinlich gilt, dass Frank Engel eine zweite Kampfabstimmung am 24. April überstehen würde, wäre eine Gegenkandidatur nicht ohne Risiko. Engels Vorschläge zur Steuergerechtigkeit sind bei Teilen der Parteibasis durchaus auf Zustimmung gestoßen. Eine Niederlage gegen den amtierenden Vorsitzenden würde vor allem für eine führende Politikerin wie Fraktionschefin Hansen einen nicht zu unterschätzenden Prestigeverlust bedeuten. Engels Stellung könnte durch den Gewinn einer Kampfabstimmung wieder gestärkt werden.
ADR-Sprecher Fernand Kartheiser hatte in den vergangenen Wochen den Finger in die Wunde gelegt. Die CSV sei schwach, habe keine Linie und wisse selbst nicht mehr, wofür sie eigentlich noch steht, sagte der Abgeordnete gegenüber RTL. Bei wichtigen Entscheidungen sei sie zuletzt zerrissen gewesen, führt Kartheiser im Gespräch mit dem Land aus. Innerhalb der CSV gebe es zu viele Strömungen, die die traditionelle katholische Ausrichtung fast vollkommen verdrängt hätten. Beim Referendum 2015 habe die Partei sich lange Zeit nicht auf eine einheitliche Position einigen können. Obwohl sie sich immer wieder auf die katholische Soziallehre berufe, vertrete sie bei Themen wie Schwangerschaftsabbruch oder Sterbehilfe Positionen, die nicht mit dieser Doktrin vereinbar seien.
Konservativ will die CSV seit über 20 Jahren nicht mehr sein. Laut Frank Engel war seine Partei nur konservativ, solange die Gesellschaft es auch war. Das Bündnis aus Monarchie, Kirche und katholischer Presse, mit dessen Hilfe die Rechtspartei sich 1915 an die Macht intrigiert hatte und das über Jahrzehnte die Vormachtstellung der CSV gegenüber Liberalen und Sozialisten zementierte, hat sich längst aufgelöst. Ob diese Desintegration bereits in den 1950-er Jahren begann, wie kürzlich in einem Forum-Beitrag zu lesen war, oder ob sie erst später einsetzte, sei dahingestellt. Fakt ist aber, dass seit der Trennung von Kirche und Staat, der Übernahme des Medienhauses Saint-Paul durch den multinationalen Konzern Mediahuis und die schrittweise Entmachtung der Monarchie durch Verfassungsänderungen und Reformen, das CSV-Imperium am Ende ist. Die einzigen Einflussbereiche, über die die Partei noch verfügt, liegen im (privaten) Bildungs-, Sozial-, Pflege- und Gesundheitswesen. Doch selbst dort spielen sogenannte „konservative“ Werte kaum noch eine Rolle. Kartheisers Vorstellung von einer katholisch-konservativen CSV ist nostalgisch verklärt und wird der Partei insgesamt nicht gerecht.
Kartheiser hat aber recht, wenn er eine klar erkennbare Linie bei der CSV vermisst. Manchmal ist selbst die Fraktion gespalten. So etwa im Mai 2020 bei der Diskussion über CETA im Parlament, als Viviane Reding das Freihandelsabkommen über den grünen Klee lobte, während Paul Galles wegen der protestierenden Zivilgesellschaft Gewissensbisse plagten. Schliesslich löste die CSV ihr CETA-Dilemma, indem die Fraktion geschlossen den Saal verließ und sich der unbequemen Abstimmung einfach entzog.
Dass die CSV sich seit dem Regierungswechsel 2013 in einer Krise befindet, ist unumstritten. Die Zahlen sprechen für sich. 2018 erzielte sie mit 28,31 Prozent der Stimmen das schlechteste Wahlresultat ihrer Geschichte. Bei der letzten Sonntagsfrage von Wort und RTL sank sie weiter auf 25,7 Prozent. Diese Verluste alleine am Weggang des Übervaters Jean-Claude Juncker festzumachen, reicht inzwischen nicht mehr aus. Das von der CSV über Jahrzehnte praktizierte volksparteiliche Modell, es allen Schichten recht zu machen, indem man steuerliche Anreize für Reiche und Konzerne schafft, um noch mehr Reiche und Konzerne anzuziehen, und die durch hohes Wirtschaftswachstum erzielten staatlichen Mehreinnahmen als Almosen an Mittelschicht und Arme verteilt, ist am internationalen Druck und an seinen nationalen Nebenwirkungen – horrende Immobilienpreise, wachsende soziale Ungleichheiten, Verkehrsprobleme – gescheitert. Bislang ist es der Partei nicht gelungen, ein neues mehrheitsfähiges Programm zu entwickeln, das sich vom Koalitionsabkommen der blau-rot-grünen Regierung in wesentlichen Punkten unterscheidet.
Neben neuen Ideen fehlt es der CSV aber auch an charismatischem Personal. Claude Wiseler konnte 2018 als Spitzenkandidat die Wähler nicht überzeugen. Seit geraumer Zeit kursieren Gerüchte, dass er sich aus der aktiven Politik zurückziehen wolle, um sich für ein Amt im Staatsrat oder den Verwaltungsratsvorsitz eines staatlich geführten Unternehmens zu bewerben. Eigentlich wäre es für Serge Wilmes jetzt der richtige Zeitpunkt, Verantwortung zu übernehmen. Bei den nächsten Wahlen wird er 41 Jahre alt sein. In dem Alter wurden Jean-Claude Juncker und Xavier Bettel (DP) zum ersten Mal Premierminister. Doch Wilmes will die hauptstädtische CSV erst einmal in die Gemeindewahlen führen.
Tatsächlich ist die Kommunalpolitik der Bereich, in dem die CSV zurzeit die meisten Akzente setzen kann. In der Stadt Luxemburg hat sie, zusammen mit der DP, durch ein geschicktes Manöver ihre langjährige Forderung nach einer erweiterten gesetzlichen Grundlage für den umstrittenen Platzverweis beim grünen Polizeiminister Henri Kox durchsetzen können. In der zweitgrößten Stadt, Esch/Alzette, wo die CSV seit 2017 in einer Koalition mit DP und Grünen den Bürgermeister stellt, will der Schöffenrat mit strengen Auflagen die Ausbreitung von Wohngemeinschaften und möblierten Zimmern stark einschränken, um die unteren Schichten zu vertreiben und so mehr Platz für zahlungskräftige Familien zu schaffen. Beide Beispiele zeigen, dass die CSV durchaus bürgerlich-konservativ sein kann, wenn man sie (mit-)regieren lässt.
Ihr Erfolg auf kommunalpolitischer Ebene birgt aber auch Risiken. Nur sechs der insgesamt 21 CSV-Abgeordneten üben nicht gleichzeitig ein Bürgermeister- oder Schöffenmandat aus. Sollte die im Koalitionsabkommen vereinbarte Mandatstrennung durchgesetzt werden, hätte die CSV wohl am meisten zu verlieren. Gleichzeitig könnte die Mandatstrennung eine Chance für die verpasste personelle Erneuerung in der CSV darstellen. Nur sechs der 21 Abgeordneten sind Frauen, nur vier sind jünger als 50 Jahre. Nicht umsonst wird die Mandatstrennung aktiv von der parteieigenen Jugendorganisation CSJ unterstützt.